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Gestrandet in Hokitika

NEUSEELAND Eine Autopanne auf der Südinsel muss kein Unglück sein

Was man in Neuseeland lernen kann, ist eine bestimmte Art von Leichtigkeit. Wenn man beispielsweise segeln oder angeln gehen möchte, besorgt man sich ein Boot oder eine Angel. Und wenn man nichts fängt, hat man wohl etwas falsch gemacht und macht es in Zukunft anders – Scheitern ist in Neuseeland nichts Ehrenrühriges. Es gehört dazu. Und wer weiß schon, was daraus entsteht. Manchmal kann sogar eine Autopanne dazu führen, dass man darüber nachdenkt, sein Leben zu ändern.

Als ich die Westküste der Südinsel hinunterfuhr, dort, wo der Busch bis fast direkt an die Küste hinunterwächst und nur durchbrochen wird von verrosteten Eisenbahnschienen aus der Goldgräberzeit und von wilden Flüssen, hatte ich meine 14-tägige Reise gerade begonnen. Das Wetter war hinreißend, es war Hochsommer, und ich hatte ziemlich viel vor. In Punakaiki fing es an zu nieseln. Und ich stellte fest, dass sich der Scheibenwischer meines alten Toyota Camry nicht bewegte. Anfangs hielt ich alle paar Meter, um die Frontscheibe trocken zu wischen, aber bald war klar, dass ich so nicht weit kommen würde. In Hokitika stoppte ich bei einer Autowerkstatt. Das Verbindungsstück zwischen Motor und Scheibenwischer sei gebrochen, hieß es, vorrätig sei es nicht, aber leicht zu besorgen. Ich solle mir doch Hokitika ansehen, hier übernachten und morgen weiterfahren.

Mittlerweile regnete es in Strömen. Ich hatte zwei Bücher dabei, für die hätte ich sonst ohnehin keine Zeit gehabt. Den Nachmittag verbrachte ich lesend im Aufenthaltsraum eines Hostels. Am nächsten Morgen hieß es, das Ersatzteil sei leider doch nicht so leicht zu besorgen, es müsse aus Australien kommen. Am folgenden Tag solle es da sein und abends würde ich weiterfahren können.

Hokitika ist ein Goldgräberstädtchen aus dem 19. Jahrhundert und hat heute etwa 4.000 Einwohner. Hauptstandbein des Ortes ist die Bearbeitung einheimischer Jade und die Versorgung der umgebenden ländlichen Bevölkerung. Es gibt dort außer zwei Hauptstraßen, vielen Jade-Schmuckgeschäften und ein paar Cafés eigentlich nichts. Im März findet das Wildfoods-Festival statt, aber es war Dezember. Mit dem Kajak kann man den Fluss hinauffahren. Aber nur, wenn es nicht regnet. Und einen See gibt es, aber den kann man nur mit dem Auto erreichen. Ich las meine Bücher zu Ende.

Der örtliche Buchladen war gleichzeitig ein Schreibwarenladen, die Auswahl an Belletristik nicht groß, aber ungewöhnlich, zum Großteil Bücher, die schon vor vielen Jahren erschienen waren. Ich fragte die Verkäuferin danach. Sie sagte, dass ihre Kunden ohnehin in den Laden kommen müssten, es sei der einzige Schreibwarenladen in der Gegend, und dass sie das Buchangebot deswegen nach ihrem Geschmack ausrichten könne und nicht nach Aktualität. Ich kaufte „Shipping news“ von Annie Proulx.

Jeden Morgen fragte ich bei der Autowerkstatt nach und ging im Anschluss in ein Café, das nur ein paar Häuser entfernt lag. Am dritten Tag, an dem das Ersatzteil leider immer noch nicht eingetroffen war, sah ich dort hinaus in den Regen und kam über ein großartiges Pancake-Frühstück mit dem Besitzer ins Gespräch. Er freute sich über mich als neuen Stammgast, und ich erzählte, dass ich hier gestrandet sei. Das sei nicht das Schlechteste, sagte er, sein Laden laufe gut, wenn ich wolle und sich die Reparatur noch hinziehe, könne ich bei ihm im Service anfangen.

Auf dem Weg zurück zum Hostel traf ich die Buchhändlerin vor ihrem Laden. Ja, ich sei immer noch in Hokitika, sagte ich ihr, angeblich solle es morgen weitergehen, aber ich sei skeptisch. Nun, wenn das nichts werde, könne ich bei ihr arbeiten, bot sie an. Im Sommer gebe es immer viel zu tun. Ich fing an, mich heimisch zu fühlen.

Das dritte Jobangebot bekam ich in dem Schmuckgeschäft, in dem ich zur Erinnerung an meinen Aufenthalt in Hokitika einen Jade-Anhänger kaufte.

Am nächsten Tag war das Ersatzteil da, es musste nur noch eingebaut werden, und so würde ich tags drauf tatsächlich weiterfahren können.

Von meinen 14 Tagen Reisezeit hatte ich nun also vier in Hokitika verbracht und drei Jobangebote bekommen. Ich stellte mir vor, wie es wäre, die weitere Reise und mein Leben in Deutschland abzusagen und einfach hierzubleiben. Auf einmal war Hokitika eine Möglichkeit, und es war fast schade aufzubrechen. Auf der Straße Richtung Franz-Josef-Gletscher kam die Sonne durch, und die Küste leuchtete. NORA GOTTSCHALK

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