Neues Album von Dota: Ewige Realpräsenz des Guten
Die Berliner Songwriterin Dota ist da, wo der Kampf für eine bessere Welt ist. Aktuelle Pop-Entwürfe ignoriert sie – auch auf ihrem neuen Album.
„Wir haben versucht, in den Wald reinzukommen, das hat nicht geklappt. Die waren ziemlich auf Zack, die Polizisten. Dann haben wir eben draußen, vor der Mahnwache, wo auch viele von den Unterstützern und Aktivisten warten, gesungen.“
Dota ist unterwegs auf der Autobahn, die Tour zum neuen Album „Die Freiheit“ hat gerade begonnen, aber natürlich nahm sie sich zuvor noch Zeit für einen Abstecher zu den WaldbesetzerInnen im Hambacher Forst. Selbstverständlich ist die 39-jährige Sängerin da, wenn die Kohleindustrie Tatsachen schafft. Genauso, wie sie da war, vor wenigen Wochen, als die Seebrücke für sichere Fluchtwege demonstrierte, oder bei der Demo für faire Mieten.
Vor allem ist die Berliner Liedermacherin Dota seit fast eineinhalb Jahrzehnten präsent und zwar dort, wo Musik intensiv gehört und verehrt wird, ohne, dass die Musik es dem Publikum wirklich dankte: In den kleinen Städten mit den großen Unis, den selbstverwalteten Jugendzentren und den Wiesen am Fluss, wo die Frühzwanziger Händchenhalten, und weiter hinten bei den Büschen eine Studentin mit Dreads ihre Akustikgitarre in die Hand nimmt und drauf los spielt.
So war es 2003, und so wird es 2023 vermutlich immer noch sein, und auch Dota wird vermutlich alle paar Monate einmal vorbeischauen, um davon zu singen, wie schön diese Menschen eigentlich sind.
Dota: „Die Freiheit“ (Kleingeldprinzessin Records/Broken Silence)
Live: 29. 9. Berlin, 25. 10. Dortmund, 26. 10. Hannover, 8. 11. Nürnberg, 9. 11. Stuttgart, weitere Termine: www.kleingeldprinzessin.de
Punk oder Hippie?
Ist das noch Punk oder ist das einfach nur hippiesk? Das Weitermachen, Weiterspielen, das Dranbleiben? Die ewige Realpräsenz des Guten? Da gibt es wunderschöne Liebeslieder, aber auch den Eindruck einer konsequent die Welt verspielenden Naivität.
„Alles du, alles Dur“ heißt ein Lied aus jener Frühphase, es ist zum Zerfließen schön: Noch immer werden Bänder an den Lenker geflochten, Goldpapier funkelt auf dem Seegrund. Die Metaphern erschlaffen am Altern, Dota altert mit ihrem Publikum. Ist das zeitlos oder eskapistisch? Wie viel Wahrheit steckt in einem Vers wie dem, dass die Hoffnung der Welt auf „schwangeren Frauen im Baumarkt“ beruht?
Dota Kehr brachte sich als Jugendliche das Gitarrespielen selbst bei, begann rasch, eigene Songs zu komponieren. Unter dem Namen Kleingeldprinzessin machte sie Anfang der nuller Jahre Straßenmusik. „Ich wollte sehen, wie Leute auf meine Lieder reagieren“, sagt sie.
„Bei aller Befindlichkeit, wo es um das Bespiegeln des eigenen Innenlebens geht – hauptsächlich komponiere ich doch Lieder, bei denen Zuhörer sich wiederfinden können. Das gehört zu einem guten Lied: Dass es allgemeingültig ist, dass es mit Bildern Gefühle auslöst, ohne die zu benennen und vorzuschreiben.“
Das Konkrete und das Poetische
2003 erscheint ihr Debütalbum, während ihres Auslandsstudium in Brasilien entsteht kurz darauf ein gemeinsames Album mit dem brasilianischen Komponisten Danilo Guilherme. Bossa-Einflüsse und das Akustische ihres Sounds werden im Laufe der zehner Jahre durch einen immer volleren Band-Sound ersetzt. Bass und Keyboard machen das Soundbild elektrischer, aber auch verschwommener. Die allgemeine politische Lage lässt Dota hingegen immer deutlicher politische Positionen beziehen.
War das Politische oft eine Frage des Privaten, lugte persönliche Verantwortung und Mut durch Erzählungen aus dem Alltag, gibt es auf dem neuen Album „Die Freiheit“ nun konkrete Bösewichte: schlimme Faschisten, eklige Sexisten.
