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„Wer ein Kinderbuch schreibt, darf ein bisschen spinnen“

Melina Burmeister klärt über die Globalisierung auf, spart sich aber den Aufruf zum Gemüseanbau aufzuklären

Hat eine bewegte Vergangenheit, die sie in ihrem neuen Kinderbuch verarbeitet: Melina Burmeister Foto: Miguel Ferraz

Interview Jan Paersch

taz: Frau Burmeister, Sie haben das Kinderbuch „Liselotte Zottelwind bekommt Besuch aus Chile“ geschrieben. Darin heißt es über die Protagonistin: „Liselotte liebt das Meer, es verbindet sie mit der weiten Welt.“ Trifft das auch auf Sie zu?

Melina Burmeister: In dem Buch steckt viel Autobiographisches. Genau wie Liselotte bin ich in Nordfriesland hinterm Deich aufgewachsen. Die totale Idylle: auf einem Resthof, mit Hühnern, Ponys, Hund und Katze. Aber ich hatte schon immer den Drang, in die Welt hinauszugehen.

Das Buch ist auch von Ihren Reisen durch Südamerika inspiriert. Wie entstand Ihre Liebe zu diesem Kontinent?

Ich sah einen Dokumentarfilm über Silberminen in Bolivien. Das hat mich betroffen gemacht, aber auch sehr beeindruckt – da wollte ich hin. Nach dem Abitur habe ich zunächst ein Jahr Au-pair in Madrid gemacht. Dann fing ich in Hamburg eine Ausbildung als Marketing-Kauffrau an. Aber für große Energieunternehmen wollte ich keine Werbung machen. Also ging ich zurück nach Madrid und studierte dort Tourismus. Ein Stipendium für Chile brachte mich dann nach Südamerika, wo ich ein Jahr verbrachte. Ich reiste über Buenos Aires und Uruguay nach Santiago de Chile. Und dann noch 750 Kilometer weiter südlich nach Valdivia.

Warum dorthin?

Es ist landschaftlich wunderschön, die Menschen sind liebevoller und herzlicher als in Europa. Alles ist entschleunigter. Die meisten Touristen fahren entweder nach Patagonien oder in die Wüsten des Nordens, ich war in der Regenwald-reichen Mitte. Die Nazca-Platte stößt dort mit der Südamerikanischen Platte zusammen, deshalb gibt es viele Vulkane.

In „Liselotte Zottelwind“ kommt auch eine Erdbeben-Szene vor.

Mir erging es genauso wie meiner Heldin im Buch: Die Erde hatte kaum zu wackeln angefangen, da waren die Chilenen schon aus dem Haus gerannt. Ich dagegen saß noch drinnen und schaute erstaunt auf die Wände. In Valdivia gibt es noch viele alte Hütten und Kolonialbauten. Manche davon haben, wenn auch schief, die zahlreichen Erdbeben überlebt.

Europäische Kolonialisierung hat gerade diesen Teil von Chile stark geprägt.

Diese Durchmischung ist interessant: Zuerst waren die indigenen Mapuche dort, dann kamen die Spanier und ab 1850 die Deutschen. Die Chilenen gaben ihnen Land zum Bewirtschaften. Dieser Einfluss schlägt sich in der Alltagskultur nieder: Um 16 Uhr isst man „Kuchen“ – man verwendet dort das deutsche Wort. Diese Vermischung der Gen-Pools ergibt spannende Gesichter: dunkle Haut, helle Augen. Der Freund, der das Vorbild für meine Mapuche-Figur war, trägt dank seines deutschen Urgroßvaters den Namen „Alex Möller“.

Im Buch heißt er Nahuel Pangi.

Nun, es wäre für ein Kinderbuch zu viel gewesen, die ganze Kolonialgeschichte zu erklären. Aber der Moment, in dem eines der Kinder zu Nahuel sagt: „Du siehst gar nicht aus wie ein Indianer“ war mir wichtig. Das ist ein Bild, das wir im Westen kreiert haben. Wenn jemand nicht in unser Bild eines „Indianers“ passt, ist er unglaubwürdig. In unserer globalisierten Welt ist es wichtig, solche Stigmatisierungen abzubauen. Ganz ohne Vereinfachungen komme ich nicht an die Kinder heran.

Was machten Sie denn in Valdivia?

Ich habe mich wenig mit meinem konkreten Studiengang beschäftigt, sondern mit der An­thropologie der Mapuche-Indios, sowie lateinamerikanischer und frühkolonialer Geschichte. Ich habe dann angefangen, in einem Museum zu arbeiten, das in den Ruinen einer deutschen Reederei aufgebaut worden war. Die war 1960 durch das schwerste Erdbeben aller Zeiten zerstört worden, folglich errichtete man dort ein Erdbeben-Museum.

Was waren Ihre Aufgaben dort?

Ich habe Führungen und Übersetzungen gemacht, mich in Plattentektonik und örtliche Geschichte eingelesen und Zeitzeugen für ein Bildungsprojekt befragt. Es ist wichtig, die Leute daran zu erinnern, keine unsicheren Gebiete zu bebauen und einen Notkoffer zu packen. Oder schlicht daran, dass die Gasleitung abgestellt werden muss! Jeden Tag bin ich mit einem Ruderboot auf die Museums-Insel gepaddelt. Einmal sprang mir ein Seelöwe ins Boot. Später habe ich auf der Insel gewohnt, ohne Internet und Telefon.

Sie scheinen ein neugieriger Mensch zu sein.

Als ich mich für Chile beworben habe, habe ich Faust zitiert. Ich wollte wissen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Den Drang hatte ich wohl schon immer. Als Kind konnte meine Mutter mich nie überzeugen, etwas zu tun, es sei denn, ich habe es wirklich verstanden. Auf meinen Reisen wollte ich verstehen, wie man von außen auf Europa schaut.

Wie schaut man denn?

Wir sind einfach drüber, total neurotisch! Wir gebären uns wahnsinnig individuell.

Das Alleine-Reisen ist sicher nicht immer einfach.

Ich habe mir damit auch selbst bewiesen, was ich kann. Ich wollte dabei nie diesem für Rucksack-Touristen typischen Wetteifern verfallen und möglichst viele Orte abhaken. Natürlich zweifelt man auch. Die Daheimgebliebenen bekommen ja selten mit, wenn es einem schlecht geht. Man steigt in den falschen Bus und fährt um 5 Uhr morgens in das schlimmste Viertel der Stadt. Da sitzt man dann am Arsch der Welt, und hat einfach Angst. Aber letztlich ist alles gut gegangen.

Nach ihrem Südamerika-Jahr haben Sie in Madrid Ihr Tourismus-Studium beendet.

Das war die perfekte Mischung aus Sozial- und Kulturwissenschaften, plus BWL. In einem sehr prägenden Seminar ging es um Entscheidungen in UN, Nato und Weltsicherheitsrat. Unser Professor hat deren Entscheidungen nie als ungerecht bezeichnet, wir sollten uns unser eigenes Urteil bilden. Er meinte: „Es wird alles noch beschissener.“ Spanien war zu dem Zeitpunkt mitten in der Wirtschaftskrise. Und er hatte recht! Ich bin dann zu dem Schluss gekommen: Ich muss etwas unternehmen, weil ich die Chance dazu habe. Ich wollte meine Werte weitertragen. Viele leben in einem System, in dem es egal ist, was man sagt. Wer in Südamerika eine Frau ist, wird kaum gehört.

Wie haben Sie die Wirtschaftskrise 2011 in Spanien erlebt?

Plötzlich lebten mehr Menschen in meiner Straße – nämlich auf der Straße. Viele Kommilitonen konnten nicht mehr studieren, wurden mitsamt Familie aus der Wohnung geworfen. Wir hatten keine Heizung mehr an der Universität, die Bibliothek hatte kaum noch auf. Es war beklemmend. Ich habe mir dann ernsthaft Gedanken darüber gemacht, wo ich mein Essen herbekommen sollte – in den Supermärkten waren plötzlich viele Regale leer. Dann merkte ich, dass ich nicht so einfach eigene Tomaten züchten kann, denn die gängigen Pflanzen sind Hybride. Aber Saatgut war nicht leicht zu bekommen, denn Monsanto kontrollierte Verkauf und Zucht. Grundbedürfnisse liegen in der Macht von Großkonzernen – das war eine schlimme Erkenntnis.

Was tun?

Ich wollte dann mit meinem Freund in kompletter Autarkie leben. Sich verschanzen, und jeden abknallen, der auf unser Grundstück kommt. Wir sind zurück nach Deutschland und haben es in Nordfriesland mit einer Light-Version versucht: Hühner gekauft, einen Gemüsegarten angelegt, eine Komposttoilette gebaut. Aber auch das hat nicht funktioniert.

