: Richtige Kunst am falschen Ort
WAS DER HUND SIEHT Bei c/o Berlin sind die Filme Robert Franks fast vollständig zu sehen. Leider erschwert die Installation eine eingehende Beschäftigung mit dem Werk
VON BERT REBHANDL
Der Fotograf Robert Frank macht Filme über Gegenwart und Vergangenheit. „This is a film about the past and the present“, heißt es 1969 in „Conversations in Vermont“. „The Present comes back in actual film footage.“ Die Gegenwart muss erst einmal vergehen, dann kann sie als Filmmaterial zurückkehren. Aber ist das nicht ein seltsamer Ausdruck: „zurückkehren“? Wer oder was kehrt denn tatsächlich zurück, wenn ein Film gezeigt wird? In „Conversations in Vermont“ zeigt Frank, wie er aus New York aufs Land fährt, um seine Kinder Pablo und Andrea zu besuchen, die auf einem Bauernhof leben, zur Schule gehen und in der Landwirtschaft mithelfen. Sie sind auch zu sehen, wie sie gemeinsam „Jubilate deo“ singen. Der Vater gibt sich schuldbewusst wegen seines Verhaltens während der frühen Kindheit von Pablo und Andrea, dabei präsentiert er ihnen Fotografien aus dieser Zeit und fordert sie auf, sich darin wiederzuerkennen.
„I don’t remember any of those pictures“, sagt Pablo. Er sagt damit auch, dass er nicht daran interessiert ist, diese Bilder zum Sprechen zu bringen. Das Familienalbum bleibt stumm, weil es nur mit der Stimme des Vaters spricht. Frank selbst, ein Immigrant aus der Schweiz in die USA, erzählt von den Jahren in New York und Europa, die Kinder finden diese Zeit gar nicht so außergewöhnlich: „We’ve all come from normal to this.“ New York war normal, Vermont ist die Gegenwart. Pablo und Andrea verweigern sich der Linearität von Schuldgefühl und -zuweisung.
Die vielschichtige Textur, die Robert Frank in „Conversations in Vermont“ aus Filmbild, Fotografie und Stimmen erzeugt, ist charakteristisch für sein gesamtes Werk. Es wirft einen persönlichen Blick auf die Welt, konstituiert dabei aber ein Subjekt, das ganz und gar keinen souveränen Überblick hat. Im Gegenteil, manchmal sieht es so aus, als gäbe es zwar Medien, aber nichts Vermittelbares. In dem Video „The Present“ drückt Frank das so aus: „I’m glad I found my camera. Now I can film. But I don’t know what.“ Er findet sich umgeben von Objekten der Melancholie, von denen die meisten mit dem Leben von Pablo zusammenhängen. Sein Sohn starb jung nach Drogenproblemen und psychischer Krankheit. „The suffering, the silence of Pablo“ steht auf einem Ordner, dessen Umschlag Frank filmt, den er aber nicht aufschlägt. Stattdessen filmt er einen Hund, der unverwandt aus dem Fenster starrt: „What does he see?“
Diese Frage nach einer benachbarten, nicht erreichbaren Subjektivität stellt sich in einer Ausstellung von Robert Franks Filmen noch einmal anders: Was sehen die Menschen, die durch das Postfuhramt in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte gehen, von Raum zu Raum, in die jeweils kleine Vorführecken gebaut wurden, in denen man viele (nicht alle) Filme von Robert Frank sehen kann? Sie sehen vermutlich größtenteils eine zersplitterte Version von Werken, die in ihrer assoziativen Struktur zu einer entsprechenden Rezeption einzuladen scheinen. Man kann sich von Robert Frank umgeben lassen in dieser Schau, man muss aber gegen widrige Umstände anarbeiten, wenn man tiefer in seine Beschäftigung mit der trügerischen Objektivität von fotografischen Dokumenten eindringen will.
Nicht wenige Räume im Postfuhramt sind Durchgangsräume, und so entsteht – bei weitgehend chronologischer „Hängung“ – eine implizite Hierarchie in einem Werk, das sich diesem Prinzip konsequent verweigert. Fünf Stunden Nettomaterial ist zu sehen, und dabei ist schon der zentrale „Me and My Brother“ (1968) ausgespart, in dem Frank sich weit auf das Gebiet psychischer Desintegration vorwagte.
Eine Ausstellung „Robert Frank: Die Filme“ hat eine verborgene ökonomische Logik. Der Mann ist als Fotograf ein Weltstar (im Vorjahr erst wurde sein Band „The Americans“ zum 50. Jahrestag einer neuen Runde der Kanonisierung unterzogen), als Filmemacher aber marginal. Seine Filme sind also relativ leicht verfügbar, zumal der Steidl Verlag in Göttingen eine absolute Liebhaberarbeit geleistet und eine (noch nicht vollständige) DVD-Edition des gesamten (video-)filmischen Werks gestaltet hat. „Me and my memory“ könnte als künstlerisches Motto über dieser Edition stehen, die nun in der trügerischen technischen Solidität zugänglich zu machen scheint, was essenziell eine Beschäftigung mit dem Flüchtigen, mit dem permanenten Verschwinden der Gegenwart ist.
Im Postfuhramt aber bekommt dieses Verschwinden eine spezielle kulturelle Form, die damit nichts zu tun hat: Die Ausstellung „Robert Frank: Die Filme“ ist bloß ein weiteres Beispiel für die richtige Kunst am falschen Ort.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen