piwik no script img

Die WahrheitSind alle Dänen komplett hygge?

Ein spontaner Feldversuch zum dänischen Lebensgefühl Nummer eins mit fatalen Folgen – nicht nur für skandinavische Arschbananen …

Illustration: Miriam Wurster

Im Sommer war ich in Dänemark. Dänemark, das ist: Meer, Dünen, Lastenfahrräder, Legoland, gutes Design, schlechtes Bier für acht Euro. Vor allem aber Entspanntheit. „Hygge“ ist mehr als eine Erfindung von Lifestyle-Magazinen, „hygge“ ist in Dänemark gelebte Realität. Pfeifend radeln die Dänen über die extra-breiten Radwege, nie würden sie einem Bus hinterherrennen, und als im April 1940 die halbe Wehrmacht in den Vorgärten stand, erhoben sich die Dänen ruhig aus ihren konfiszierten Hängematten und murmelten: „na gød“. Kann ein ganzes Volk wirklich komplett „hygge“ sein? Einer solch kulturellen Einzigartigkeit lässt sich nur in einem spontan organisierten Feldversuch auf den Grund gehen.

Kopenhagen, eine gewöhnlicher Mittwoch, 16 Uhr. Alle Dänen haben Feierabend. Ich natürlich nicht. Bei uns Deutschen fängt da die Arbeit gerade erst an. Auf einer Parkbank am Kanal sitzt ein goldblondes, langmütig lächelndes Pärchen um die dreißig. Ein Picknickkorb ist aufgeklappt, die beiden futtern Krabbenbrötchen. Wie zufällig schlendere ich auf sie zu, baue mich vor ihnen auf. Ich lege mir die richtigen Worte zurecht, auf Deutsch. Alle Dänen sprechen deutsch. Dann räuspere ich mich, recke die Brust: „Hallo, grüßt euch …“, die beiden blicken freundlich auf, „… ihr beiden Dumpfbacken!“ Spannend. Wie werden sie reagieren?

Die Dänen schauen erst mich an, dann einander – und mümmeln versonnen weiter. „Na, wie geht’s euch denn, ihr Arschbananen?“, frage ich. Røvbanan, das habe ich gegoogelt, gilt in Dänemark als das schlimmste Schimpfwort. „Arschbananen ohne Transfair-Siegel“, lege ich nach. Das trifft die Bildungsbürgerdänen noch ein wenig härter.

Der Bärtige kaut auf seinen Krabben. Lange. Dann erkundigt er sich, wer ich eigentlich sei. „Leni Riefenstahl, du Flachlandfresse!“, pariere ich. O Mann, die Armen. Selbstverständlich kostet mich das Überwindung. Spaß macht das nicht, aber das muss einfach sein. Jetzt werden kulturelle Grenzen ausgelotet. Später werde ich sie über meinen Feldversuch aufklären, später werden wir gemeinsam darüber herzlich lachen, „war doch nicht echt“, werde ich sagen, bis tief in die Nacht werden wir zusammensitzen in einem dieser pittoresken Fisch-Bistros und über skandinavischen Kubismus diskutieren, aber noch nicht jetzt.

Lego-Face-Fressen en masse

„Hast du nichts zu erwidern, Lego-Face?“, höhne ich. „Oder du, kleine Meerjung-Bitch, du …“, jetzt bloß nicht über die Wortwahl nachdenken, „du Riesenkackhaufen einer zahnlosen schwedische Hure im Norwegerpulli!“ Jetzt hab ich sie. Die beiden Nachbarländer, die Erbfeinde. Mehr Schmach geht nicht. Oder doch? Vorsichtshalber haue ich noch ein paar freche Thesen heraus: „Königin Margarethe hat einen Schnurrbart! Hamlet war ein Loser!“

So langsam beginnt es, doch ein wenig Spaß zu machen. Den Dänen leider auch. Sie grinsen und glucksen, wie nur waschechte Dänen giggeln, dunkel und sanft gleich einer Ostseewelle. Der Bärtige bietet mir etwas von seinen Krabben an. „Jetzt reicht’s mir aber“, knöttere ich, „du … son of a bitch!“

