: Ganz einfach herrlich kompliziert
Vereinfachung ist das Jahresmotto des Kunstvereins Wolfsburg. Für die aktuelle Ausstellung beschäftigen sich sechs Künstler*innen mit dem Appell: „Mach es einfach“
Von Bettina Maria Brosowsky
Mach es einfach. Mach es einfach. Schon in dieser simplen Aufforderung liegt, je nach Betonung, keine Eindeutigkeit. Auch die weitere Untersuchung des Wortes „einfach“ vereinfacht die Sachlage nicht unbedingt. Wir reden ja gerne von „einfachen Leuten“, wenn wir deren intellektuelle Unterkomplexität geringschätzen wollen; beklagen gerade eine für die Weltpolitik gefährliche „Simplifizierung“, so durch das andauernde Twitter- Bombardement des aktuellen US- Präsidenten.
Es gab aber auch den entschieden einfachen Hashtag „justdoit“, mit dem sich ein Sportausrüster hinter Tennisstar Serena Williams stellte, als kürzlich der Präsident des französischen Tennisverbands, Bernard Giudicelli, ihr für den weiteren Verlauf der French Open den schwarzen Ganzkörperanzug untersagte, der ihm vielleicht zu komplex codiert erschien. Wobei: „Just do it“ – das ist erst einmal der bekannte Werbeslogan der Firma mit dem stilisierten Flügel von Siegesgöttin Nike als Logo und gemeint als Aufforderung zur permanenten Selbstoptimierung. Also dann doch recht einfach verständlich, wenngleich meist schwierig umzusetzen.
Um all das dreht sich das Jahresprogramm des Kunstvereins Wolfsburg unter dem Motto „Simplify your Style“, mit gesellschaftlichem und vor allem kunsthistorischem Bezug. So findet sich in der Geschichte der bildenden Kunst immer wieder das Begehren nach Klarheit und Vereinfachung, auch die abstrakte Kunst am Anfang des 20. Jahrhunderts spiegelt diesen Wunsch, heißt es von dort. Fortschrittlich erschien zudem das Streben nach einer universellen Bildsprache, die für jede Kultur verständlich und für alle visuellen Ausdrucksformen von Architektur über Design bis zum Film verwendbar sein sollte.
In der aktuellen Ausstellung versammelt Kuratorin Jennifer Bork nun sechs Positionen, die ganz unterschiedlich mit dem Appell „Mach es einfach“ und einer Einfachheit ganz allgemein operieren. Lotte Lindner und Till Steinbrenner etwa haben die Einladung zur Ausstellung genutzt, um einen Kindheitstraum anzugehen. Schon länger interessierte sie ein Flugdrachen aus einem Bastelbuch von 1959, der entweder eine Kamera tragen oder Flugblätter abwerfen könne.
Dieser archaisch einfache, auf den ersten Blick viel zu schwere Drachen aus Holzleisten und Leinwand ist ein dekorativer Zwitter aus Otto Lilienthals Tragflügeln und zwei Luftschrauben Leonardo da Vincis. Im Flugversuch erwies er dann eine erstaunliche Stabilität und Eleganz. Und verifizierte eindrucksvoll die Theorie des Luftfahrtpioniers, dass auch Objekte, die schwerer sind als Luft, in der Luft fliegen können, geeignete Konstruktion vorausgesetzt.
Für Lilienthal hatte das Fliegen aber auch eine utopische Dimension: wären nationale, physische Grenzen durch die Fliegerei erst obsolet, ist der Weltfrieden in Sicht. Das, so wissen wir, war dann doch zu einfach gedacht. Wenn das Wetter es zulässt, soll der Drachen am 20. Oktober noch einmal in Aktion zu sehen sein, Lilienthal sei Gedenk.
Einen geradezu genial einfachen Weg schien Jahre lang der Hochstapler Christian Karl Gerhartsreiter erfolgreich beschritten zu haben. Er ging 17-jährig aus Bayern in die USA und lebte dort mit wechselnden Identitäten, unter anderem als Sprössling des britischen Hochadels oder der Rockefeller-Dynastie, inmitten der High Society. Selbst seiner Ehefrau kamen erst nach dreizehn Jahren des Zusammenlebens Zweifel.
Mittlerweile sitzt Gerhartsreiter, der in einem Indizienprozess des Mordes überführt wurde, in US-amerikanischer Haft. Dokumentarfotografin Sara-Lena Maierhofer hat sein Leben mit Dokumenten, assoziativen Materialien und Zitaten aus dem dadaistischen Brevier für Hochstapler von Walter Serner, „Letzte Lockerung“, ausgelegt. Sie zeigt, wie offensichtlich simpel die Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion übertreten werden können, wenn auf beiden Seiten die entsprechende mentale Disposition vorhanden ist.
Christine Schulz, wie Lindner und Steinbrenner derzeit auch auf der Herbstausstellung in Hannover vertreten, setzt neuerlich Materialien und Techniken in Szene, denen eine anachronistische Einfachheit eigen ist, etwa die Overhead-Projektion. Julian Öffler lässt in einem filmisch einfach daherkommenden Video seinen Protagonisten, den „Künstler“, allerhand naive Fragen und Vermutungen zu Profession und gesellschaftlicher Akzeptanz stellen.
Und Stefan Panhans legt seinen fast unbeweglich im roten Schlafsack vermummelten Akteur in ein karges Interieur. Von dort gibt er fernöstliche Philosophie zum Besten, die ja mit dem Nimbus geistiger Präzision und Reduktion geadelt ist, oder auch nur simple Tipps zu fiskalischen Tagessätzen für den Verpflegungsmehraufwand bei Tätigkeiten abseits des regulären Arbeitsplatzes.
Eine akustische Variante steuerte bis vergangene Woche Joanna Schulte im „Raum für Freunde“ bei. Sie hat für ihre Soundinstallation „Stereo Twice“ die Tonarme der Plattenspieler zweier Musiktruhen aus den 1960er-Jahren so manipuliert, dass sie in Endloswiederholung nur eine kurze Stelle abspielen – so, als ob der Tonarm hakt. Das Musikmaterial aus digitaler Quelle hat sie zu einer Single gepresst, der Ton läuft sachte an und ebenso aus – aber technisch ganz so einfach wie vermutet ist die Sache dann doch nicht. Mitte Oktober wandert die Installation nach Marl: Joanna Schulte ist eine von sieben Nominierten des European Soundart Award.
Simplizität und Komplexität, so erkennt man, sind auch in der Kunst zwei denknotwendige Seiten ein und derselben Medaille. Die dialektische, herrlich komplizierte Welt, sie scheint noch nicht verloren.
„Mach es einfach“: Kunstverein Wolfsburg, bis 4. November
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