Die Wahrheit: Stichworte des Sommers
Weil der Sommer dieses Jahr einfach nicht Schluss macht, wird es wohl immer so weiter gehen mit den sommerlich mäandernden Kneipenthemen.
E in Sommer der Dürre? Fucking Luxusprobleme? In meiner Dachkammer war es heiß genug, um auf dem Küchentisch Spiegeleier zu braten. Der Toast dazu brauchte auch keinen Strom. Pure Sonnenenergie röstete ihn punktgenau. Lecker.
Kaum hatte ich gegessen, läutete es dreimal. Das wird Inga sein, sagte mein Wunschdenken, ich also abwärts. Treffer! Wir schlurften zu der Kneipe um zwei Ecken, in deren Biergarten unter den Sonnenschirm.
Ehe wir Erlebnisse austauschen konnten, erzählte Wirtin Gina ihr Ereignis des Sommers. Sie und ihr Mann Angelo hatten wie üblich für zwei Wochen ihr Wirtshaus geschlossen und die Familie bei Neapel besucht. Als beim Rückflug in unsere kleine Großstadt die Maschine über den Wolken flog, meldete sich per Lautsprecher eine ihnen vertraute Stimme. Es war Heiners Stimme, Stammgast in ihrer Kneipe, seines Zeichens Pilot, der bei seinem Chef beantragt hatte, genau diesen Flug zu übernehmen. Treffer!
Wir beklatschten herzlich diese Freundschaftsgeste, gleichsam als ein Beispiel für das seltene Eindringen idyllischer Momente in den mindestens medial vermittelten Irrsinn der Gegenwart. Danach aber schien es überraschend umständlich zu sein, unseren Austausch einzuleiten. Was hatte ich zu berichten?
Ich sagte: „Also, Stichwort ‚Reisen‘: In einem Werbespot der Deutschen Bahn spielen jetzt Iggy Pop und sein drahtiger Oberkörper mit. Es läuft ‚The Passenger‘, während Nico Rosberg durch die proppevollen Gänge eilt. Die beiden treffen dann lachend aufeinander. Der Song sei in der Berliner S-Bahn damals entstanden, lässt Iggy verlauten. Ich finde, der darf so was, oder?“ – „Ja, sehe ich auch so“, antwortete Inga und wollte nun offenbar etwas erzählen.
„Stichwortfeld Drogen. Du weißt, dass ich meistens ein paar Krümel Gras bei mir habe. Nichts kann meine Rückenschmerzen besser lindern als der Effekt eines Brosamens in der gedrehten Zigarette. Nun stehe ich beim Einlass zum Konzert von Calexico, ein junger Typ vom Wachdienst wühlt durch meine Tasche und greift zu meinem Tütchen. Lächerliche Menge, kein halbes Gramm, schätze ich.“ – „Und er hat es dir abgenommen“, sagte ich. – „Genau“, sagte Inga, „das hat mich echt gewundert. Ich meine, harmloser geht’s doch nicht, wir leben im Jahre 2018.“
„Na ja“, sagte ich, „stimmt schon. Und hätten sie in der Umhängetasche von Iggy Pop ein bisschen Gras gefunden, hätten sie wahrscheinlich gar nicht drauf geachtet.“
Nach einem Schluck Rhabarberschorle sagte Inga: „Später ging ich auf eine Zigarette nach draußen und traf auf den Chef der Wachbrigade. Tätowiertes Muskelpaket, kahlköpfig, einen Kopf kleiner als ich. Ich sage zu ihm, ich würde doch bestimmt das Bisschen am Ende zurück kriegen. Nee, sagt er, das hätten sie weggeschmissen.“
„Gut“, sagte ich, „Stichwort ‚Märchen‘: …“ Doch jetzt fehlt der Platz für die nächste Geschichte. Ein andermal.
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