„Ich mag es gerne, wenn es Brüche gibt zwischen dem Fantastischem und dem Realen, dem Konkreten und dem Poetischen. Das Vokabular, das man als Textdichterin zulässt, entscheidet den Stil, den Fingerabdruck. Ich habe mein eigenes Wörterbuch. Ich mag auch einen Dichter wie Gottfried Benn: Technische Sprache, die sich mit poetischer Sprache vermischt.“
Zwei Träume, zwei Ideale bestimmten Kehrs Karriere: Einerseits der Wunsch, von der Musik leben zu können – ein Wunsch, der sich erstaunlich schnell erfüllte für die studierte Medizinerin, einerseits. Andererseits, und das ist eine laufende Aufgabe: Die Suche nach dem perfekten, „nein, dem allerbesten Lied. Ich versuche, so zu komponieren, als ob das allerbeste Lied immer noch vor mir liegt.“
Sind da Kandidaten auf dem aktuellen Album? Der besonders auf der Bühne überzeugend gebrachte Song über einen rassistischen Witz, der verstummen und unsicher werden lässt: „Zwei im Bus“ und „Internetshop“, eine schwärmerische Geschichte darüber, wie etwas beginnen kann, wenn eine Königin der Nacht beim Späti steht und zwei Stockwerke höher eine Zigarette glimmt? Der klassisch akustische Dota-Track „Bunt und hell“?
„Die introspektive Forschungsarbeit der Gefühlslagen, da gibt es eine Präzision, die gut ist im Songtext, aber natürlich darf man nicht den Zustand der Welt vernachlässigen, der schwingt immer mit. Popmusik, die immer nur ich und du besingt, die ist sehr schön, und ich schreibe auch solche Lieder, aber mir reicht das nicht. Das ist die viel beschriebene affirmative Wirkung von Pop. Das lassen die Zustände in der Welt nicht zu. Wenn ich versuche das perfekte Lied zu komponieren, weiß ich nicht, ob das nach innen oder nach außen schaut.“
Aus dem Raster fallen
Wenn man ein Problem um diese Musikerin und ihre leuchtende Welt konstruieren wollte, wäre das, dass ihre Musik für zumindest eine, eher zwei Generationen junger Menschen prägend und identitätsstiftend wurde, ohne jedoch, dass Presse und sonstige Pop-Influencer ihr dabei eine Rolle zusprachen, die dem gerecht werden konnte.
Es gab im Rahmen des offiziösen Pop-Diskurs nie einen wahrnehmbaren, überregionalen Diskurs um die Liedermacherin Kehr. Was es gab, waren Konzerte, Alben und Abende in WGs, bei denen ihre Songs auf der Akustischen nachgespielt wurden. Es sind Konzepte von Pop, die so weitab dessen liegen, was sich seit den Achtzigern als Blaupause für ernstzunehmenden Pop herausgebildet hat, dass Dota, ihrer Bekanntheit und ästhetischer Anschlussfähigkeit zum Trotz, einfach aus dem Raster fallen musste.
Zynisch könnte man auch sagen: Eine Frau an der Gitarre, die weder queer noch Artschool ist, sondern die weißbrotmäßig-straighte Ich-Du-Mitte bespielt, hat es noch immer schwerer, künstlerisch wahrgenommen zu werden als ein heterosexueller weißer Mann an der Gitarre, politische Positionierung hin oder her.
Könnte man für die Kleingeldprinzessin-Phase, wo sie sich auf PJ Harvey oder Gustav beruft, einen anderen Ernst der Rezeption einfordern? Oder würden die Songs von Dota dann doch daran zerbrechen, weil sie nur außerhalb des Hipness-Radars funktionieren – obwohl sie regelmäßig ganz nach vorne in die Charts katapultiert wird?
Schön und merkwürdig zugleich ist, dass solche Fragen Dota Kehr vollkommen egal sind. Die Künstlerin kann noch zu allen Liedern stehen, die sie komponiert hat in den letzten beiden Jahrzehnten, erfreut sich ihrer Karriere und ihrer Musik und wirkt im Gespräch nicht weniger aufrichtig, als in ihrer Musik; enervierend aufrichtig, sicher, aber enervierend nur, weil der eigene Zynismus dadurch Risse bekommt.
„Es kratzt mich nicht, weil ich finde, dass es für mich super läuft. Manche Türen gehen zwar nicht richtig auf, das stimmt schon. Aber das eine ist, was die Presse meint, das andere ist die Hörerschaft, und das passiert“, sagt Kehr, während sie Richtung Basel fährt, das Telefonat noch vor der Grenze, später wird es schließlich zu teuer, wie sie scherzt.
„Ich weiß nicht, ob ich das einfach so behaupten darf. Aber ich glaube, dass es keine Band gibt, die so unabhängig ist wie wir. Und ich genieße das sehr. Unabhängig von Strukturen des Musikgeschäfts zu sein.“ Und so wird sie in den nächsten Monaten wieder in Osnabrück, Göttingen und Marburg aussteigen, spontan die eine oder andere Demo unterstützen, die Welt verändern und Situationen – ein bisschen Punk, ein bisschen hippiesk. Aber es ist ihr egal.
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