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freiwilliges engagementKümmert euch!

Warum ein sozialer Gesellschaftsdienst besser ist als eine Dienstpflicht für alle

Thomas Kierok

Daniel Dettling

ist Zukunftsforscher und Gründer des Instituts für Zukunftspolitik (www.zukunftspolitik.de). Zuletzt erschienen: „Wie wollen wir in Zukunft leben? Eine Agenda für die Neo-Republik“ (2014).

Vor sieben Jahren wurde die Wehrpflicht ausgesetzt und mit ihr der Zivildienst. Was Liberale und Linke schon lange forderten, schaffte der Gebirgsjäger und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) fast im Alleingang und ohne öffentliche Debatte. Sieben Jahre später findet die Debatte endlich statt. Seit Wochen diskutiert das Land die Einführung einer „allgemeinen Dienstpflicht“ beziehungsweise eines „verpflichtenden Gesellschaftsjahres“ für junge Männer und Frauen.

Von den heute 700.000 jungen Erwachsenen in Deutschland sind 100.000 in sozialen Diensten und bei der Bundeswehr freiwillig tätig. Es könnten mehr sein. Die Freiwilligen sind überwiegend junge, gut ausgebildete Frauen, mehr als die Hälfte hat Abitur und viele bekommen von ihren Eltern zusätzlich Geld zum mageren Freiwilligengeld (320 bis 390 Euro). Jugendliche mit Migrationsgeschichte sind ebenso unterrepräsentiert wie junge Menschen, die in Armut aufwachsen. Die real existierende deutsche Freiwilligenpolitik führt nicht zu mehr Integration und sozialem Zusammenhalt.

Ähnliches gilt für den sozialen Sektor. Von den rund fünf Millionen Beschäftigten in den sozialen Berufen sind 80 Prozent Frauen. Ist das die Zukunft des Sozialwesens: weiblich, schlecht bezahlt und mieses Image? Der amerikanische Bestseller-Autor David Graeber stellt in seinem neuen Buch eine provokante These auf: Rund jede zweite Arbeitsverrichtung sei ein „Bullshit-Job“ – ein Job, der nicht vermisst wird, wenn er wegfällt. Zu den „vermissten Jobs“ gehören vor allem jene Berufe, die nicht die Anerkennung bekommen, die sie verdienen. Jobs, die auch im Zeitalter der Maschinen und der Künstlichen Intelligenz nachgefragt werden. Denn je stärker die Automatisierung voran schreitet, desto bedeutender werde der Fürsorgecharakter von Arbeit, so Graeber. Die Jobs am Menschen werden bislang schlecht bezahlt, sind körperlich und seelisch anstrengend und sozial nicht besonders gut angesehen.

Deutschland gehen in den nächsten Jahren die Kümmerer aus. Der demografische Wandel führt zu einer doppelten Herausforderung. Mehr Kinder werden geboren und mehr Ältere müssen versorgt und gepflegt werden. „Care“ wird zum Wachstumsmarkt. Fachkräfte im Sozial- und Gesundheitswesen werden dringend gesucht. In den nächsten Jahren fehlen in den Kitas, Schulen und Pflegeheimen Hunderttausende Erzieher, Lehrer und Pfleger. Der Sozial- und Gesundheitsbereich weist in der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen eine der geringsten Engagementquoten auf. Das liegt nicht an den Jugendlichen, sondern an einem Mangel an Gelegenheiten und Sinn. Die Verkürzung der Schul- und Hochschulzeit sowie die Aussetzung der Wehrpflicht führen zu einer Verlängerung der Erwerbszeit, mit negativen Folgen für das gesellschaftliche Engagement.

Gegen die Einführung eines Zwangsdienstes sprechen schon Verfassungsgründe und die Europäische Menschenrechtskonvention. Auch die deutsche Wirtschaft, die Verteidigungsministerin und selbst die Wohlfahrtsverbände sprechen sich gegen die Dienstpflicht aus. Bei den Bürgern selbst findet die Idee einer Dienstpflicht für junge Männer und Frauen dagegen breite Unterstützung, sogar unter Jugendlichen. Sozialer Zusammenhalt und Förderung der Demokratie gehören zusammen.

Jenseits von Pflichtdienst und Freiwilligkeit gibt es einen dritten Weg. Ein Weg, der die Themen Engagement, Zusammenhalt und die sozialen Berufe verbindet und beide Seiten verpflichtet: Politik und junge Bürger. Die Idee: Bund und Länder starten eine gemeinsame Initiative zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der Demokratie: „Kümmere Dich!“ Jeder Jugendliche macht bereits während der Schulzeit ein Praktikum in einer Kita, einer Schule, einem Pflegeheim oder einem Projekt der Demokratieförderung.

Vorbild könnte eine Initiative sein, die vor zehn Jahren im deutschen Schulwesen nach US-Vorbild begann: „Teach first!“ Hochschulabsolventen werden für zwei Jahre bezahlt und sind an Schulen in sozialen Brennpunkten tätig, um dort gezielt lernschwache Kinder zu stärken und zu fördern. Die Idee ist auch auf soziale Bereiche und Demokratieprojekte anwendbar.

Was früher der Wehr- und Zivildienst war, ist in Zukunft ein Dienst am Menschen und an der Demokratie – ein „Gesellschaftsdienst“. Bevor man eine Ausbildung oder ein Studium beginnt, kümmert man sich freiwillig – und ordentlich bezahlt – für einige Monate um bedürftige Menschen. 12 Milliarden würde ein solcher Dienst jährlich kosten, wenn der Mindestlohn bezahlt wird und jeder der 700.000 Jugendlichen mitmacht. Die jährlichen Kosten der von der Großen Koalition beschlossenen Rentenreform sind weit höher.

Ist das die Zukunft des Sozialwesens: weiblich, schlecht bezahlt und mieses Image?

Die Generationen Y und Z wollen anders leben und arbeiten. In Befragungen antworten sie auf die Frage nach ihren wichtigsten Lebenszielen: einen sinnvollen Job, neben Unabhängigkeit und Spaß, das eigene Leben zu genießen. Die Jahrgänge 1980 bis 2000 legen mehr Wert auf Freizeit und Zeit für Familie und Freunde. Sie wissen, was Stress, Zeitnot und Burn-out aus ihren Eltern gemacht haben. Und sie können sich auf einem leer gefegten Arbeitsmarkt ihren Arbeitgeber aussuchen. Nicht die Arbeitnehmer, die Arbeitgeber müssen sich künftig um die jungen Talente und Köpfe bewerben. Wer die künftigen Kümmerer für Kindergärten, Grundschulen, Pflege oder Demokratie gewinnen will, wird sich etwas einfallen lassen müssen. Die Dienste am Menschen und für das Gemeinwohl müssen aufgewertet werden – mit mehr Geld, attraktiven Arbeitsbedingungen und einem besseren Image.

Irgendwas mit Medien, Menschen und Maschinen? Die sozialen Berufe könnten eine sinnvolle Antwort darauf geben und die Wende in eine neue Arbeitswelt ohne „Bullshit-Jobs“ einläuten.

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