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14 Parlamente, 136 Minister: Wahlen in Bosnien-Herzegowina

In Bosnien-Herzegowina herrscht das komplizierteste politische System Europas, manche sagen: der ganzen Welt. Seit es 1995 mit dem Friedensabkommen von Dayton festgelegt wurde, besteht es aus zwei Entitäten: Föderation Bosnien und Herzegowina und Republika Srpska. Dazu kommt der Sonderdistrikt Brčko, der dem Gesamtstaat untersteht. Die Entitäten, der Gesamtstaat und der Sonderdistrikt haben jeweils eine eigene Exekutive und eine eigene Legislative.

Nun werden am 7. Oktober die Abgeordneten dieser Parlamente sowie die Mitglieder der Präsidentschaft gewählt. Hinzu kommen noch die Kantonsparlamente in der Föderation und das Parlament des eigenständigen Bezirks Brčko. Insgesamt werden 14 separate Parlamente, fünf Präsidenten, Hunderte politische Vertreter, darunter 136 Minister, neu bestimmt.

Die beiden „starken Männer“ der Republika Srpska, Milorad Dodik, und der Föderation, der Kroate Dragan Čović, kooperieren eng miteinander. Sollten sie wieder siegreich aus den Wahlen hervorgehen, steht zu befürchten, dass sich die Desintegration des Landes fortsetzt. Dodik verkündete in den letzten Jahren mehrmals seinen Wunsch, die serbische Entität vom Gesamtstaat loslösen zu wollen. Čović fordert dagegen vehement die Etablierung einer dritten, kroatisch dominierten Entität und damit die Auflösung der Föderation Bosnien und Herzegowina (bosniakisch-kroatische Föderation). Gemeinsam könnten Dodik und Čović das dritte Mitglied des Staatspräsidiums, eines Bosniaken, überstimmen.

Doch ihr Wahlsieg ist keineswegs sicher. Dodik hat mit dem bisherigen Mitglied im Staatspräsidium, dem Liberalen Mladen Ivanić, einen potenten Gegenkandidaten. Hinzu kommt, dass die seit Monaten wöchentlich bis zu Zehntausend Menschen mobilisierende Demonstrationsbewegung „Gerechtigkeit für David“ – die die Aufklärung des Mordes an dem jungen David Dragićević fordert – das gesamte etablierte System der Republika Srpska infrage stellt.

Auch der Sieg Dragan Čovićs ist gefährdet. Zwar kann seine Kroatische Demokratische Gemeinschaft HDZ-BiH mit einer komfortablen Mehrheit in der Westherzegowina und den kroatischen Enklaven Zentralbosniens rechnen, doch laut Gesetz können sich auch Muslime, also Bosniaken, bei den Präsidentschaftswahlen der Kroaten wählen lassen.

Als Gegenkandidat steht der in Sarajevo lebende Kroate Želko Komšić bereit, Čović zu schlagen. Der Gründer der Demokratischen Front ist ein Gegner der kroatischen Nationalisten und tritt für einen Bürgerstaat ein, in dem alle Bürger unabhängig von der Volkszugehörigkeit gleiche Rechte genießen. Die HDZ versuchte in den letzten Monaten vergeblich, das Wahlgesetz zu ändern. Sie beklagt, dass mit der Wahl Komšić kein „echter Kroate“, also kein Repräsentant der HDZ, im Staatspräsidium sitze.

Letztlich steht dem Präsidium des Landes noch der Hohe Repräsentant, Valentin Inzko, vor, gegen dessen Veto keine Gesetze erlassen werden können.

Erich Rathfelder, Sarajevo Mitarbeit: Sunny Riedel

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