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Kolumne Blind mit KindUnter Beobachtung

Blinde Eltern werden ständig überprüft. Nicht nur im Jugendamt, auch im Busund in der Nachbarschaft wird geguckt und kommentiert.

Auch auf dem Spielplatz unter Beobachtung Foto: dpa

Wir wollen Ihnen das Kind ja nicht gleich wegnehmen, aber wir müssen doch mal nachschauen!“, sagte die Dame vom Jugendamt. „Ah“, erwiderte ich schlagfertig und unterdrückte den Reflex, den Aus-Knopf des Telefons zu betätigen.

Das Kind war gerade vier Monate alt und spielte neben mir in der Wippe das Kuckuck-Spiel, indem es sich seine Decke übers Gesicht zog und lachend wieder hervorkam. Das hatte schon im Rückbildungskurs Panik bei besorgten Müttern ausgelöst: Das Kind erstickt und die blinde Mutter sieht es nicht! Hatten die mich beim Jugendamt angeschwärzt?

Nein, das war der Kinder- und Jugendgesundheitsdienst (KJGD), der alle jungen Eltern mit Ratgebern und Kinderzahnbürste im Gepäck Zuhause besucht, um Tipps zu geben. Es war ein nettes Gespräch und in die einzige Feststellung gemündet, dass das Baby schon laut lachen könne, wo andere nur lächeln – bestimmt, weil wir beide blind sind! Wir bekamen die Zahnbürste, den heißen Tipp erhielt in diesem Fall wohl das Jugendamt.

Warum wir? Warum jetzt, wo wir gerade unsere eigenen Zweifel besiegt hatten? Warum überprüfen die nicht mal die Leute, bei denen die Kinder wirklich verwahrlost in der Ecke verhungern? Doch es half ja nichts: Dann kommt eben und schaut nach!

Als Eltern TÜV-geprüft?

KJGD und Jugendamt kamen. Wieder war es ein nettes Gespräch. Wir erzählten, dass sich Wickeln als barrierefreie Tätigkeit herausgestellt hatte – haptisch und geruchlich gut erfahrbar! Das Jugendamt schlug vor, das Kind an die Leine zu nehmen, sobald es laufen könne. Gute Idee – links der Hund, rechts das Kind! Wir zeigten eine „inklusive“ Ausgabe der „Raupe Nimmersatt“ – schön bunt, aber doch taktil und mit Punktschrift versehen. Wir wurden als reflektiert und vorbereitet genug befunden. Das Jugendamt schloss die Akte.

Happy End – TÜV-geprüfte Eltern sozusagen!? Nein, die Überprüfung geht weiter – im Bus, im Kindercafé oder im Wartezimmer der Tierärztin. Vor allem in der Nachbarschaft wird genau geguckt und kommentiert, ob das Kind sicher über die Straße kommt, ob es hübsch und sauber angezogen ist (kein Kleinkind ist das nach Spaghetti mit Tomatensoße!) und ob es schon die Farben richtig benennen kann – trotz unserer Blindheit.

An guten Tagen finde ich das aufmerksam und hilfsbereit und es ist natürlich auch besser, das Jugendamt kontrolliert einmal zu viel als einmal zu wenig! Ich erkläre ja gern, wie das alles läuft bei uns. Doch an schlechten Tagen habe ich einfach keine Lust auf diese umgekehrte Beweislast: Warum müssen wir in Zeiten postulierter Gleichstellung und Inklusion überhaupt beweisen, dass wir normal leben und gute Eltern sein können – trotz unserer Blindheit? Der Weg zur allseits gefühlten Normalität ist noch ein Stückchen weit – sonst würde ich hier gar nicht schreiben. Was mache ich also, wenn ich mich unterwegs mal wieder zu sehr ärgere? Einfach weitergehen und laut lachen – wie meine Tochter.

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3 Kommentare

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  • "Warum müssen wir in Zeiten postulierter Gleichstellung und Inklusion überhaupt beweisen, dass wir normal leben und gute Eltern sein können – trotz unserer Blindheit?"

    Weil Inklusion und Gleichstellung nichts am Wesen einer Behinderung ändern. Dem linken Dogma zum Trotz ist eine Behinderung eben kein soziales Konstrukt, sondern eine reale Einschränkung grundlegender menschlicher Fähigkeiten. Dass zwei Menschen ohne Augenlicht angemessen für ein Kind sorgen können, ist aus meiner Sicht keine Selbstverständlichkeit. Ich finde es daher nachvollziehbar, dass das Jugendamt ein Auge auf das Kind hat und sehe darin keinen Ausdruck von Behindertenfeindlichkeit.

    • @Thomas Friedrich:

      Ein großes Problem für blinde Menschen kann man an Ihrem Beitrag ablesen. Offensichtlich haben Sie nahezu keine Erfahrung mit blinden Menschen. Trotzdem Leben Sie Ihre Vorurteile hier auch öffentlich mit Nachdruck aus. Ich würde mir Wünschen, dass Leute wie Sie sich entweder zurückhalten oder sich bilden würden.

      Ich bin nur ein Vater der ein ziemlich blindes Kind fit macht und kann daher - da nicht selbst betroffen - die Heftigkeit der im Artikel beschriebenen Vorurteile im täglichen Leben nur zum Teil nachvollziehen (und der reicht mir schon).

      Seien Sie sich sicher: wie in allen anderen Lebensbereichen sind laute Leute ohne Plan echt die Pest. Oft kann man denen aus dem Weg gehen, aber blind unterwegs zu sein, hat auch etwas von einem Scheiße-Magnet. Inwiefern das zum Wesen der Behinderung gehört, konnte mir auch noch keiner erklären.

    • @Thomas Friedrich:

      Es geht nicht ums nachvollziehbare "ein Auge auf das Kind haben" - obwohl die Formulierung schon ein Geschmäckle gerade in diesem Kontext hat. Sagen wir lieber: das Wohl des Kindes zu begleiten. Nein, es geht darum, dass den Eltern nicht etwa tätige Unterstützung zuteil wird, wo sie als erforderlich angesehen werden sollte, sondern in aller Offenheit geäußert wir: "Wir wollen Ihnen das Kind ja nicht GLEICH wegnehmen." Wo Sie von "linkem Dogma" sprechen und somit ein Antilinker sind, hoffentlich ein liberaler, da müssten Sie doch sofort "DDR!" schreien, wenn so agiert wird.