: Die vielen Farben von Heiligensee
Das Museum Reinickendorf zeigt Werke von Hannah Höch, die während und nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind
Von Lorina Speder
Es ist eine Idylle auf den ersten Blick: die Gärten und Häuser, die Hannah Höch in ihrer Heiligensee-Serie gemalt hat und die jetzt im Museum Reinickendorf zu sehen sind. Die kräftige grüne Aquarellfarbe der Pflanzen harmoniert mit den gelben Flächen der Beete und roten Farbtupfern des Mohns. Doch schaut man genauer hin, stellt man fest, dass der Himmel nie klar ist. Selbst wenn die per Federstrich angedeutete Sonne auf den Abbildungen scheint, erkennt man einen grauen Schleier in der Luft.
Hannah Höch fertigte ihre Serie während des Zweiten Weltkriegs an. 1939 zog sie mit ihrem damaligen Ehemann in ein Haus im Berliner Norden, das sie sich durch ein kleines Erbe ihrer Eltern leisten konnte. Die Jahre, in denen die Aquarelle und weitere abstrahierende Bilder ihrer Nachbarschaft entstanden, waren geprägt von großer Trauer. Da war der Krieg auf der einen Seite und zum anderen die Trennung von ihrem Mann, der sie 1942 verließ.
Mit der Zeit in Reinickendorf begann für Höch eine neue Lebensphase. Ihre Kunst, die von den Nationalsozialisten als „entartet“ eingestuft worden war, präsentiert sie nach ihrer Isolation während des Kriegs weiterhin – doch heute ist ihr Spätwerk bei Weitem nicht so bekannt wie ihre Collagen, mit denen sie als einzige Frau unter den Berliner Vertretern der Dada-Bewegung in den 1920er Jahren bekannt wurde. Umso lohnenswerter ist es, die späteren Arbeiten Höchs mit Fotografien der Künstlerin von Stefan Moses und weiteren Fotos aus der Sammlung des Museum Reinickendorf in der Ausstellung „Hannah Höch – Von Heiligensee in die Welt“ zu sehen.
Denn Höchs Werk ist vielfältig. Sie wollte als Künstlerin nicht auf den Dadaismus festgelegt werden. In ihrem Atelier in Heiligensee experimentierte sie mit Materialien, fertigte neben ihren Collagen und Aquarellen unter anderem eine Reihe von Miniaturbildern an und befreite sich von der Einhaltung stilistischer Formensprachen. Mal sind die ausgestellten Bilder mit geometrischen Gebilden abstrakt, mal figurativ. Sie lassen aber immer auf Höchs Gefühlszustand schließen. 1961 etwa, als sie als Ehrengast in der Villa Massimo in Rom residierte, explodieren die Farben unter den weißen, schwarzen und immer lebendigen Linien in ihren Werken. Es war eine Zeit, in der es ihr sehr gut ging.
In Heiligensee aber, besonders kurz nach dem Krieg, kämpfte sie sich als Künstlerin durch. Immer knapp an der Grenze zur Armut wurde sie durch das Kunstamt Reinickendorf bei ihrer Arbeit unterstützt, aber auch in ganz alltäglichen Dingen. Cornelia Gerner, Leiterin des Museums Reinickendorf und Kuratorin der Ausstellung, sprach für ihre Recherche mit dem damaligen Kunstamtsleiter Georg Pinagel. Dabei erfuhr sie, dass sich der Bezirk sogar um die Instandhaltung von Höchs Haus kümmerte und einen engen Kontakt zur Künstlerin pflegte. „Reinickendorf wusste, was man mit ihr hatte“, sagt Gerner und bezeichnet Höch als „Ikone des Bezirks“.
Durch die Unterstützung von Reinickendorf war Höch nach den Kriegsjahren bis hin zu ihrem Tod im Mai 1978 immer wieder in Ausstellungen in Berlin vertreten. Über Rundschreiben und auf Nachfrage vom Kunstamt bot sie dem Bezirk Werke an, die dieser dann erwarb oder teilweise direkt nach deren Ausstellung ankaufte. So baute sich nach und nach die Höch-Sammlung in Reinickendorf auf.
Höch schätzte diese Unterstützung. Sie, die ihr gesamtes Leben schon immer fein säuberlich dokumentierte, ablegte und sortierte, fertigte eine Mappe für den Bezirk an, die nach ihrem Tod durch ihre Erben an das Kunstamt Reinickendorf übergeben wurde. In ihr befand sich die Heiligensee-Serie, die nun komplett ausgestellt wird.
Doch es gibt noch eine weitere Sammlung in Berlin, die wichtig für die Recherche der aktuellen Ausstellung in Reinickendorf war. Die Berlinische Galerie kaufte nach Höchs Tod über ihren Gründungsdirektor Eberhard Roters Höchs kompletten dokumentarischen Nachlass an. Heute sind die Briefe, Postkarten, Fotografien oder Zeitungsausschnitte, welche die Künstlerin schon zu Lebzeiten archivierte, im Depot des Museums gelagert und für Forschungszwecke zugänglich. So können persönliche Verbindungen nachvollzogen werden, die einige Bilder der Künstlerin erklären.
Auch Cornelia Gerner recherchierte in der Berlinischen Galerie für ihren Beitrag im ausstellungsbegleitenden Katalog. Ralf Burmeister, der wissenschaftliche Leiter der Künstlerarchive dort, verfasste dafür ebenfalls einen Text.
Hannah Höch war weit über die Grenzen der lokalen Künstlerszene bekannt. Von Heiligensee aus schrieb sie Briefe nach Kioto in Japan, wo sie vier Jahre vor ihrem Tod ausstellte. Die Schreibmaschinentexte für ihren Katalog findet man noch heute im Archiv der Berlinischen Galerie. Ihre weltweite Bekanntheit brachte Google sogar dazu, an ihrem 128. Geburtstag 2017 ein Hannah-Höch-Doodle zu installieren. Dort setzte sich ihr Gesicht aus vielen Papierschnitten zusammen – Höch ist besonders für die Collage bekannt.
Sie selbst malte sich 1943 in Heiligensee mit expressiven Farben und geraden, schnittigen Linien. In ihrem Selbstporträt in der Ausstellung blicken ihre Augen traurig am Betrachter vorbei, und ihre Gesichtszüge sind verhärtet. Der Kopf ist bis auf wenige angedeutete Haare kahl. Nur ihr sinnlicher Mund überträgt eine Emotionalität, die bewegt. Anders als bei dem Doodle ist sie nicht allein abgebildet. Man erkennt einen Eimer mit Pinseln, der auf dem Bild wie gespiegelt rechts neben ihrem Gesicht platziert ist. Auch wenn Höch sich zu dieser Zeit einsam gefühlt haben muss – die Kunst hat sie nie verlassen.
Museum Reinickendorf, bis 9. Dezember, Mo – Fr + So 9 – 17 Uhr
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