: Mit sozialen Medien zum Machtwechsel
In Malaysia waren die sozialen Medien bei den Parlamentswahlen im Mai der wichtigste Kanal der erstmals überhaupt siegreichen Opposition
Von Annabelle Lee und Farah Fazanna Zulzaha
Malaysias Parlamentswahlen am 23. Mai hatten den ersten Regierungswechsel seit der Unabhängigkeit von den Briten im Jahr 1957 zur Folge. Es war ein harter Wahlkampf, bei dem alle Parteien aggressiv soziale Medien nutzten, um Wähler zu mobilisieren.
Die ca. 6,1 Millionen 21- bis 39-Jährigen bildeten mit 40,9 Prozent die größte Wählergruppe. Diese Altersgruppe nutzt regelmäßig soziale Netzwerke, vor allem Facebook, als Quelle für Informationen und Nachrichten.
Malaysias Mainstream-Medien gehören zumeist den politischen Parteien der bisherigen Regierungskoalition. Sie neigten deshalb dazu, positiv über ihre Besitzer zu berichten. In Verbindung mit ihren gut ausgestatteten Social-Media-Teams hatten Regierungspolitiker so das Monopol über die traditionellen wie die Onlinemedien.
Die oppositionelle „Koalition der Hoffnung“ (Pakatan Harapan) wurde dagegen in den Massenmedien (Print, Radio, TV, Online) nur beschränkt oder verzerrt dargestellt. Abgesehen von den wenigen unabhängigen Medien konnte die Opposition potenzielle Wähler nur über soziale Medien erreichen. Dabei half es der Opposition enorm, Wähler kostengünstig über ihre Smartphones per Facebook live anzusprechen. So konnten Pressekonferenzen, Kundgebungen und Wahlveranstaltungen direkt übertragen werden. Dieser Schlagabtausch gipfelte in der Nacht vor der Wahl. Die letzte große Wahlkampfrede des bisherigen Ministerpräsidenten Najib Razak übertrugen drei staatliche und private Fernsehsender, ein Internetsender und seine offizielle Facebook-Seite.
Konstitutionelle Wahlmonarchie mit Sonderrechten für Muslime. König Muhamad V. seit 2016. Premier Mahathir M. seit Mai 2018
Amtssprache: Malaysisch
Einwohner: 32 Mio. In Prozent: Malaien 50, Chinesen 23, Inder 7, Indigene 7
Religion in Prozent: Muslime 61, Buddhisten 20, Christen 9, Hindus 6
Pro-Kopf-BSP: 29.000 Dollar
Armutsrate: 3,8 Prozent
ROG-Rangliste Pressefreiheit 2018: 145 (2017: 144)
Die gleichzeitige Abschlussrede von Oppositionsführer Mahathir Mohamad wurde dagegen nur auf Facebook live ausgestrahlt. Um diesen Nachteil auszugleichen, organisierten die Oppositionsparteien landesweit Wahlpartys, auf denen Großbildschirme die Rede zeigten.
Najibs Social-Media-Team hatte wegen dessen mutmaßlicher Verwicklung in den Korruptionsskandal um den ihm unterstehenden Staatsfonds 1MDB die schwierige Aufgabe, sein stark angekratztes Image aufzupolieren. So wurden sehr aufwendige Kampagnenvideos produziert. Darin wurden die Megaverkehrsprojekte hervorgehoben, die Najib versprochen hatte. Auch tauchten in den Videos über ihn viele beliebte Prominente auf.
Diese Kampagnenvideos kamen gut an, erschienen aber oft als gesponserte Facebook-Posts sowie als Twitter- und YouTube-Werbung. Eines der erfolgreichsten Kampagnenvideos der Opposition sprach hingegen die Emotionen an. Es zeigte Kinder, die sich über die hohen Lebenshaltungskosten beschwerten. Am Ende versprach ein den Tränen naher Oppositionsführer Mahathir, das Land vor einem wirtschaftlichen Desaster zu retten. Das per Facebook und Twitter verbreitete Video wurde allein in den ersten zwei Tagen mehr als 400.000-mal aufgerufen.
Der inzwischen 93-jährige Mahathir inszenierte sich selbst als versierten Social-Media-Nutzer. Er zeigte dabei nicht nur Emotionen, sondern auch Charisma und Witz. Das half ihm bei der jüngeren Generation, die ihn nicht erlebt hatte, als er von 1981 bis 2003 schon einmal Premierminister war.
Ein entscheidender Moment war, als Mahathir in einem Onlineforum plötzlich bei der Frage intervenierte, ob er nicht zu alt sei für den Job des Premiers. „Ich bin hier, Jungs. Sagt es mir doch ins Gesicht“, tweetete Mahathir. Sein Tweet wurde sogleich 14.000-mal retweetet und brachte ihm viele neue Fans ein.
Am Ende verlor Najibs Regierungskoalition bekanntlich trotz ihres ausgeklügelten und finanziell gut ausgestatteten Apparats die Wahl sehr deutlich. Nach sechs Jahrzehnten an der Macht gewann sie in nur zwei von dreizehn Staaten und kam im Unterhaus auf nur noch 79 von 222 Sitzen. Letztlich war die auf die sozioökonomischen Probleme setzende Social-Media-Strategie der Opposition erfolgreich.
Farah Fazanna Zulzaha, 30, studiert Journalismus und Globalisierung in Hamburg und Aarhus.
Annabelle Lee, 25, ist Redakteurin bei der Onlinezeitung Malaysiakini in Kuala Lumpur.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen