Streit im Doping-Opfer-Hilfeverein: Hilfe, Opfer!
Ines Geipel steht an der Spitze des Doping-Opfer-Hilfevereins. Mit Erfolg. Doch einige Ex-Mitstreiter*innen wenden sich von ihr ab.
Nur zwei Minuten nach dem vereinbarten Termin betritt Ines Geipel ihr Lieblingslokal in Berlin-Schöneberg, umhüllt von dieser Aura existenzieller Müdigkeit. Bevor sie sich ans Fenster setzt, scheint sie eine unsichtbare Kiepe von ihren Schultern zu nehmen, darin all die Schicksale von DDR-Sportlern, denen die Diktatur zu Leibe gerückt ist. Dann kommt dieser ironisch-komplizenhafte „Na, Sie wissen schon“-Blick. Braucht es noch Worte? Ja, doch, eigentlich schon. Es gäbe da etwas zu besprechen. Über Dopingopfer, die gegen Dopingopfer kämpfen.
Also los. Aber wie beginnen? Sie übernimmt zum Glück und erinnert an eine Begegnung vor über zwei Jahren im gleichen Lokal. Damals zoffte sie sich mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Sie führte einen Kampf mit den Funktionären. Damals sagte Ines Geipel, sie sei des Kämpfens müde. Aber Ines Geipel, 58, deren Zerbrechlichkeit wohl eher ein Phänomen oberflächlicher Betrachtung ist, kämpfte weiter, denn sie kann Dinge aushalten und durchstehen. Ines Geipel kämpft, wenn es sein muss, auch mit harten Bandagen. Genauso wie ihre Gegner.
Für die Opfer, oder besser für die Betroffenen des Staatsdopings, deren Gesundheit nach einem Plan mit der Nummer 14.25 geprägt wurde, ist das immer eine gute Nachricht gewesen. Nach einer ersten Entschädigungszahlung an etwa 200 Dopingopfer wurde 2016 ein zweites Entschädigungsgesetz verabschiedet. 10,5 Millionen Euro stehen bereit für voraussichtlich 1.000 Exsportler des Sport-Clubs Dynamo Berlin oder von Empor Rostock.
Das war ein großer Erfolg für den Doping-Opfer-Hilfeverein, DOH, dem Ines Geipel, in den 80ern Sprinterin beim SC Motor Jena, vorsitzt. Sie hat es sogar geschafft, dass die Frist, bis zu der sich Betroffene beim Bundesverwaltungsamt melden können, immer weiter nach hinten verschoben wurde. Anträge können jetzt bis Ende 2019 eingereicht werden. Und im Sportausschuss des Bundestages wird die Aufstockung der Entschädigungssumme diskutiert. Von über 13 Millionen Euro ist die Rede.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Man könnte sagen: Es läuft nicht schlecht für den DOH. Die Politik hat verstanden, ja selbst die Funktionäre mauern nicht mehr, wenn es um die Anliegen der Geschädigten geht. Ines Geipel, Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, könnte sich zurück lehnen und überlegen, wie sie den DOH neu aufstellt, ihn vielleicht umbenennt in „Verein für Fairness im Sport“ und eine Vereinsstruktur schafft, die ihre Anwesenheit nicht mehr erforderlich macht. Sie könnte sich mehr auf ihr literarisches Schaffen konzentrieren und Romane schreiben wie zuletzt über die Adoptivtochter von Walter Ulbricht, ja, all das könnte sie tun, wenn es da nicht auch diesen Gegenwind gäbe, der ihr aus einer unerwarteten Richtung hart ins Gesicht bläst.
Ein unheimlicher Streit
Ines Geipel hat den DOH verändert, und viele ehemaligen Mitstreiterinnen und Mitstreiter sagen: nicht nur zum Guten. Es sei ein Ines-Geipel-Verein daraus geworden mit Ines-Geipel-Doktrin und Mitarbeiterinnen, die Ines Geipel hörig seien. Von Autokratie ist die Rede, von Mobbing und böswilligen Unterstellungen. Völlig geräuschlos ging es nie zu rund um den DOH.
