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Wir, die Kinder des Krieges

Dort würde ich umgebracht. Hier werde ich dazu motiviert, mich selbst umzubringen

Für Berlin, diese Stadt, habe ich tausend Geschichten in meinem Kopf. Ich gebe zu, dass ich hier viele Fesseln gesprengt und die ersten Buchstaben meiner Persönlichkeit geschrieben habe.

Ich erinnere mich an die Zeit, als ich neunzehn Jahre alt war. Ich erinnere mich an meine große Freude, als ich nach Mitternacht ausging und nur einen billigen Schlafanzug anhatte, von schlechter Qualität und mit vielen Farben. Ich ging hinaus, ohne mein Haar zu kämmen, und lief auf einem der Plätze Berlins herum. Heute blicke ich zurück und amüsiere mich über mein damaliges Verhalten. Manchmal denke ich, dass das falsch war, was ich tat, und dass ich ein wenig verrückt war. Dann sage ich mir wieder: Das ist doch mein gutes Recht, zu tun und zu lassen, was ich will. Es ist mein Recht, welches diejenigen, die uns die Normen auferlegten und der Menschen habhaft wurden, geraubt hatten.

Als ich daran dachte, saß ich in der Bahn direkt hinter der Führerkabine. An einer bestimmten Station stieg der Bahnführer aus, um einem Menschen mit einer Behinderung beim Einsteigen zu helfen. Seltsamerweise ließ er ihn aber nicht einsteigen, da er nicht verstanden hatte, wohin dieser Mensch wollte.

Der Bahnführer brüllte plötzlich streng durch den Lautsprecher: Zurückbleiben! Die Frau, die neben mir saß, fragte ihren Mann: Was ist mit dem Bahnführer?

Ihr Mann versuchte ihr eine Rechtfertigung für das Verhalten des Bahnführers zu vermitteln: Dit is Berlin.

Die Bahn setzte die Fahrt fort. Ratter, ratter, ratter … Und durch die wiederholte Reibung von Rad und Schiene kamen die Gedanken in meinen Kopf zurück. Ratter, ratter, ratter … Du musst Deutsch lernen. Ratter, ratter, ratter … Du musst das Geheul der Bomben und des Todes vergessen. Ratter, ratter, ratter … Du musst dich akklimatisieren und integrieren. Ratter, ratter, ratter … Du musst eine Arbeit finden und studieren und die Prüfungen bestehen. Ratter, ratter, ratter …Du musst …

Aber was ist denn mit dem Kulturschock? Was ist mit den Visionen, den Albträumen und den Sorgen und schlaflosen Nächten? Was hat das alles zu bedeuten? Ratter, ratter, ratter …

Wir, die Kinder des Krieges, werden billig gehandelt. Von den Kriegstreibern, ihren Mittelsmännern an erster Stelle und der Presse direkt danach, nämlich von denen, die unsere Narrative, Bilder und Schicksale missbrauchen. Was haben wir davon? Nichts. Denn wir bekommen nichts von dem, was wir am Notwendigsten brauchen. Vielleicht etwas Stabilität und Sicherheitsgefühl. Aber was ist mit unserer psychischen Sicherheit?

Wenn ich die Sprache der Finanzen und der Zeit von früher beherrschen würde, hätte ich sicherlich etwas an meinem Werdegang geändert. Aber ich war damals mit anderen Dingen beschäftigt und suchte einen anderen Sinn. Ich kann den Wert dessen, was ich tat, heute nicht bestimmen. Heute reden alle von Werten und Prinzipien, aber wer hält sich noch an Werte und Prinzipien?

Dit is Berlin. Ja, tatsächlich, das ist Berlin. Hier wartet der Zug morgens nicht auf dich, wenn du verschlafen hast. Keiner interessiert sich dafür, ob du absichtlich den Morgen verschlafen hast oder etwas anderes im Sinne hattest. Vielleicht wird es nie jemand erfahren.

Dit is Berlin. Die Sirenen in Berlin verstummen nicht, auch wenn die Straßen leer sind oder die Nacht fortgeschritten ist. Diese Stadt braucht unentwegt einen Retter.

Ich habe aufgehört, die Jahre zu zählen, damit ich die Last weniger spüre. So könnte ich mir die „Integration“ leichter machen. Ich löschte mein Haus aus meinem Gedächtnis und beseitigte noch dazu alle Erinnerungen, die mir im Wege stehen.

Dort war die Zeit langsamer und leichter. Ich könnte heute sogar sagen, dass die Zeit, ohne dass ich es bemerkt habe, stehen blieb.

Die bittere Wahrheit, die mir ins Gesicht springt, ist der Tod. Dort würde ich umgebracht. Auf die eine oder andere Weise. Hier werde ich dazu motiviert, mich selbst umzubringen mit dem Unterschied, dass ich hier die Wahl habe, auf welche Weise ich es tue.

Und jetzt, nach dem bitteren Kampf zwischen dem Hier und Dort, ich bin nämlich die Frau mit ihren 25 Jahren, entschied ich mich in aller Ruhe, hier zu leben und mich von den Konsumenten unserer Erzählungen fernzuhalten. Nämlich von denjenigen, die über uns reden, als wären wir Aliens, die auf dem europäischen Kontinent gelandet sind, damit wir als Versuchskaninchen missbraucht werden. M. Sh.

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