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Kolumne BehelfsetikettFeinster Zuckersand, zehn Zentimeter

Während unser Autor diese Kolumne schreibt, verabschiedet sich der Sommer endgültig aus der Stadt. Hallo, Herbstblues!

Zum Glück kommen Gewitter ja nur selten über die Spree, weiß unser Kolumnist Foto: Paul Zinken/dpa/picture alliance

A ls ich diese Kolumne beginne, herrschen in den Vormittagsstunden draußen noch 30 Grad. Als es im Wetterbericht dann hieß, es würde nun endlich (endlich?) kühler werden und zu einem Temperatursturz kommen samt Regen – da war mir schon klar, dass es wieder nur ein paar Tropfen regnen würde. Ich hatte das so im Gefühl.

Bei diesem Gedanken fiel mir das alte Nachbarspaar ein, dass während meiner Kindheit in Mecklenburg oft vor dem Haus saß und vor allem das Wetter kommentierte. Sätze wie: „Das Gewitter kommt nicht über die Elbe“, haben sich tief in mein Gedächtnis gegraben.

Nun, Gewitter kommen auch selten über die Spree. Will heißen: Um Berlin machen Unwetter ja glücklicherweise oft einen Bogen. Ich gebe selbst gerne solche Wetterprognosen ab (seit ein paar Jahren auch App-gestützt), ganz wie damals die Alten. Und manchmal plaudere ich mit dem hochbetagten Nachbarn aus dem Seitenflügel übers Wetter.

Vor ein paar Tagen aber musste ich Herrn H., er ist nicht mehr gut zu Fuß, aus der Patsche helfen. Vor unserem Haus steht seit Wochen eine große Matratze. Leute aus dem Haus und Nachbarn aus den Häusern rundum entsorgen ihren Sperrmüll gern ganz bequem und schnell, indem sie ihren alten, runtergerockten Scheiß auf den Gehweg stellen. Was noch halbwegs zu gebrauchen ist, findet immer schnell einen Abnehmer.

Die Matratze aber nicht. Dabei war sie sogar in Folie gewickelt – und das, obwohl es ja seit Monaten nicht geregnet hat, aber egal. Der Wind jedenfalls hatte einen Teil der Folie abgewickelt, und diese Folienschlange hatte sich nun, wie auch immer, um den Fuß von Herrn H. gewickelt. Er wurde ihr selbst nicht mehr Herr, also habe ich ihn befreit.

Einen Tag später sah ich einen Mann vorm Haus, der vom schon zerschlagenen Spiegel einer Schranktür ein etwa handtellergroßes Stück herausbrach und in der Tasche verstaute, seine Hand blutete danach. Ich wundere mich in meiner Straße über gar nichts mehr. Ganz normaler Alltag vorm Balkon. Manchmal mutet das Leben in unserem Kiez wie einer der ­Andreas-Dresen-Filme an, die den Alltag der kleinen Leute so genau wie lakonisch beschreiben.

Dann bricht der Sturm los

Als ich mich ans Ende dieser Kolumne mache, von Mittag­essen und Besorgungen und Kücheputzen unterbrochen, bricht der Sturm los. Und es regnet tatsächlich, aber doch nur die prophezeiten paar dünnen Tropfen. Dabei ist es so trocken, dass es am Ende des Gehwegs, wo schon immer die Gehwegplatten fehlen, feinsten Zuckersand hat, der zehn Zentimeter tief ist. Auch auf meinem Lieblingsfriedhof, der gleich um die Ecke liegt, vis-à-vis dem Friedrichshainer Krankenhaus, hat sich der Zuckersand von Woche zu Woche immer breiter und tiefer gemacht.

Ich durchquere den Friedhof täglich morgens vor und abends nach der Arbeit. Man kriegt so etwas von der Natur und den Jahreszeiten mit. Gerade letzte Woche waren die Eichhörnchen so aktiv wie lange nicht. Es waren außerdem viel mehr Tiere als sonst zu sehen. Sie waren damit beschäftigt, Haselnüsse zu verbuddeln. Als ob sie geahnt hätten, dass das Wetter umschlägt und der scheinbar nie enden wollende Sommer nun doch endgültig zu Ende geht.

Am vorletzten heißen Tag sah ich mal wieder eine Angestellte des Blumenladens auf dem Friedhof gegen Feierabend mit dem Schlauch ein paar Bäume und Sträucher rund ums Geschäft mit Wasser versorgen. „Sie Heldin“, habe ich gesagt. Die Frau fragt zurück: „Warum Heldin?“ Ich: „Na, weil sie an die Durst leidenden Bäume denken.“ Sie lacht und sagt: „Das müssten nur mehr Leute machen.“ Stimmt ja, Berlin braucht mehr Helden. Und Regen, Regen, Regen.

Am Schluss der Kolumne angekommen, zeigt das Thermometer herbstübliche 18 Grad. Der Herbstblues kann kommen. Aber hoffen wir trotzdem mal auf einen schönen, sonnigen und warmen Oktober.

Viel Regen gab es dann tatsächlich auch noch, der vergangene Sonntag war nass. Seitdem blieb es wieder trocken.

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Andreas Hergeth
Redakteur & CvD taz.Berlin
In der DDR geboren, in Westmecklenburg aufgewachsen, Stahlschiffbauer (weil Familientradition) gelernt, 1992 nach Berlin gezogen, dort und in London Kulturwissenschaften studiert, 1995 erster Text für die taz, seit 2014 im Lokalteil Berlin als Chef vom Dienst und Redakteur für Kulturpolitik & Queeres.
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