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Gute Spirituose, böse Musik

Sie nennen es Alkotainment: Wenn guter Geschmack in Sachen Whisky mit gutem Geschmack in Sachen schwerer Musik zusammengeht, kommt etwas sehr Gutes raus

Harter Stoff, gute Laune Foto: imago

Von Xenia Helms

The light music of whisky falling into a glass – an agreeable interlude

James Joyce, Dubliners

Distinktion ist für viele Menschen eine wichtige Funktion von Musik und Grundlage von Subkulturbildungen. Ebenso funktioniert die Kombination von Dingen, die scheinbar wenig miteinander zu tun haben. Countrymusik und Tischtennis oder Skateboard fahren und Punk zum Beispiel. Auch die intensive Beschäftigung mit bestimmten Lebensmitteln oder Getränken kann auf dem Wunsch nach Abgrenzung oder Erhabenheit beruhen – oder schlicht einer althergebrachten Tradition geschuldet sein: Fußballfans trinken Bier, Rocker stehen auf Speed, Raver schmeißen E und das Krankenhauspersonal hat den Schlüssel für den Apothekerschrank …

Whisky à Go-go

Taste The Doom

Termine und Infos: tastethedoom.com

Brunnenstraße 182, 10115 Berlin

Geöffnet Freitag, Samstag ab 20 Uhr

Slowlands Sputnik Kino am Südstern, Berlin-Neukölln

Nächste Termine: siehe facebook.com/slowlands.berlin/

Offside Pub & Whisky Bar

Jülicher Str. 4, 13357 Berlin

Geöffnet täglich 17 bis 24 Uhr

offside-wedding.de

Mailorder Metal+Wine

Turns Good GmbH Römerstr. 6, 40476 Düsseldorf

metal-and-wine.com

Doom Metal doom-metal.com

Unter dem Motto „Good Whisky. Evil Music. Charming Staff“ veranstaltet der Musiker Peter Votava aka DJ Pure seit etwa acht Jahren Spirituosenverkostungsabende, an denen er good whisky und evil music kredenzt. Die „böse Musik“ seiner Wahl ist Doom Metal, jene Spielart, die von schweren, langsamen Gitarrenriffs geprägt ist. Gemeinsam mit dem dänischen Künstler und Komponisten Lars Lundehave Hansen veranstaltet er die Reihe „Taste The Doom“ an international wechselnden Orten. Für jeden dieser Abende gibt es limitierte Eintrittskarten, die von den maximal 32 Gästen persönlich abgeholt werden müssen. Denn es wird ein eigenes Menü kreiert, das aus sieben ausgewählten Whiskys mit passend abgestimmten Musikstücken besteht – und die Hingabe für den Stoff ist essenziell. Die beiden „Alkotainer“ führen das andächtige Publikum durch den Abend, leiten den richtigen Trinkvorgang an und geben, bei stetig steigendem Promillespiegel, aufwendig zusammengetragene Anekdoten zu den Bands und Destillerien zum Besten. Durch die extensive Länge der Doom-Metal-Stücke ergibt sich quasi automatisch für jeden Whisky eine angemessene Verkostungs­zeit. Oder wie es ein Gast beschreibt: „Die beiden stehen vorne wie Lehrer vor der Klasse. Sie erklären, wie man was wann zu trinken hat und was alles im Mund passieren soll. Das ist ein Feuerwerk im Mund. Zwanzig Minuten Geschmacksexplosion von Himmel, Erde, Holz zu Nüssen. Wie von einer Blumenwiese auf dem Friedhof.“ Wie Votava im Gespräch berichtet, geben die Whiskys dabei oft wesentlich mehr Unterhaltungsstoff für die Präsentation her als die immer gleichen Werbetexte der harten Kapellen. Während Erstere die Verbalakrobatik des Sommeliers befeuern, geht es in Letzteren selten mehr als um die Vor- und Nachteile des Lebens auf dem Lande oder in der Stadt, Cannabiskonsum und die Schlechtigkeit der Welt.

