Verleger Hannes Wanderer ist gestorben: Ein großzügiger Mensch
Er hat alles richtig gemacht, seine renommierten Fotobücher entstanden mit viel Leidenschaft: Ein Nachruf auf den Berliner Verleger Hannes Wanderer.
Obwohl Fotobücher oft nur in einer Auflage von wenigen hundert Exemplaren erscheinen, werden jedes Jahr Hunderte von ihnen veröffentlicht. Die Fotobuch-Szene ist relativ klein und einigermaßen überschaubar. Und in dieser Szene ragen Persönlichkeiten umso mehr heraus. Eine dieser Persönlichkeiten war Hannes Wanderer, der am 9. September 2018 im Alter von nur 60 Jahren unerwartet in Berlin verstarb.
Wanderer war sowohl Verleger (Peperoni Books) als auch Buchhändler (sein „25 Books“ ist weltweit als einer der besten Fotobuchläden bekannt). In öffentlichen Vorträgen verwies er stets als Erstes auf die Tatsache, dass er in einer Druckereifamilie aufgewachsen sei – die Liebe für das gedruckte Bild habe ihn seither nicht mehr verlassen. Und so war es auch.
Bei Wanderer gaben sich einige der bekanntesten Namen der Fotografie die Klinke in die Hand. Mit Thomas Hoepker, Mitglied der renommierten Magnum Fotoagentur, produzierte er Bücher mit Arbeiten aus dem Archiv des legendären Fotografen, darunter dessen Bilder von Muhammad Ali. Michael Wolfs „Tokyo Compression“ erlangte in der Fotoszene schnell Kultstatus und wurde mehrfach nachgedruckt – in einer Welt, in der sich oft selbst die wenigen hundert gedruckten Exemplare eines Buchs nicht verkaufen lassen, eine kleine Sensation.
Und in den letzten beiden Jahren kümmerte sich Wanderer darum, dass die lange vergessenen Arbeiten der amerikanischen Fotografin Mary Frey endlich einem großem Publikum bekannt wurden. Zur Eröffnung einer Ausstellung Freys in Köln Anfang September konnte er bereits nicht mehr kommen. Am Telefon ließ er verlauten, es ginge ihm nicht gut. Das Buch, das sie zusammen gemacht hatten, lag natürlich vor Ort aus.
Ein hartes Geschäft
Aber es waren nicht ausschließlich die großen Namen, die ihn interessierten. Solange jemand auch nur ein kleines Interesse am Fotobuch hatte, war er bei Wanderer an der richtigen Adresse. Und wer noch kein Interesse hatte – na, die würde er auch noch bekehren. In den letzten Jahren hatte ich oft die Gelegenheit, Wanderer dabei zuzusehen, wie er sich mit Studenten oder möglichen Kunden über Bücher unterhielt. Seine Leidenschaft war offensichtlich und für manche Leute fast ein wenig überwältigend. Man muss ja auch eine Menge Leidenschaft mitbringen, wenn man Bücher in so kleiner Auflage für einen so begrenzten Markt verlegen will. Das ist ein hartes Geschäft, wie Wanderer selbst immer wieder betonte.
Hannes Wanderer hatte zusammen mit Andreas Göx für ihren gemeinsamen Bildband „Time Out“ – 2004 erschienen – leere Läden in allen Lagen, Größen und Zuständen in Berlin ausgegraben. „Time Out“ haben Freunde nun auch die Gedenkveranstaltung für Hannes Wanderer genannt. Sie findet am Samstag, dem 29. September 2018, ab 19 Uhr (Ansprachen ab 21 Uhr) in der Galerie der Neuen Schule für Fotografie, Brunnenstraße 188–190 (U Rosenthaler Platz) statt. (taz)
Leidenschaft allein reicht natürlich nicht aus, wenn man Fotobücher machen möchte. Obwohl sie auf einer höheren Ebene operieren, haben sie vieles mit Kinderbüchern gemeinsam. Beide erzählen Geschichten mit einer sehr kleinen Anzahl von Zutaten, eben Bilder/Fotos und dazu eventuell ein wenig oder halt kein Text.
Dieser Ansatz ist seit den Jahren des klassischen Fotojournalismus, ob nun bei LIFE oder im Stern, bekannt. Dort wurde durch die Auswahl und Reihenfolge und Kombination der Fotos mit sehr spezifischen Bildunterschriften die gewünschte Botschaft übermittelt. Im Bereich des Fotojournalismus werden auch heutzutage noch solcherlei Bücher produziert.
Das Künstlerbuch aber macht es sich zumeist schwerer. Auf erklärende Bildunterschriften wird verzichtet. Es wird nicht erklärt, es wird nur gezeigt. Aus dem Gezeigten ergibt sich die Geschichte, vorausgesetzt, man macht es richtig. Ebendieses Richtigmachen ist die große Kunst des Fotobuchs, eine Kunst, für die Wanderer ein erstaunliches Gespür entwickelt hatte: einem Buch die richtige Form zu geben. Und das heißt, die Fotos und die Grundmaterialien des Buchs selbst auszuwählen (Umschlag, Papier, die Art zu drucken etc.) – all dies beherrschte er wie kaum ein anderer.
Dann ging es ans Eingemachte
Zu Wanderers Leidenschaft gesellte sich ein Ausmaß an Großzügigkeit und Uneigennützigkeit, das in der Welt der Fotografie, gerade im Bereich der Kunst, alles andere als gang und gäbe ist. Da wurde der interessierten Kundin einfach eine Flasche Bier oder eine Limo angeboten – „25 Books“ wäre ohne dies undenkbar gewesen. Und dann ging es ans Eingemachte, dann demonstrierte Wanderer, warum genau das Buch, das er in kürzester Zeit auf einem der unzähligen Regale gefunden hatte, genau das wäre, das der Kundin gefallen könnte.
Es ging ihm dabei nicht darum, ein Buch zu verkaufen. Der Verkauf, so er denn stattfand, war mehr so etwas wie die Teflonpfanne in der Raumfahrt: Das ergab sich nebenher. Stattdessen ging es Wanderer immer darum zu zeigen, wie man Geschichten nur mit Fotos erzählen kann, ob es nun um einen Boxweltmeister ging, um Pendler, die wie Sardinen in U-Bahn-Wagen gequetscht sind, oder um das an sich belanglose und gerade deshalb so erstaunliche Leben in einer amerikanischen Kleinstadt.
Aus dem Jiddischen hat das amerikanische Englisch das Wort „Mensch“ übernommen. Ein „Mensch“ ist nicht nur einfach, was das Wort im Deutschen bedeutet, ein Mensch. Ein „Mensch“ ist eine besonders herausragende Person, eine, die sich durch all die Eigenschaften auszeichnet, die Hannes Wanderer zu eigen waren. Würde ich jemandem in meinem amerikanischen Alltag erklären wollen, wer Hannes Wanderer war, dann würde ich sagen, dass er ein „Mensch“ war – und mein Freund.
Hannes, die Lücke, die du in Berlin und weit darüber hinaus hinterlassen hast, werden wir nicht füllen können. Hannes, mein Freund, du wirst uns allen fehlen.
Der Autor lehrt Fotografie an der Kunsthochschule in Hartford (USA), schreibt über Fotografie auf CPhMag.com und für internationale Fachzeitschriften.
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