Erwerbstätigkeit im Alter: Die Lust an der Arbeit
Die Zahl der arbeitenden RentnerInnen in Deutschland hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Warum hören sie nicht einfach auf?
Einige waren ein bisschen neidisch auf mein künftig gewiss entspannteres Leben: „Hast du es gut!“ Andere machten sich Sorgen, ob ich mit der überaus mageren Rente nach vielen Jahren untertariflicher taz-Einkünfte zurechtkäme.
Einige Wochen nach der Abschiedsfeier war ich wieder da. Die Redaktion hatte angerufen, ob ich nicht einen Kollegen für eine Zeitlang vertreten könnte. Dann wurde jemand anderes krank und ich sprang noch mal ein. Während ich also wieder an meinem Schreibtisch saß und durch die Flure der taz lief, begegneten mir ständig bekannte Gesichter, AltersgenossInnen, die ebenfalls längst in der zweiten Sechzigerhälfte angekommen sind.
Warum sie nicht aufhören? „Ich werde wohl bis an mein Lebensende arbeiten müssen“, hat mir eine 70-jährige Kollegin beim Abschied gesagt, andernfalls werde ihr Geld hinten und vorne nicht reichen, selbst bei bescheidenstem Lebensstil. Manche tazlerInnen können sich freier entscheiden, weil sie geerbt haben, gut verheiratet sind oder rechtzeitig im Lotto gewonnen haben. Sie machen weiter, weil sie Lust dazu haben.
Und wir taz-Älteren sind nicht allein: Am Donnerstag hat das Statistische Bundesamt Zahlen vorgelegt, die zeigen, dass der Anteil arbeitender Senioren in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen ist. Demnach waren 16,1 Prozent der 65- bis 69-Jährigen erwerbstätig. Zehn Jahre zuvor waren es lediglich 7,1 Prozent. Manche tun es, um ihre Rente aufzubessern, andere weil sie ihre Arbeit als identitätsstiftend empfinden.
Viele kommen mit der Rente nicht aus
„Was sagt es über unsere Gesellschaft aus, wenn Ältere in ihrer Rentnerzeit noch arbeiten?“, will jetzt der junge taz-Kollege wissen. Meine spontane Antwort: „Nichts! Die nackte Zahl sagt nichts über die Gesellschaft aus.“ Hätte er gefragt: „Was sagt es über unsere Gesellschaft aus, wenn so viele Alte noch arbeiten müssen?“, wäre meine Reaktion anders ausgefallen.
Selbstverständlich ist es eine Schande, wenn in einem so reichen Land wie Deutschland Löhne und Gehälter in vielen Berufsgruppen so niedrig sind, dass viele Alte mit ihrer Rente nicht auskommen. Dass so viele in ständiger Angst vor einer Mieterhöhung leben müssen und davor, in ein schreckliches Pflegeheim zu kommen, wenn man zu schwach oder vergesslich wird, sich selbst noch vernünftig zu helfen. Jeder hört die Geschichten von fürchterlichen Heimen, wo ausgebildetes und bezahltes Personal fehlt.
Dort aber, wo RentnerInnen freiwillig arbeiten, weil sie Lust dazu haben und weil ihre Tätigkeit nützlich und geschätzt ist, da kann man eine Gesellschaft nur beglückwünschen. Das bedeutet keineswegs, dass die jüngeren KollegInnen jene älteren auf ewig aushalten müssen, die sich aus Angst vor Bedeutungsverlust oder Einsamkeit auch nach offiziellem Rentenbeginn an ihren Job klammern. Oder dass die Alten den Jungen die knappen festen Stellen vorenthalten und die Jüngeren zwingen, sich von einem Kurzzeitvertrag zum nächsten zu hangeln.
Aber dort, wo es flache Hierarchien gibt, wo sich die KollegInnen im Arbeitsalltag nicht primär nach dem Alter und Dienstalter, sondern nach ihren Fähigkeiten schätzen und respektieren (und wo die Bezahlung relativ transparent ist), will ich gern weiter arbeiten.
Wie lange ich selbst noch zur taz zurückkomme? Ich habe mir vorgenommen: Wenn ich zu hilflos vor den technischen Redaktionssystemen oder neuesten Entwicklungen in den sozialen Medien stehe, höre ich endgültig auf. Oder wenn ich wegen meines Ruhestandes zu beschäftigt bin, Zeit für die taz zu finden.
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