Offener und informeller kommt darum auch das Format „Slowlands“ daher, welches in der Kinobar des Sputnik Kinos in Berlin-Neukölln stattfindet. Auch hier ist die Musik böse, aber genreoffener. Der Name ist ein Kofferwort aus Lowlands, einer berühmten schottischen Whiskyregion, und slow langsam, dem Doom-typischen musikalischen Tempo. Die Whiskyauswahl ist zwar ebenso exquisit, aber à la carte, und sie wird nicht publik moderiert. Größten Wert wird auf charmante Bedienung gelegt, was für Peter Votava vor allem Leidenschaft für den Stoff, Kompetenz und Warenkundekenntnisse bedeutet, die den Gästen auf Nachfrage freimütig mitgeteilt werden. Das flüssige Gold kommt dabei keineswegs nur aus Schottland und den Vereinigten Staaten. Votava und Hansen sind stets auf der Jagd und im Wettstreit miteinander nach raren und skurrilen Tröpfchen. Und so finden sie ihre Schätze nicht nur in Berlin oder Kopenhagen, sondern auch auf Flughäfen, Bars wie dem „Offside Pub“ in Berlin-Wedding und in kleinen Spezialgeschäften, die sie in aller Welt auf ihren Tourneen als Musiker aufsuchen.

Der alte Dreisatz „Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll“ gilt also auch für die Spielarten des harten Klangs. So bringen Bands inzwischen auch Spirituosen und andere berauschende Getränke auf den Markt. Oder geben zumindest ihren Namen dafür her, wie man es von Tennisspielerinnen und Parfüms kennt. Die Zutaten des „Motörhead XXXX Whisky“ der schwedischen Whisky-Destille Mackmyra wurden angeblich vom inzwischen verstorbenen Ian „Lemmy“ Kilmister und seinen Motörhead-Kollegen persönlich ausgewählt, sogar die Reifefässer sollen sie selbst ausgesucht haben. Ob und wie dem passionierten Trinker von „Jack ’n’ Coke“, also Jack Daniels mit Cola, eine der 5.004 Flaschen gemundet hat, ist hingegen nicht überliefert.

Der Dreisatz „Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll“ gilt auch für die harten Spielarten

Ende August stellte die Band Metallica ihren „Blackened American Whiskey“ vor, der in Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Maker’s-Mark-Brennmeister Dave Pickerell entstand, der inzwischen eine Consultingfirma für Whiskyunternehmungen und eine Kleinstbrennerei für Roggenwhiskys betreibt. Das Logo der Bombastrocker Rammstein prangt auf den Wodkaflaschen der Marke Feuerwasser einer Berliner Destillerie; AC/DC und Iron Maiden verkaufen Bier; andere Bands wie Kreator, Kiss, Pink Floyd oder Slayer machen in Wein. Vertrieben wird der Stoff zum Beispiel vom Spezialversandgeschäft Metal+Wine im Internet, frei nach dem Motto „In vino verita (sic!) – In Metal we trust!“. Selbst der als Metalhead gänzlich unverdächtige YouTube-Whisky-Experte Horst Lüning ließ sich hinreißen, ein 45-minütiges Video über sein Festivalerlebnis in Wacken mit der Verkostung eines Edradour zu verknüpfen, der den Dudelsackrockern Red Hot Chili Pipers (nicht mit den „Peppers“ zu verwechseln) gewidmet ist.

Votava, der in den 1990er Jahren mit seiner Technoband Ilsa Gold auch Erfahrungen mit Majorlabels sammeln durfte, nennt das „Marketingnonsense auf unterstem Niveau“. Er hat seinen Gaumen inzwischen auch anderen Spirituosen geöffnet, seine Sammelgebiete erweitert und kredenzt ab sofort auch seltene, ausgewählte Getränke wie Rum, Gin und Mezcal in einer kleinen, noch namenlosen Bar in Berlin-Mitte.

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