: Zu viele Ratten in der Hauptstadt
CRIME SCENE Horst Evers gelingt eine begrüßenswerte Neuinterpretation des Regionalkrimis: „Der König von Berlin“
Horst Evers ist nicht nur für seine alltagskomischen Texte bekannt, sondern mindestens ebenso für seine unnachahmliche Art, sie vorzutragen. Wer ihn von Berliner Lesebühnen, aus den Bücherstuben der Republik oder aus dem Radio kennt, kann daher ein gewisses Problem mit der Rezeption von Evers-Produkten in gedruckter Form bekommen. Es ist nämlich durchaus irritierend, über den vertrauten Sound des Textes die ganze Zeit diese virtuelle Stimme im Ohr zu haben und die komplette Lesearbeit dabei doch selbst tun zu müssen. Wenn man so veranlagt wäre, sich jemals ein Buch als Hörbuch zu wünschen, dann müsste es dieses sein. Doch leider gibt es den „König von Berlin“, Horst Evers’ allerersten Kriminalroman, nur in Papier- oder E-Form. Man sollte das wahrscheinlich nicht als Manko, sondern als Bonusgeschäft betrachten. Die Stimme im Kopf gibt es halt gratis dazu.
Ein bisschen spannend ist es natürlich schon, zu sehen, ob er das denn auch kann, der Evers: einen ganzen Roman, und auch noch als Krimi. Hält er die lange Strecke durch? Und: Versucht er sich jetzt billig anzubiedern ans große Genregeschäft? Aber die Zweifel zerstreuen sich ziemlich zuverlässig. „Der König von Berlin“ ist eine begrüßenswerte Neuinterpretation des Regionalkrimis. Als solcher ist er ebenso Berlin- wie Kriminalroman, als Letzterer sogar über weite Strecken ziemlich spannend, und als Ersterer auf bewährte Evers-Art ziemlich witzig.
Eine sonst in der Literatur wenig beachtete Berufsgruppe, die der Kammerjäger, nimmt eine zentrale Rolle im Genre-Erstling des Lesebühnenkünstlers ein. Berlin wird nämlich von einer Rattenplage heimgesucht, die sich zum Schluss des Romans zu einer Art Ratten-Apokalypse steigert. Und der aus dem beschaulichen Cloppenburg erst kürzlich in die Großstadt versetzte Kommissar Lanner, der von seinen Urberliner Kollegen gnadenlos spaßgemobbt wird, löst zwar in letzter Minute den Fall, ist dabei aber ausgerechnet auf die Hilfe eines ehemaligen Cloppenburger Mitschülers angewiesen, von dem er bereits in der Schule immer ausgegrenzt worden war. Eine wirklich hübsche Idee, den Kommissar zu einem blassen Karrieristen zu machen, der schon immer der Klassenstreber war. Und den ehemals so coolen Mitschüler zu einem, der viel probiert und studiert hat (die typische Berliner Karriere eben) und es doch nur zum Hilfskammerjäger gebracht hat. Und eigentlich sind beide trotz allem ganz nett.
Für ganz puristische Genre-Aficionados gibt es wahrscheinlich viel zu viel kabarettistisches Beiwerk in diesem Krimi, der aber auf der anderen Seite in seiner durch- und übertriebenen Art eben ziemlich gut das echte Berlin erklärt. Dass es der, nun allerdings verstorbene, Chef der größten Kammerjägerfirma ist, der in der Hauptstadt die eigentliche Macht hat, ist eine durchaus erkenntsniserweiternde Interpretation der Berliner Landespolitik, und dass die Polizei zum Pommes-Essen nach Brandenburg fährt, kann nur als kühner Scherz gemeint sein.
Aber warum hat Horst Evers dieses Buch geschrieben? Auch darauf gibt es eine plausible Antwort. Denn in der Wohnung des Toten, der gleich auf den ersten Seiten des Romans entdeckt wird, finden die Polizisten ein kleines Vermögen in bar. Der Mann hat es als Ghostwriter von Regionalkrimis verdient.
KATHARINA GRANZIN
■ Horst Evers: „Der König von Berlin“. Rowohlt Berlin, Berlin 2012, 384 Seiten, 19,85 Euro
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