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Für uns ist’s Zuhause

Mieter organisieren und vernetzen sich und bemühen sich um Kooperationen mit Politik und Verwaltung, um bezahlbaren Wohnraumin Berlin zu erhalten. Beim „urbanize!“-Festival präsentieren die Aktivist*Innen ihre Agenden – inspiriert von Projekten im Ausland

Von Sabine Weier

Mal wieder wehen in Neukölln bunte Stoffbanner von einer Altbaufassade. Die BewohnerInnen des Hauses Ecke Elbstraße und Weigandufer haben sie vor einigen Wochen beschrieben: „Das Milieu sind wir“, „gentrifizierungsresistent“, „Ihr nennt es Investition, für uns ist’s Zuhause“ und, wie ein Logo eingefasst von einem kleinen Häuschen mit rotem Dach: „ELWE44“. So nennt sich die Hausgemeinschaft, die sich nach dem Verkauf ihres Hauses an die Unternehmensgruppe Padovicz organisiert hat. Seit den 1990er Jahren kauft die Gruppe Häuser in Berlin und verdrängt MieterInnen systematisch. Im Netz haben Betroffene schon das „Padovicz Watch Blog“ eingerichtet, teilen Dokumente und Erfahrungen.

Sich organisieren ist der erste Schritt gegen Verdrängung. Sich mit anderen stadtpolitischen Initiativen vernetzen, auch über den Stadtrand hinaus, das ist der nächste. Da geht es schon um mehr: um eine solidarische Gesellschaft und das viel zitierte Recht auf Stadt. Zehn Tage will das urbanize! nun genau das, vernetzen und zeigen, wie man sich dieses Recht nimmt.

Seit 2010 richtet die „dérive, Zeitschrift für Stadtforschung“ das Festival jährlich in Wien aus. Nach Hamburg wird nun Berlin erstmals zum Spielort und zur Themengeberin. Ein Glücksfall für die Szene, sagen Mathias Heyden und Julian Zwicker, die beide selbst seit vielen Jahren hier aktiv sind und nun die Beiträge von rund 30 Berliner Gruppen koordinieren. Während Initiativen von MieterInnen oder Freiraumprojekte, wie der Prinzessinnengarten, schon zusammenarbeiteten, käme es nun drauf an, sich breiter auszutauschen und die Agenden auch in die Stadtgesellschaft zu kommunizieren.

Ganz oben auf der Agenda stehen in Berlin Projekte der gemeinwohlorientierten Immobilienwirtschaft. Solche Vorhaben können nur in Zusammenarbeit mit Politik und Verwaltung funktionieren. Von Rot-Rot-Grün erhoffen sich stadtpolitisch Aktive viel, zum Beispiel die BerlinerInnen, die sich als „Stadt von unten“ organisieren. Nachdem sie die Privatisierung des Dragoner-Areals erfolgreich verhindert haben, entwickeln sie jetzt in einem kooperativen Planungsverfahren mit der Stadt ein Modellprojekt für die ehemaligen Kasernenbauten am Kreuzberger Mehringdamm. Hinter ausgewaschenen Backsteinfassaden schlummern 72.000 Quadratmeter potenzieller Wohnraum. Bezahlbar soll er sein, selbstverwaltet und kommunal. urbanize!-BesucherInnen können mit den AktivistInnen über das Gelände gehen und in Workshops selbst ein Modellprojekt entwickeln. Lisa Vollmer von „Stadt von unten“ freut sich, dass es gelungen ist, die Wohnungsfrage überhaupt wieder zum Thema der Politik zu machen. Aber es gebe noch viel zu tun, das Festival fungiere auch als Ideengeber.

Den Kampf ums Dragoner-Areal unterstützte auch der Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt. Dass AktivistInnen auch als PolitikerInnen in kommunalen Regierungen wirken, sei in Spanien schon länger normal, sagt Konrad Braun von openBerlin, einer Plattform für partizipative Stadtentwicklung. Mit Schmidt habe Berlin jetzt eine solche Figur, das sei hier neu. Für das Urbanize-Programm haben sie „Community Building“-Workshops entwickelt und dafür Marcos García aus Madrid eingeladen. Er stellt das Format „Experimenta Distrito“ vor. Dabei wird im eigenen Viertel und über Milieus hinweg ausprobiert. Experimentierende Gemeinschaften brauche es, sagt Braun, um sich in einer Stadt voller Regeln überhaupt Räume aneignen zu können. In der Werkstatt am Haus der Statistik konzipieren TeilnehmerInnen selbst Nachbarschaftsprojekte, das könnten etwa mobile Gärten oder Audiowalks sein. Ziel sei es aber, sich gemeinsam auch langfristig für eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung zu engagieren.

In spanischen Städten haben solche Experimente vor einigen Jahren immerhin zu politischen Neukonstellationen geführt. Jetzt regieren dort nicht mehr die großen Parteien, sondern Bürgerlisten, wie Ahora Madrid oder Barcelona en Comú. Ob der auch in Deutschland viel diskutierte „neue Munizipalismus“ eine Chance für Berlin sein könnte, sollen Vorträge und Workshops der MieterInnengemeinschaft „Kotti & Co“ und der Initiative „Stadtneudenken“ klären. Im ZK/U – Zentrum für Kunst und Urbanistik erörtert ein Runder Tisch, welche Rolle „Critical Mapping“, also zum Beispiel das Kartieren von Verdrängung und Widerstand in einem Stadtviertel, für den munizipalistischen Aktivismus spielen könnte.

Vorbild für Berlin könnten auch Ideen aus dem angelsächsischen Raum sein. In der „Glaskiste“ bei ExRotaprint berichten ReferentInnen aus den USA und Großbritannien von den „Community Land Trusts“. Diese Fonds richten Gemeinschaften ein, mit denen sie Wohnraum kaufen, ihn der Spekulation entziehen und faire Mieten sichern. Eine Strategie, die auch Florian Schmidt in Kreuzberg verfolgt.

Und dann dringt natürlich auch dieses Thema in die stadtpolitische Agenda: Was tun gegen die Einflussnahme von rechts. Beim urbanize! setzen es „Stadt von unten“ und die „sub\urban Zeitschrift für kritische Stadtforschung“, die demnächst auch einen Schwerpunkt dazu publiziert. Es sei nicht leicht, wenn die eigenen Inhalte plötzlich von rechts vereinnahmt würden, sagt Lisa Vollmer. Und auch im Kleinen: Wie reagieren, wenn sich die NachbarInnen rassistisch oder homophob äußern? Nach einer Podiumsdiskussion in den Räumen der Hellen Panke geben die „Stammtischkämpfer*innen“ bei einem Seminar schlagkräftige Argumente weiter. Initiativen wie „ELWE44“ haben schon welche. Jetzt brauchen sie weiter Puste.

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