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Autor über japanische Hochküche„Die Dinge sind, wie sie sind“

Saisonal, regional, reduziert: Die japanische Hochküche Kaiseki feiert die Einfachheit. „Es geht darum, die Jahreszeiten zu essen“, sagt der Philosoph Malte Härtig.

Schlichte Schönheit: Gang eines Kaiseki-Menüs in einem Restaurant in Kyoto Foto: Jeremie Souteray/laif
Jörn Kabisch
Interview von Jörn Kabisch

taz am wochenende: Herr Härtig, Sie können mit Saucen und Trüffeln, Austern und Crème fraiche, all diesen schönen Dingen der französischen Küche, nichts mehr anfangen?

Malte Härtig: Doch kann ich, inzwischen wieder mehr.

Sie schreiben in Ihrem Buch, die Langeweile hätte Sie nach Japan geführt.

Wir haben in Deutschland, in Europa, ein Konzept von feiner Küche, das noch immer stark von der französischen Küche geprägt ist. Aber das ändert sich gerade. In meinem Fall stand zu Beginn die Frage: Warum kochen wir eigentlich so, wie wir kochen? Warum gibt es bestimmte Geschmacksbilder in der europäischen Küche, alle säurebetont und sehr ausdifferenziert? Nicht, dass das nicht schmeckt. Aber mir fehlte eine Systematik, ein Begründungszusammenhang.

So muss ein Koch sprechen, der zugleich auch Philosoph ist.

Wichtig war für mich die Begegnung mit Arpad Dobriban. Er kommt aus Ungarn, ist Künstlerkoch, wie er selbst sagt, und hat an der Frankfurter Städelschule studiert. Dort wird Kochen als Kunstgattung begriffen. Do­bri­ban stellt einfach den Braten in den Ofen und fertig. Das Anbraten von Gemüse, das Tomatisieren, die Reduktion von Rotwein für die Sauce, all das fällt weg. Seine Gerichte schmeckten mir zunächst komisch: anders, aber deshalb nicht schlechter. Da habe ich gemerkt, dass es noch mehr gibt als die Gourmetküche. Ich bin auf die Suche gegangen nach einer Systematik, die ihr mindestens ebenbürtig ist. Und bin auf Japan gestoßen und auf Kaiseki.

Kaiseki, das ist die japanische Hochküche. Wie lässt sie sich am besten beschreiben?

Ich muss dafür Yoshihiro Murata zitieren. Er ist Chefkoch im Kikunoi, einem der berühmtesten Kaiseki-Restaurants Japans in Kyoto. Er sagt, es geht darum, die Jahreszeiten zu essen. Und das an einem bestimmten Ort. Im Kikunoi fühlt sich das so an, als ob man einmal kulinarisch durch Kioto und seine Umgebung geht, durch die Wälder, vorbei an den Feldern und auch hinein in die Stadt, wo die Fischhändler sind. Es ist eigentlich ein kulinarischer Spaziergang an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit im Jahr. Einfachheit, Achtsamkeit, Konzentration aufs Detail, all das drückt sich darin aus.

Im Interview: Malte Härtig

40, ist ausgebildeter Koch und hat an der Uni Witten/Herdecke in Philosophie promoviert. Sein Buch „Kaiseki – Die Weisheit der japanischen Küche“ erscheint am 1. Oktober beim Mairisch Verlag (128 Seiten, 12 Euro).

Es ist also eine regionale und saisonale Küche mit einer sehr langen Tradition.

Kaiseki ist aus der japanischen Teezeremonie entstanden, die Jahrhunderte alt ist.

… wo grünes Matcha-Pulver mit einem Pinsel aufgerührt wird …

Es ist eine sehr andächtige, fast meditative Zeremonie. Und sie bietet viel Aufschluss für die Küche, die sich daraus entwickelt hat mit viel mehr Gängen, als wir sie kennen. Am Ende eines Kaiseki-Menüs wird übrigens immer noch Tee gereicht.

Diese alten Teemeister waren auch Philosophen.

Der Berühmteste ist vielleicht Sen no Rikyū. Es gibt eine Geschichte, da kommt er am Haus eines Freundes vorbei und wird spontan zum Tee eingeladen. Der Gastgeber pflückt Zitronen in seinem Garten, grillt sie und serviert sie mit Miso. Sen no Rikyū sagt: „Ja, genau, so soll es sein.“ Er meint: Die Sachen, die da sind, nehmen und damit etwas machen. Und im selben Moment lässt der Gastgeber einen Boten in eine Stadt am Meer laufen und Fischpaste holen. Und als die ihm serviert wird, gefriert Sen no Rikyū das Lächeln. Das beschreibt Kaiseki auch gut.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Gegrillte Zitrone mit Miso, ist das ein klassisches Kaiseki-Gericht?

Zitrone mit Miso ist mir persönlich nie begegnet. Es gibt aber Klassiker wie Bambussprosse mit Wakamealge und Kinome-Kraut, das für den Frühling steht. Ein Kyotoer Traditionsgericht im Herbst ist geschmorter Hering mit Aubergine. Auch ein Dreisterne-Kaiseki-Koch versucht sich daran, allerdings nicht, indem er Texturen dekonstruiert und Schäumchen schlägt. Er möchte es nicht anders machen als andere, sondern dasselbe, nur besser. Die Dinge sind, wie sie sind. Was soll man da groß verändern? Er geht über die Qualität der Zutaten und kleinste Variationen im Anrichten, im Geschirr oder der Komposition, um einen Unterschied zu machen.

Es geht also darum, Essen einfach zu halten?

Genau. Für den Kaiseki-Koch ist es sehr wichtig, das Essen einfach zu halten. Er fragt sich immer, bin ich nah am Blendwerk oder doch am Wesentlichen. Das finde ich eine schöne Spannung. Es ist viel einfacher, viel auf den Teller zu legen, anstatt darüber nachzudenken, was der Kern des Gerichts ist.

Vom französischen Sternekoch Joël Robuchon stammt der Spruch, ein Gericht sei erst fertig, wenn man nichts mehr weglassen kann.

Das trifft es. Aber mir fehlt dabei etwas. Gerade die Arbeit an der Reduktion ist die schwerste. Das kommt in dem Satz nicht richtig rüber. In dem Verständnis geht es nur um Weglassen. In der japanischen Küche gibt es aber auch die Methode, etwas hinzuzufügen, eben um etwas wegzulassen. Um den Geschmack tiefgründiger und klarer zu machen.

Sie sagen, die europäische Restaurantküche ändere sich gerade. Nimmt sie Einflüsse aus Japan auf?

Ich verwende gern den Begriff „Synchronizität“. Es liegt hier einfach in der Luft. Der Trend zu regionalen und saisonalen Zutaten beispielsweise hat ganz andere Ursachen als die Beschäftigung mit Japan. Gleichzeitig beobachte ich, dass immer mehr Köche Teller auf den Tisch stellen, die auf Einfachheit bedacht sind, die reduziert und dennoch sehr durchdacht sind. Die Beziehung zu den Produzenten sind diesen Köchen extrem wichtig, genau wie die Qualität der Zutaten.

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