piwik no script img

Fundi gegen Realo

Die niedersächsischen Grünen wählen einen neuen Landesvorstand. Der aktuelle Vorsitzende Stefan Körner wird von Hans-Joachim Janßen herausgefordert. Es ist ein Flügelkampf, der das Gleichgewicht im Landesverband durcheinanderbringen könnte

Der Herausforderer Hans-Joachim Janßen (links) und der bisherige Landeschef Stefan Körner Fotos: Holger Hollemann/dpa, Swen Pförtner/dpa

Von Andrea Maestro

Die Grünen in Niedersachsen müssen sich am Wochenende entscheiden: Ist nach der Niederlage bei der vergangenen Landtagswahl ein personeller Neuanfang nötig? Am Samstag wählen die Mitglieder bei der Landesdelegiertenkonferenz in Celle ihren Landesvorsitz neu.

Der Frauenplatz scheint sicher an die Osnabrückerin Anne Kura zu gehen, die seit November 2017 Landesvorsitzende ist. Ein Herausforderin gibt es bisher nicht. Bei den Männern auf Platz zwei ist hingegen noch alles offen. Der bisherige Landesvorsitzende Stefan Körner wird von dem Ex-Landtagsabgeordneten Hans-Joachim Janßen her­ausgefordert: Ein Duell alt gegen neu. Realo gegen Fundi. Ein Flügelkampf.

„Die Delegierten freuen sich darüber, dass sie mal eine Auswahl haben“, sagt ein grünes Mitglied aus Niedersachsen. „Es ist nicht alles abgekaspert, sondern hier gibt es etwas zu entscheiden.“

Körner ist seit 2015 Landesvorsitzender. Er ist in der Region Hannover aufgewachsen und hat zuvor im Regionalbüro der grünen Europaabgeordneten Rebecca Harms gearbeitet. „Ich bin jemand, der sich dafür einsetzt, dass die gesamte Partei mitgenommen wird“, sagt Körner über sich. Im Umgang mit anderen wählt er eher ruhigere Töne. Er versucht zu integrieren statt auszuschließen.

In den vergangenen Monaten gab es jedoch öffentliche Kritik an seinem Führungsstil. Er habe wenig eigene Themen gesetzt und sei kein sonderlich mitreißender Redner, war von Mitgliedern zu hören. Kritiker bringen seinen Namen auch mit der verlorenen Landtagswahl im Oktober 2017 in direkte Verbindung.

„Alle, die am Wahlkampf beteiligt waren, tragen selbstverständlich eine Verantwortung“, sagt Körner dazu. „Aber ich finde es befremdlich, wenn mir ein Großteil der Verantwortung zugeschrieben wird, obwohl ich weder auf einem der 40 Listenplätze für den Landtag kandidiert habe noch Teil des fünfköpfigen Spitzenteams war.“ Kritik sei ihm gegenüber nicht geäußert, sondern nur über die Presse gespielt worden, sagt Körner. „Das war eine höchst unschöne Art, miteinander umzugehen.“

„Ich glaube, dass der Flügelproporz nicht mehr die Relevanz besitzt wie vor einigen Jahren“

Hans-Joachim Janßen (Grüne)

Sein Widersacher Janßen hält es selbst für „Quatsch“, dass das Ergebnis der Wahl an Körner festgemacht wurde. „Das ist eine Teamleistung“, sagt er. Janßen hatte selbst für den Landtag kandidiert – auf Platz 20. Es wäre die dritte Legislaturperiode für ihn geworden. Aber die Grünen verloren rund fünf Prozent und haben nun nur noch zwölf und nicht mehr 20 Mandate im Landtag. Er gehe nun wieder seinem Brotjob nach, sagt Janßen, der in der Naturschutzbehörde im Landkreis Wesermarsch arbeitet.

„Ich habe große Lust, die Landespolitik wieder mitzugestalten“, sagt er. „Es fehlt mir, Positionen zu diskutieren, Strategien gemeinsam zu entwickeln.“ Der 57-Jährige lebt in der Gemeinde Jade am Jadebusen. Janßen ist ein Öko im klassischen Sinne, Hobbygärtner, Liegeradfahrer, Naturschützer. Er wird in der Partei dem linken Flügel zugerechnet, Körner zu den Realos.

Janßen will den Landesverband sichtbarer machen und auch ungewöhnliche Aktionen anstoßen. Um auf das Thema Wohnungsnot aufmerksam zu machen, sagt er, könne er sich Proteste im Schlafsack auf dem Marktplatz vorstellen – auch wenn es ihm dafür jetzt langsam ein bisschen zu kalt und nieselig werde. Auch die Infrastruktur auf dem Land ist für ihn ein wichtiges Thema. Ärztemangel, Apothekenschließungen, Funk­löcher, Busverbindungen. „Es geht darum, die Lebensqualität auf dem Land wieder zu verbessern, um nicht die Menschen in die Städte zu treiben“, sagt er.

Dass Janßen gegen Körner antritt, könnte das Gleichgewicht im niedersächsischen Landesverband durcheinanderbringen. Eigentlich ist es üblich, dass bei einer Doppelspitze sowohl der linke als auch der Realo-Flügel vertreten sind. Doch auch die 34-jährige Kura wird dem linken Flügel zugerechnet.

Janßen, der alle Mitglieder vertreten will, sieht darin kein Problem. „Ich glaube, dass der Flügelproporz nicht mehr die Relevanz besitzt wie vor einigen Jahren.“ Das zeige auch die Wahl von Robert Habeck und Annalena Baerbock, eine reine Realo-Spitze auf Bundesebene. Es gehe darum, grüne Werte in eine Politik umzusetzen, die nach außen wirksam sei, sagt Janßen.

Körner hingegen hält die Flügelfrage keinesfalls für überholt. „Wir müssen im Landesvorstand die ganze Breite der Partei abbilden“, sagt er. Wenn Niedersachsen an die Erfolge in anderen Bundesländern anknüpfen wolle, müsse man alle Mitglieder mitnehmen und gleichzeitig um neue werben. Er will die Beteiligung der Mitglieder in der Partei stärken und sie in inhaltliche Diskussionen einbeziehen. „Es sollen mehr Menschen Vorschläge einbringen und auch Kritik üben können“, sagt Körner.

Nach der Landtagswahl habe sich der Landesvorstand Zeit genommen, um die Gründe zu analysieren und mit Mitgliedern zu sprechen. „Jetzt setzen wir das in die Tat um“, sagt Körner. Er will den Prozess selbst fortführen. Janßen und Körner teilen ein Ziel: Sie wollen dafür sorgen, dass die Grünen in Niedersachsen bald wieder mitregieren können – wenn die Inhalte stimmen, schließen sie das auch mit der CDU nicht aus.

Wer sich am Samstag durchsetzen wird und die Landespartei damit auf den nächsten Wahlkampf vorbereitet, ist noch völlig offen: Politisch erfahren sind beide Kandidaten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen