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Engpass im Hambacher ForstGehen RWE die Hebebühnen aus?

Mindestens drei Hebebühnen-Firmen haben empört ihr Gerät aus dem Hambacher Wald abgezogen – mit erstaunlichen Begründungen.

Wichtig für die Räumung: Mit den Hebebühnen holt die Polizei BesetzerInnen aus den Baumhäusern Foto: dpa

Hambacher Forst taz | Wenige Stunden vor dem tragischen Todessturz des Filmemachers Steffen Meyn am Mittwochnachmittag wurde klar: Die Polizei und RWE haben im Hambacher Forst ein Problem, wenn weiter die Baumhaussiedlungen geräumt werden sollen. Denn an diesem Tag wurde bekannt, dass mehrere Vermieter von Arbeitsbühnen ihre Mitarbeit beim Bäumeräumen per sofort gekündigt haben, inzwischen sind es mindestens drei. Damit wird das entscheidende Gerät für die Polizei, um die Besetzer des von Rodung bedrohten Waldes aus ihren bis zu 25 Metern hohen Baumhäusern zu holen, äußerst knapp.

Die Begründungen der Firmen bargen jeweils einigen Diskussionsstoff. So schrieb die Firma Gerken aus Düsseldorf an die „Lieben Kunden und besorgten Mitbürger“, sie sei erst von diesen über den Einsatz ihres Fuhrparks im Hambacher Forst informiert worden. Der Mieter – „nicht die Polizei“ – habe im Vorfeld kein Wort darüber verloren, „wofür er die Arbeitsbühnen einsetzen wird“.

Man sei „mit der Vorgehensweise im Hambacher Forst absolut nicht einverstanden“ und habe deshalb beschlossen, „dass wir unsere Geräte dort stilllegen. Wir machen das, obwohl wir es rein rechtlich nicht dürfen, und setzen uns damit womöglich hohen Schadenersatzforderungen unseres Kunden aus.“ Eine Gerken-Hebebühne war Minuten vor dem Todessturz gleich daneben noch in der Baumhaussiedlung Beechtown im Einsatz.

Wer war statt der Polizei der klandestine Auftraggeber? Naheliegend: RWE selbst. Auch die Gemeinden Kerpen und Düren oder die Feuerwehren kämen infrage. Nach Auskunft einer Sprecherin der Stadt Kerpen in der Aachener Zeitung ist die RWE Power AG die Auftraggeberin für die Großgerätemiete, mit denen BaumbewohnerInnen seit Beginn der Räumung aus ihren Häusern geholt werden sollen. Nachfrage bei RWE: Deren Sprecher Guido Steffen sagt am Freitagmorgen telefonisch einen schnellen Rückruf zu, lässt aber dann Fragen per Mail unbeantwortet, etwa ob der Konzern bereits Ersatz habe. Auch die, ob „alle Kunden immer und vollständig“ informiert werden, wenn es in den Hambacher Wald gehe.

Gehen dem Kohleriesen die Arbeitsbühnen aus?

Ob dem Kohleriesen jetzt die Arbeitsbühnen ausgehen? Gleichzeitig mit Gerken ging nämlich auch die Hagener Firma Cramer von der Fahne. „Am 18.9.18 wurden wir nachmittags telefonisch und per Email darauf aufmerksam gemacht, dass eine unserer LKW-Arbeitsbühnen im Hambacher Forst im Einsatz ist“, heißt es in einer Stellungnahme der Firma. Von diesem Einsatz „hatten wir vor diesen Hinweisen keine Kenntnis“, betonen die Hagener.

Demo im Hambacher Forst

Im Hambacher Forst demonstierten am Samstag erneut mehrere Tausend Menschen. Für die taz ist wieder Anett Selle vor Ort. Sie berichtet auf Twitter auch per Live-Videos.

„Niemals“ hätte man wissentlich Bühnen dafür bereitgestellt. Den Hubwagen habe man „im Rahmen eines kollegialen Hilfeersuchens an einen anderen Arbeitsbühnenvermieter vermietet“. Nach dessen Auskunft sollte „unsere Bühne für Arbeiten im Mobilfunk-Bereich im Raum Düsseldorf eingesetzt werden“. Folge: „Die weitere Verwendung des Fahrzeugs im Hambacher Forst haben wir untersagt.“

Grausige Aktualität bekam noch dieser Satz: „Wir hoffen, dass durch den von uns nicht autorisierten Einsatz kein Mensch, egal zu welcher beteiligten Gruppe er gehört, zu Schaden gekommen ist.“ Ein Mitarbeiter der Cramer-Geschäftsführung, der seinen Namen hier nicht lesen möchte, ist „sehr erleichtert“ über die Information, dass seine Bühne nicht direkt im Unglücksbereich Beechtown eingesetzt war.

Das habe man bis dahin noch nicht sicher gewusst. Die orangene Cramer-Bühne, das Firmenlogo zur Tarnung überklebt, stand zu dieser Zeit still nebenan in Baumhausdorf Cosytown. Nach der Rückzugsmeldung hätten „viele Aktivisten angerufen und sich bedankt“, sagt er noch.

Weniger Arbeitsgerät – langsamere Räumung – späterer Rodungsbeginn, wenn überhaupt. Schon vor einer Woche war, wie jetzt erst bekannt wurde, die Firma Hundrup Arbeitsbühnen-Vermietung aus Waltrop ausgestiegen: „Am Montag wurde die Arbeitsbühne aus Kerpen abgeholt. Vorher war es uns leider nicht möglich, den Einsatz zu unterbinden“, heißt es in einer Mitteilung.

Hilfsleihen für Dritte sind durchaus üblich

Die Mietbranche mit Großgeräten ist offenbar mäßig seriös: falsche oder fehlende Angaben über den Einsatzort sind offenbar nicht ungewöhnlich. Hilfsleihen für Dritte sind durchaus üblich. Die eigenen Wagen könnte man zwar orten, aber das unterbleibt oft, sagt ein Insider zur taz. Der Markt sei nicht besonders eng. „Über den Preis geht alles“, sagt der Experte, „und wenn man dringend Geräte braucht, sind die auch innerhalb eines Tages aus Berlin oder München im Rheinland“. Eine Arbeitsbühne wie sie in Hambach eingesetzt sind, ist relativ günstig zu haben: 500 bis 800 Euro am Tag, je nach Größe.

Über RWE öffentlich sprechen will keiner in der Branche. Der Energiekonzern gilt als guter Auftraggeber auch in Bereichen jenseits der Braunkohle, der bei dringendem Bedarf großzügig auch über Marktniveau zahle, sagt ein Szenekenner. Die ausgestiegene Firma Gerken („Wir werden von Presseanfragen überschüttet, bitte alles schriftlich“) antwortet auf konkrete Fragen bislang nicht.

Bleibt der Branchenriese Boels („bereit für eine grüne Zukunft“) mit über 400 Filialen europaweit. Boels ist nach wie vor mit mehreren Arbeitsmaschinen im Hambacher Wald präsent. Übers Wochenende reagierte das Unternehmen aus dem niederländischen Sittard nicht, ob man im Wald bleiben wolle. AktivistInnen fordern mit Mails und Tweets vehement einen Rückzug nach Vorbild der drei deutschen Firmen und fordern auf, Boels, das auch Heimwerkerbedarf anbietet, fortan zu boykottieren.

Indes ist die RWE-Aktie seit Tagen gegen den Börsentrend gefallen – ob das an den rabiaten Räumungen im Hambacher Wald liegt, ist aber umstritten. Sicher ist: Die Strombranche erlebt derzeit eine deutlich erhöhte Fluktuation weg von den alten Konzernen; „Greenpeace energy“ etwa meldet „eine der größten Wechselwellen seit der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011“ und verweist ausdrücklich auf „das aggressive Verhalten des Kohlekonzerns RWE“.

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9 Kommentare

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  • Es gibt ein Gutachten, das vllt. auch im Hambacher Forst Anwendung finden könnte…

    aarhus-konvention-...-Version_final.pdf

    und

    www.onetz.de/deuts...kte-id2495925.html

  • @ njorg



    Ihr Gedankengang, lieber von einem denkenden Menschen an der Umsetzung von Bürgerinteressen „gehindert“ zu werden, ist sehr nachvollziehbar… allerdings ändert sich grundsätzlich nichts daran, dass die Staatsmacht – in Gestalt der Polizei – gewaltsam (selbst wenn keine Schlagstöcke eingesetzt werden) im Interesse von Konzernen gegen demonstrierende Bürger vorgeht|vorgehen wird.

    Eine Stärkung der Bürgerechte gegenüber Konzernen, eine konsequente, staatlich unterstützte Umsetzung von Art.20,GG, die Konzerne zahlen lassen für ihre unwiederbringliche Zerstörung und vor allem für die Polizeieinsätze*, die Schließung von Steuerschlupflöchern, etc., etc., das könnte e v e n t u e l l zu einem ausgewogenen "auf Augenhöhe" zwischen Mensch und Konzern führen.



    Diese Leute zerstören und benutzen für persönliche Gewinnmaximierung unser|e Allgemeineigentum|Natur.



    Wem „gehört“ die Natur?



    RWE?



    Die Natur gehört niemenschem – oder allen.

    * das zeigt auch, warum die Polizeieinsätze bei Fussballspielen nicht die reichen Fussballvereine zahlen müssen, denn sonst müssten die Reichen und die Konzerne auch zahlen, wenn m. E. instrumentalisiert Hundertschaften der Polizei mit schwerem Räumgerät und|oder Hubschraubern ihr vermeintliches Eigentum schützen lassen…

    • @Frau Kirschgrün:

      "wenn m. E. instrumentalisiert "

      muss heißen

      "wenn SIE m. E. instrumentalisiert "

  • Drei deutsche Firmen ziehen das Räumungsgerät zurück.



    DAS nenn' ich mal Haltung zeigen!



    Toll.

    Glückwunsch an Greenepeace Energy.



    Hoffentlich haben die anderen "Erneurbaren Stromerzeuger" auch ein paar Zuwächse abgekriegt…



    Und schön, dass das aggressive Vorgehen RWE schon mal auf die Füße fällt…

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Angesichts der Schilderung von Bernd Müllender bleibt offenbar nur noch der Wunsch: RWE, weiter so!

    Wenn der Aktienkurs weiter sinkt und die Kunden wegbrechen, werden Ihr sehen, dass man Bäume nicht essen kann. (Leicht abgewandelt, Urform und Urheber setze ich als bekannt voraus.)

  • Bravo, weiter so! Mehr Courage in dieser Frage! Wenn jetzt auch noch Bullen anfangen ihren Dienst zu quittieren, wäre das ein weiteres schönes Zeichen... naja, mensch wird ja wohl nochmal träumen dürfen.

    • @Neinjetztnicht:

      doch, das gibt's: Ich war in den 70'ern Polizeibeamter, und habe mich aufgrund der Ereignisse um Brokdorf/Wackersdorf/Bohrloch 1004 auf "die richtige Seite des Schlagstocks" (also davor) gestellt (sprich: die Seiten gewechselt) - und ich war damals beileibe nicht der Einzige..



      Ich hoffe sehr, dass auch heute ein paar Kollegen durch die Ereignisse zum Nachdenken angeregt werden: Mein Leben danach war zum ersten Mal wirklich selbstbestimmt und bis heute einfach großartig (dies zu der häufig gehörten Sorge von "denkwilligen" jungen Kollegen, man könne ohne die "Firma" nicht überleben..)

      • @tom-pex:

        Meine Hochachtung vor Ihrer Courage. Allerdings stellt sich mir dann doch die Frage, was für eine Art Polizeit übrig bleibt, wenn nur die denkenden Menschen mit Skrupeln aussteigen. Unter Umständen sähe ich gerade gern Sie mit dem Schlagstock am Gürtel, weil die wahrscheinlichkeit dann größer wäre, dass er nicht zum Einsatz kommt.

  • Das gilt in den USA auch für Schusswaffen und deren Gebrauch in öffentlichen Schulen.



    "Die Mietbranche mit Großgeräten ist offenbar mäßig seriös: falsche oder fehlende Angaben über den Einsatzort sind offenbar nicht ungewöhnlich."



    Dort heisst es lediglich, jeder Lehrer /-in sollte sich auch selbst bewaffnen.



    Den Grund für die Anschaffung von Geräten erfährt die Presse nicht einmal bei konkreter Nachfrage. Ein Beispiel der Waffen von Heckler und Koch, die nach Mexiko geliefert wurden?