Warum nicht?

Es gibt die Legende von der chilenischen Muschel, die, um Ressourcen zu sparen, ihr Gehirn frisst, sobald sie irgendwo permanent angedockt hat. So kamen wir uns vor. Wir haben wenig mitbekommen. Aber es ist keine Lösung, sich von der Welt abzukapseln. Wir sind dann, nach einem Zwischenstopp in der provenzalischen Heimat meines Lebensgefährten, nach Hamburg gezogen. Da war das Buch schon fast fertig.

Viele Eltern haben sich Geschichten für ihre Kinder ausgedacht und daraus ein Buch gemacht, berühmtestes Beispiel ist wohl Astrid Lindgren. Warum schreiben Sie?

Melina Burmeister, 30, hat Tourismus in Madrid und Chile studiert, in einem Erdbebenmuseum gearbeitet, eine Gemüsegartenkooperative gegründet und Geflüchtete in Nordfriesland unterrichtet. Jetzt lebt Burmeister mit ihrer Familie in Hamburg-Eimsbüttel. Zurzeit läuft die Crowdfunding-Kampagne für ihr erstes Kinderbuch: https://www.startnext.com/liselotte-zottelwind.

Ich habe immer viel geschrieben, und mich permanent gefragt: Was gibt mir die Berechtigung, zu publizieren? Man macht sich schließlich angreifbar. Andererseits: Was gibt Daniela Katzenberger das Recht, ihre Biographie zu veröffentlichen? Meine Rechnung ist: Einer Person gefällt das, was ich schreibe, einer anderen nicht. Macht null. Aber wenn es mir selbst damit gut geht, ist das Ergebnis plus eins.

Sie stellen mit den Bräuchen und Mythen der Mapuche auch eine fremde Kultur vor.

Die Idee war zunächst, ein Buch für meinen Sohn zu machen und ihm zu zeigen, wie ich die Welt sehe. In unserem Bekanntenkreis gibt es etliche bi-nationale Pärchen. Aber vielen anderen muss man die Angst vor Menschen aus fremden Ländern erst nehmen. Kindern kann man das anerziehen. Ich möchte ihnen etwas an die Hand geben, auf das sie sich später berufen können. Globalisierung ist eines der bestimmenden Themen unserer Zeit, das andere ist der Klimawandel.

Im Buch geht es um Nachhaltigkeit, ohne dass der Begriff erwähnt wird.

Genau, ich möchte Optionen aufzeigen, aber niemandem didaktisch kommen. Du willst nicht belehrt werden, Gemüse anzubauen, du willst eine tolle Geschichte hören. Erwachsene brauchen Dramatik, man muss als Autorin viel von sich preisgeben. Ein Kinderbuch ist auch ein Raum für Utopie. Selbst wenn es ein wenig heile Welt darstellt, wird es nicht langweilig. Man darf ein bisschen spinnen.

Liselotte beschreiben Sie mit folgenden Worten: „Sie ist kein Mädchen, keine Hexe, keine Mama und auch keine Oma.“

Als Kind war das meine Vorstellung von der Zukunft: allein im Reetdachhaus, von Tieren umgeben. Ich habe mich immer selbstständig gesehen, und nicht mit Mann und Kind. Unsere Frauenbilder sind: femme fatale oder femme fragile, entweder Ektase oder Zerbrechlichkeit. Liselotte ist anders. Eine Frau muss nicht schrullig sein, und es sollte sie auch keiner bemitleiden, weil sie keinen abgekriegt hat. Das ist noch lange nicht bei allen angekommen.

Über Liselottes Vergangenheit oder Beruf erfährt man nichts.

Bei Peter Lustig hat das auch nie jemand wissen wollen. Für Kinder ist das unwichtig. Liselotte könnte Journalistin gewesen sein, oder sich politisch engagiert haben. Das ist egal, die Kinder haben bei Lesungen nicht gefragt. Auch nicht, wie ihre sexuelle Orientierung ist.

Warum veröffentlichen Sie im Eigenverlag?

Mir lag daran, das Buch nachhaltig zu produzieren. Viele Menschen wissen gar nicht, dass es alternative Banken gibt und viele Kinderbücher im Ausland gedruckt werden! Wir Konsumenten haben viel Macht, deshalb arbeite ich mit einer Umweltdruckerei zusammen. Wenn wir eine bessere Welt haben wollen, müssen wir unser Geld Unternehmen und Banken geben, die Gutes bewirken.

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