Kopenhagen, Mittwoch, 16 Uhr. Alle Dänen haben Feierabend. Bei uns Deutschen fängt da die Arbeit gerade erst an

Die Dänin hört jetzt auf zu kichern. „Son and daughter of a bitch“, korrigiert sie und hebt einen Zeigefinger. Aha. Jetzt habe ich sie. Die Dänen sind extrem emanzipiert. Fünfzig Prozent Frauen in Führungspositionen, Frauenquoten überall. Jetzt ist’s Zeit für die nächste Stufe. Ich greife tief in meinen Rucksack, setze mir eine SS-Mütze auf und tanze vor ihnen her: „Und jetzt, immer noch hygge?“

Ein Polizist in hellblauem Halbarmhemd nähert sich, hebt die Hand zum Gruß. Ob hier alles in Ordnung sei, alles so richtig schön „hygge“, erkundigt er sich auf Dänisch. „Ja, Wikingerpopo!“, speihe ich aus. Er guckt fragend. Vielleicht kann er kein Deutsch. Die Dänin übersetzt. „Vikingerne Ansigt!“, gluckst der Polizist und wünscht uns allen noch einen hyggeligen Tag, ehe sein Fahrrad im Stadtgewusel verschwindet.

Deutsch-Dänischer Krieg und so

Jetzt sind wir wieder zu dritt. Die Dänen schauen mich an, gespannt, was kommen mag. Ich entscheide mich, nun mehr auf performative Elemente zu setzen. Ich simuliere einen epileptischen Anfall. Ich entwerfe spontan eine Solo-Tanzperfomance, Thema: der Deutsch-dänische Krieg 1864.

Das Pärchen ist jetzt beim Nachtisch angelangt. Aus einer hübschen Lunchbox der Marke „Emsa“ bieten sie mir ein paar Blaubeeren an. Ich strecke die Hand aus und schleudere die Lunchbox in den Kanal. „Emsa ist eine deutsche Marke“, rufe ich: „Heil Emsa!“ Die beiden Dänen blicken der Lunchbox nach, die für kurze Zeit im Kanalwasser schwimmt und am Ende kentert. „Na gød“, murmeln sie. Dann holen sie ein weitere Lunchbox hervor und bieten mir erneut Blaubeeren an, noch größere, noch dunkler schimmernde als die ersten.

Das ist mir alles zu viel. Jetzt reicht es aber, ihr Ferienhaus-Wucherer, ihr Dancenter-Nazis. Das Leben ist keine Hängematte im beerenumrankten Ferienhausgarten. Ich rufe: „Königin Margarethe schläft mit Prinz Charles!“ Dann greife ich zum Äußersten und schreie: „Lego ist schlechter als Playmo!“ Die Dänin fragt, ob ich vielleicht doch ein paar Blaubeeren möchte. „Hamlet ist schwul!“, deliriere ich, „Mads Mikkelsen kann nicht schauspielern! Und wann verübt ihr an euren putzigen Grönländern den nächsten Genozid, ihr Arschbananen, wobei die weibliche Form nicht mitgemeint ist?“ Wobei sich meine Stimme dreimal überschlägt. Dann sacke ich in mich zusammen.

Irgendjemand nimmt mich ganz fest in den Arm. Als ich wieder zu mir komme, liege ich ausgestreckt auf der Parkbank. Eine Hand krault mein Haar. „Beruhig dich, Heidi Klum“, gurrt die sanfte Stimme der Dänin. Kein Wunder, wenn sie Deutsche wäre, wäre sie auch so angespannt: trauriges Durchschnittseinkommen, elende Arbeitszeiten, abartiges Design und kaum Zugang zum Meer.

„War übrigens alles gar nicht echt“, schluchze ich, „war übrigens nur ein Feldversuch. Empirie!“ Und ob ich noch mehr von diesen saftigen Blaubeeren haben könne? Am Ende gehen wir ins nächste Fisch-Bistro und diskutieren über skandinavischen Kubismus.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!