: Die Ästhetiken des Netzes mit Mitteln des Netzes kritisieren
Als das Internet noch frisch war: Eine Ausstellung in der Panke.gallery zeigt Berliner „net.art“, Netzkunst gestern und heute
Von Martin Conrads
Es sei der Monitor „eines ziemlich altmodisch anmutenden Terminals, der noch aus der Zeit des Lochkartensystems stammen könnte“, ein Kasten, der „eher an einen Hamsterkäfig als an ein funktionstüchtiges Gerät“ erinnere. Es ist Anfang 1995, „ungefähr 23 Uhr, DJ Mike legt entspannten Ambient Techno auf“, und „wir befinden uns im Szene-Club Friseur“.
Das, was Kirsten Niemann hier seinerzeit für die längst verblichene Digital-Rubrik der Berlinkulturseiten der taz, „Schirm & Chiffre“ beschrieb, war ein Terminal des Berliner Clubnetz. Als in sich geschlossenes Kommunikationssystem verband es in dieser noch weitgehend internetlosen Zeit verschiedene Ost-Berliner Clubs mit Hilfe einer angezapften Telefonleitung. Auf Basis des Internetdienstes „Internet Relay Chat“ ermöglichte das Clubnetz ausgehenden RaverInnen und angehenden InterneturbanistInnen – oft erstmals – elektronisch anonymen Plausch. Das unter anderem von KünstlerInnen des Internetprojekts „Internationale Stadt Berlin“ entwickelte System gehört so zur Geschichte Berliner Netzkultur im Allgemeinen und zur Geschichte Berliner Netzkunst im Besonderen.
Auf einem gerahmten Farbfotoabzug sieht man dieses Terminal nun in einer von der Kuratorin Tabea Rossol und dem Kunsthistoriker Robert Sakrowski konzipierten Ausstellung in der seit ihrer Eröffnung 2017 ehedem auf digitale und netzbasierte Künste setzenden panke.gallery. „Berlin, Zentrum der Netzkunst – damals und heute“ zeigt manche längst aus dem Netz verschwundenen, in Berlin entstandenen Arbeiten aus der frühen Zeit dieses Kunstgenres in teils technisch rekonstruierter oder transformierter Form.
In Verbindung gesetzt werden diese Werke mit aktuelleren Arbeiten in Berlin lebender KünstlerInnen, die man grob dem seit den 2010er Jahren populär gewordenen Genre der weitgehend ökonomisch anschlussfähigen „Postinternet Art“ zurechnen kann – Kunst, die nicht zwangsläufig im und mit dem Internet stattfindet, die aber ohne die ästhetischen, gesellschaftlichen und technologischen Bedingungen und Effekte digitaler und vernetzter Medien nicht denk- und visualisierbar wäre.
Die historische Netzkunst, „net.art“, zeichnete sich in den 1990er Jahren hingegen dadurch aus, dass dabei Techniken und Ästhetiken des Netzes mit Mitteln des Netzes im Netz angeeignet, parodiert, kritisiert und vorgedacht wurden.
Gezeigt wird eine Auswahl von frühen Arbeiten, die nicht zuletzt deswegen Maßstäbe setzten, weil ihre Zahl überschaubar war. „Computer Aided Curating“ (C@C) gehörte dazu, eine von Eva Grubinger und Thomas Kaulmann konzipierte und im Dezember 1994 erstmals in der Galerie Eigen+Art per Terminal ausgestellte webbasierte Plattform. KünstlerInnen sollten darauf per Link KünstlerInnen kuratieren und dabei auch eigene, netzspezifische Projekte vorstellen und zu deren Kauf anregen. Schon damals ging die Verlinkung aber nicht über gut zwei Projekte hinaus.
Das so minimalistische wie nach heutigen Gestaltungsansprüchen unbeholfen wirkende C@C nach rund einem Vierteljahrhundert wieder in alter Soft- und Hardwareversion auf einem Monitor flackern zu sehen, ist nicht nur eine Freude für MedienarchäologInnen, sondern auch für die, die nach den grafischen Ursprüngen dessen suchen, was vor zwei Jahren im Webdesign als „Brutalismus“ hoch gehandelt wurde.
Auch Holger Frieses „unendlich, fast …“ von 1995, 1997 auf der documenta gezeigt, ist so eine Wiederentdeckung. Der meditativ-sarkastische Verweigerungswitz, der lediglich ein (auf 2000 Prozent vergrößertes) blaues GIF auf einer HTML-basierten Website zeigt, die man entsprechend horizontal und vertikal fast unendlich lang scrollen kann, erklärt sich im Nachhinein vor allem technisch: Für die Ausstellung musste die Internetverbindung der Arbeit künstlich gedrosselt werden, da das früher minutenlang dauernde Scrollen nun in einer Sekunde zu haben ist.
UdK-AbsolventInnen im Alter von „unendlich, fast …“, die zum Eröffnungsabend vorbeikommen, finden an der auf einem Uralt-Apple-Monitor gezeigten Arbeit diesen Punkt dann auch am interessantesten, wenden sich ansonsten aber lieber den aktuelleren Arbeiten auf den handelsüblichen Großformatigen zu: „Berlin Startup Case Mod: SoundCloud“ (2014) von Simon Denny etwa, ein „skulpturales Porträt“ des gleichnamigen Berliner Unternehmens, bei dem ein Monitor nur als Unterbau einer Hardwarekomponente dient oder „robotron – a tech opera“ (2018) von Nadja Buttendorf, eine „DIY YouTube sci-fi soap opera“, bei der die Künstlerin die Geschichte der ostdeutschen Computerfirma als Blaupause für Schmink-Tutorials im DDR-Style in allen Rollen durchaus komisch selbst imaginiert: „Stasi war voll Instagram!“
Im Netzkunst-Umkehrschluss könnte man sagen: HTML war voll der späte Kohl.
panke.gallery, Gerichtstr. 23, Gesundbrunnen, Mi.–Sa. 15–19 Uhr, bis 23. November
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen