: Er will doch nur spielen
Wie viel bringt dieser nachträgliche Antifaschismus? Die Inszenierung von „Mephisto“ nach Klaus Mann gerät am Wiener Burgtheater zum Gemeinplatz mit Gegenwartsbezug
Von Uwe Mattheiß
Alles ist groß an diesem Abend, sogar die Kleinbuchstaben, die Fabian Krüger stockend in die kleine Reiseschreibmaschine tippt. „M-e-p-h-i-s-t-o“ strahlt die Beamer-Artillerie im Wiener Burgtheater portalfüllend auf Bühnenprospekte, als wären diese aus dem Steingrau des Berliner Olympiastadions. Gleich könnte Klaus-Maria Brandauer hereinstürzen und deklamieren: „Was wollt ihr von mir? Ich bin doch nur ein Schauspieler.“ Doch bis er das wegen Abwesenheit nicht tun wird, vergehen noch dreieinhalb Stunden.
Deutscher Geist ist auf der Flucht vor der deutschen Wirklichkeit. Man merkt es am Leinenanzug im Schnitt der 1940er, den der junge Mann an der Schreibmaschine trägt. Die weite Schlabberhose lässt ihn umso verlorener wirken. Dabei ist er ganz der Papa, der Junge. Brille und Haarschnitt präparieren Fabian Krüger für den Thomas-Mann-Lookalike-Wettbewerb. Der sitzt allerdings in Pacific Palisades, Kalifornien, und produziert mit den Ärmelschonern hanseatischer Disziplin Weltliteratur gegen das deutsche Grauen. Sohn Klaus geht zugrunde an Deutschland und minderer Drogenqualität im Exil.
Zuvor noch eine Abrechnung: „Mephisto – Roman einer Karriere“, 1936 publiziert, handelt vom aufhaltsamen Aufstieg eines Theatermachers, Hendrik Höfgen, in die Nazi-Elite. Vor allem ist er eine Klage gegen den Subjektivismus bürgerlicher Kunstideologien, die glaubten, im „Gegenglück des Geistes“ die Totalitären unangefochten überstehen zu können, und eine Abrechnung mit dem Virtuosentum, das mit Einfühlung und Illusion in der Lage war, noch jede Ideologie bigger than life ins Bild zu setzen. Lange verboten auf Betreiben der Erben von Gustaf Gründgens, an dessen Lebensweg Mann Maß genommen hat, gewann der Stoff in der denkwürdigen Fassung von Ariane Mnouchkine für das Théâtre du Soleil (1979) unverhofft eine zweite Existenz und mit dem Film von István Szabó (1981) einen Oscar, bei dessen Verleihung Hauptdarsteller Klaus-Maria Brandauer seinem Regisseur kokett die Schau stiehlt.
Regisseur Bastian Kraft versucht mit seiner Fassung im Wiener Burgtheater dem Stoff etwas für die unmittelbare Gegenwart abzugewinnen, meint man doch Motive, Mentalitäten und Handlungen aus dem Roman in Zeiten wie diesen vermehrt auftreten zu sehen. Kraft mäandert zwischen Roman, Mnouchkine, Szabó und der Nachgeschichte. Es obliegt Krüger in dreifacher Mission als Schauspieler, vorgestellter Autor und Romanfigur die losen Enden aufzuklauben und als unser engagierter Lehrer Dr. Brecht aus dem Deutsch-Grundkurs episch durch den Abend zu führen.
Dann kommt er endlich: er! Hendrik Höfgen (Nicholas Ofczarek) schreitet, nein: er marschiert über eines dieser Ulrich-Rasche-Laufbänder, die man im Theater jetzt öfter sieht. Er trägt von Beginn an die weiße Mephisto-Maske mit den bedrohlich spitzen Augenbrauen, die Brandauer im Film erst zum Schluss anlegt. Dann machen Sabine Haupt (Nicoletta von Niebuhr) und Dörte Lyssewski (Barbara Bruckner) schwer einen auf queeren 1920er-Jahre-Schick. Babylon Berlin lässt grüßen. Mit Sebastian und Hendrik kuschelt das Quartett der Reihe nach die Popos aneinander. Vielleicht haben es die Linkslinken manchmal doch so getrieben, wie es sich der kleine Parteigenosse in seinen wilden Angstlustträumen vorgestellt hat.
Es sind eigentlich zwei Geschichten, die hier recht eindimensional erzählt werden. Der monströse Opportunismus einer Begabung in der Diktatur und der Traum zweier verlorener Schriftstellerkinder von einer intimen Gemeinschaft, die das Böse der Zeit überdauert. Göring und seine Flamme (Martin Reinke und Petra Morzé) sind eher General und Evita, Kasperlefiguren aus einer südamerikanischen Militärdiktatur.
Nicholas Ofczarek macht dann den Sack zu, bevor er ihn aufschnüren kann. Seine energiegebündelte Darstellung führt die individuelle Pathologie –oder soll man sagen: Tautologie – von jemandem vor, der immer schon ein Arschloch war, was daraus ästhetisch und politisch ein Muster ohne Wert macht. Ansonsten geschieht viel Räsonnement in Leitartikeln. In all dem Bescheidwissen wünscht man sich die kargen, aber stichfesten Dialoge zurück, die Ariane Mnouchkine in ihr opulentes Theater gebettet hat. Sie skizzieren noch heute politische Haltungen, statt in Figurenpsychologie zu baden.
Der politische Gehalt von Spielplanentscheidungen wie dieser kann bestritten werden. Im Unbehagen über die österreichischen Verhältnisse warten die großen Wiener Theater derzeit mit Projekten eines nachträglichen Antifaschismus auf, die freilich nichts kosten und mit dem geneigten Publikum lediglich die Meinung teilen, dass man sowieso auf der richtigen Seite steht.
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