Das erscheint auch abwegig, denn am Sporterbe der DDR zerren so viele Leute, hier kollidieren so viele Interessen, dass es im Kampf um die Deutungshoheit nicht zimperlich zugehen kann. Die Wucht der Auseinandersetzung zwischen Ehemaligen und Ines Geipel ist aber mittlerweile so groß, dass sie sich nicht mehr so einfach wegwischen lässt.
Uwe Trömer, Dopingopfer
Es ist ein unheimlicher Streit, weil, vereinfacht gesagt, die Guten gegen die Guten kämpfen und den Bösen damit vielleicht in die Hände spielen. Es ist aber auch ein unheimlicher Streit, weil man als Rechercheur das Gefühl hat, knietief in einem Sumpf aus Vorhaltungen, Neidkomplexen und gekränkter Eitelkeit zu waten und nicht so recht weiß, wie man sich von da aus wieder auf eine Sachebene begeben kann. Neuerlich hochgekocht ist der Konflikt nach einem Bericht des in Neubrandenburg erscheinenden Nordkurier. Titel des Artikels: „Wie sauber ist die Hilfe für Opfer von DDR-Doping?“
Der Verfasser, Thomas Krause, hat sich bislang wohl eher nicht mit der Materie „Dopingopferhilfe“ befasst, er wurde zum Autor des Stückes, weil in seiner Stadt der stasi- und dopingbelastete Leichtathletiktrainer Dieter Kollark („IM Alexander“) arbeitet und weil Vorwürfe des Minderjährigendopings aufgekommen sind, die der 73-jährige Kollark vehement bestreitet; gegen die FAZ und den Tagesspiegel ist er deswegen juristisch vorgegangen.
„Sie pusht die Zahlen, sie pusht ihre Person“
Kollark behauptet, da reime sich ein vermeintliches Dopingopfer eine Geschichte zusammen, um an die Entschädigungszahlung von 10.500 Euro zu kommen. Weil das Thema Trittbrettfahrer auch die Geipel-Gegner umtreibt, haben sich einige von ihnen beim Nordkurier gemeldet und über ihre Sicht auf den DOH gesprochen. Krause zitiert die Dopingopfer Marie Katrin Kanitz, eine ehemalige Eiskunstläuferin, und Uwe Trömer, Ex-Radsportler des SC Turbine Erfurt. Die Vorwürfe: Ines Geipel manipuliere die Zahl der Dopingopfer und auch die Zahl derer, die aufgrund des Medikamentenmissbrauchs gestorben seien – die sogenannte Todesliste, auf der angeblich 500 Sportler stehen. Sie sprechen von Schwindel und Täuschung.
Beide kennen Ines Geipel und ihren Verein sehr gut, denn sie haben für ihn gearbeitet. Trömer ist 2015 ausgetreten, Kanitz zwei Jahre später. Als sich Trömer abwendete, wurde ihm unterstellt, in die Vereinskasse gegriffen und sich vor Arbeit gedrückt zu haben. Dieser Zeitung sagt er: „Sie pusht die Zahlen, sie pusht ihre Person. Bevor ich andere nass mache, sollte ich bei mir anfangen.“ Und weiter: „Sie verfährt eindeutig nach der Maxime: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Sie denkt, dass sie die absolute Gute ist und somit das Recht hat, jeden plattzumachen, der ihr in die Quere kommt.“ Er habe die ganzen Übertreibungen satt, sagt er, ganz zu schweigen von der Diskreditierung seiner Person.
„Man muss eine Sache, die schon schlimm genug ist, nicht noch schlimmer machen“, sagt er und bezieht sich auf die Schäden der Sportler und die Skrupellosigkeit der DDR-Sportfunktionäre. Ihn stört, dass sie versuche, immer noch einen drauf zu setzen. Dass sie sich offensichtlich in einem Überbietungswettstreit des Elends und der Traumata befinde. Trömer nennt Beispiele: Nun werde sogar wider besseres Wissen behauptet, dass in der DDR mit EPO gedopt worden sei. Dass ganze Fußballmannschaften bis in die Kreisliga hinein „auf Droge“ gewesen seien, vorzugsweise mit Faustan, was aber eher dem Tiefschlaf als der Leistung förderlich gewesen sei.
