: Vom Recht auf Menschenwürde
PAPIERLOSE In Hamburg leben 22.000 Menschen ohne Aufenthaltsstatus. Das Diakonische Werk will deren Rechte mit einem Neun-Punkte-Plan stärken
Papierlose scheuen den Weg zum Arzt, um ihre Anonymität zu wahren. Daher übernehmen als „Zwischenlösung“ den überwiegenden Teil der gesundheitlichen Versorgung ehrenamtliche Ärzte, die auf ihre Vergütung verzichten.
■ Medibüro ist eine Vermittlungs- und Beratungsstelle, die Menschen ohne Papiere an ein Netzwerk von 100 Allgemein- und Fachärzten vermittelt.
■ Malteser Migranten Medizin ist seit 2008 eine niedrigschwellige allgemeinmedizinische Anlaufstelle, die Patienten umsonst behandelt.
„Wir haben bei dem hochsensiblen Thema endlich wissenschaftlich fundierte Zahlen, wo man anfangen kann, zu Handeln“, sagte Gabi Brasch vom Vorstand des Diakonischen Werks am Montag bei der Vorstellung der Studie über die Situation von Papierlosen in Hamburg. Denn Handeln sei „nötig und zugleich möglich“.
Einen Neun-Punkte-Katalog für eine „verbesserte Rechtsstellung“ hat die Diakonie als Konsequenz aus der Studie für Politik und Verwaltung erarbeitet. „Menschen ohne Papiere sind nicht rechtlos“, sagte Dirk Hauer, Leiter des Fachbereichs Migration der Diakonie. „Illegale haben nur das Problem, ihre Rechte aus der Anonymität geltend zu machen.“
Fünf Wissenschaftlerinnen hatten im Auftrag der Diakonie und der Gewerkschaft Ver.di eineinhalb Jahre lang die Situation Papierloser untersucht und sind in ihrer empirischen Studie zum Schluss gekommen, dass bis zu 22.000 Menschen ohne Aufenthaltsstatus in der Stadt lebten.
„Auch Menschen ohne Papiere haben ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben“, betonte Brasch. Dazu gehöre das Recht auf medizinische Versorgung, Entlohnung im Job sowie das Recht auf Bildung. So müssten Wege gefunden werden, den Zugang zur Regelversorgung im Gesundheitssystem bei „Wahrung der Anonymität“ zu gewährleisten. Denkbar wäre niedrigschwellige, kostenfreie und anonyme hausärztlicher Behandlungsangebote staatlich abzusichern. Erprobt werden könnten auch anonymisierte Krankenscheine, die eine Überweisung zu Fachärzten und stationären Therapien ermöglichten und dabei von den Sozialämtern finanziert würden. „Bisher erstatteten Sozialämter Leistungen nur bei Aufdeckung der Anonymität“, sagte Hauer.
Ein Schritt in die richtige Richtung sei gewesen, dass Bildungssenatorin Christa Goetsch (GAL) gegenüber den Schulleitungen klar gestellt habe, dass der Aufenthaltsstatus bei Einschulungen kein Rolle spielen dürfe. Die Diakonie fordert nun, dass Kindern von Papierlosen auch der Besuch in Kitas als Bildungszugang ermöglicht wird. „Wir haben da auch noch nicht den Königswegs gefunden“, betonte Hauer. Es dürfte aber bei möglichen Lösungen „keine Tabus geben“.
Die Diakonie betont, dass Ärzte, Krankenhäuser, Schulen und Arbeitsgerichte nicht der Meldepflicht nach dem Aufenthaltsgesetz unterlägen und Daten von Papierlosen nicht übermittelten –„und schon gar nicht ermitteln müssen“, so Hauer. KAI VON APPEN
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