Im harmlosen Vitaminpräparat Dynvital habe bisweilen angeblich das gefährliche und nicht zugelassene Medikament STS 646 gesteckt. Auch die zweite Generation der Dopingopfer, also vermeintlich traumatisierte Söhne und Töchter, müssten entschädigt werden, weil die Schäden, quasi epigenetisch, auf die Kinder übergegangen seien. „Das ist doch Quatsch“, findet Trömer und hat darin einen Unterstützer im Molekularbiologen Werner Franke, dem vielleicht renommiertesten Dopingaufklärer dieses Landes.
Lüge, Vernichtung, Zersetzung
Als sie von der taz die Anfrage erhält, ob sie nicht Zeit hätte, sich zur Causa Nordkurier zu äußern, sagt die DOH-Chefin zu und schickt wenig später ungefragt eine E-Mail, deren Inhalt einen geradezu erschlägt. Darin finden sich intime Mails, Marie Katrin Kanitz betreffend. Ines Geipel versucht, Kanitz als Zeugin unmöglich zu machen, weil diese „hochpsychotisch“ sei. Man solle ihr nicht glauben. Kanitz geht freilich offen und selbstkritisch mit ihrer Krankheit um. Sie gleitet im Rahmen ihrer bipolaren Störung immer wieder in psychotische Phasen ab, das gibt sie unumwunden zu.
Die Vorwürfe, die Marie Katrin Kanitz formuliert und die vor allem den Umgang mit Kritik sowie beim DOH in Ungnade gefallene Personen betreffen, erscheinen durchaus substanziell. Es passt ins Bild, dass auch der Nordkurier mit Anwürfen heftiger Art überzogen wird. Ines Geipel interveniert bei der Chefredaktion des Provinzblatts, spricht von „Verwahrlosungsjournalismus“ und wendet sich mit einem Schreiben an den Presserat. Hinter der Berichterstattung vermutet sie „Stasi-Seilschaften“.
Lobbyarbeit ist nichts für Weicheier, schon klar, aber warum geht sie mit stählerner Härte gegen Kritiker vor? Warum wird sie derart persönlich? Das wollen wir von ihr wissen an jenem sonnigen Morgen im Café in Berlin-Schöneberg. Sie sei nun mal den Opfern verpflichtet, den vielen Tausenden, antwortet sie. Tränen fließen. Sie fängt sich wieder, um bei der nächsten kritischen Frage erneut zusammenzubrechen. Dann solle die taz eben schreiben, dass sie ein Monster sei, sagt sie verquält. Völlig verdattert und auch ein bisschen überfordert sitzt man ihr gegenüber. Puh. Unschöner Nebeneffekt der Szene: Man fühlt sich selbst wie ein Monster, weil man diese Fragen zu stellen wagt. Und diesen Text schreibt.
Was nun? Wie weiter? Im Gespräch geht es jetzt um den letzten Abgänger im DOH, Henner Misersky, Mitglied der Hall of Fame des deutschen Sports. Der 78-Jährige ist im Osten eine Ikone des Antidopingkampfs. Im Frühjahr ist er aus dem DOH ausgetreten. Der ehemalige Athlet und Trainer aus Thüringen findet, dass die meisten erwachsenen Athleten sehr wohl wussten, dass es sich bei den blauen Pillen um Oral-Turinabol handelte. Das sieht Ines Geipel anders. Aber auf der Ebene eines sachlichen Streits bewegen sich die beiden schon längst nicht mehr. Es ist wieder einmal verdammt persönlich geworden. Lüge, Vernichtung, Zersetzung – auf dieser Ebene bewegt man sich. Klären können das wohl nur Gerichte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Wahlkampfchancen der Grünen
Da geht noch was
Legalisierung von Abtreibungen
Die vorerst letzte Möglichkeit nutzen