: „Der Kiezhund ist ausgebucht“
Gemeinschaftsräume, Gemeinschaftshund, Gemeinschaftsautos: Der US-Immobilienentwickler Hines baut in Berlin ein Wohnquartier, für das er sich von Baugruppen und Sharing-Start-ups Ideen holte. Managing Director Joachim Wintzer sieht darin die Zukunft des Wohnens
Interview Uwe Rada
taz: Herr Wintzer, die Firma Hines ist in Berlin als amerikanischer Projektentwickler bekannt, der am Alexanderplatz als einer der Ersten ein Hochhaus bauen wollte. Wie würden Sie die Philosophie Ihres Unternehmens beschreiben?
Joachim Wintzer: Wir sind ein Familienunternehmen. Unser Gründer Gerald Hines ist mit 93 Jahren immer noch aktiv. Erst kürzlich war er in Berlin und hat auf der Terrasse des Zooms gestanden. Das Geschäftshaus am Zoo wird noch in diesem Jahr fertig. Sein Sohn hat inzwischen die Geschäfte übernommen, auch die beiden Enkel sind im Unternehmen tätig.
Welche Art von Unternehmen ist innovativer: ein Familienunternehmen oder ein börsenorientiertes Immobilienunternehmen?
Unsere Stärke ist, dass wir als weltweit tätiges Unternehmen internationales Know-how haben und trotzdem regional agieren können. Als wir das Grundstück am Südkreuz gekauft haben, waren wir dort mit Kollegen und Experten, die bereits große Mietwohnungsbauten für Hines in den USA entwickeln. Sie haben uns von den Trends berichtet, und wir haben diskutiert, was davon nach Deutschland passen würde.
Was wäre ein solcher Trend?
In den USA gibt es in Wohnquartieren sogar Hundewaschstationen. Dort wird das gemeinsame Waschen und Fönen der Tiere zelebriert. So etwas wäre hier undenkbar. Aber klar ist auch: Der klassische Wohnungsbau reicht nicht mehr. Es boomen Sharing-Angebote, also Möglichkeiten, etwas zu teilen. Das gibt’s im Bürobereich mit dem Co-Working, auf der Straße mit Autos, Fahrrädern, Rollern – und zunehmend auch im Wohnungsbau. Während die eigenen Bereiche tendenziell kleiner werden, wird der Gemeinschaftsbereich ausgeweitet.
Hines ist bis jetzt nicht gerade auf den Wohnungsbau spezialisiert gewesen. Nun werden Sie am Südkreuz im gleichnamigen Quartier 665 Wohnungen bauen. Warum?
Unser Schwerpunkt liegt nach wie vor in der Entwicklung von Bürogebäuden und Einzelhandelsflächen. Für jedes unserer Projekte gilt jedoch, dass wir Trends setzen wollen. Und diese Möglichkeit sehen wir ganz besonders bei den Wohnungen am Südkreuz.
Bislang sind Sie auf die Innenstädte spezialisiert. Ist es für Sie nicht auch ein Risiko, in die Peripherie zu gehen?
Südkreuz hat eine tolle Anbindung, liegt ja immer noch sehr zentral – ein idealer Standort für unser erstes Wohnquartier in Deutschland.
Hundewaschanlagen wird es im Quartier Südkreuz nicht geben, wohl aber einen Kiezhund. Was muss ich mir darunter vorstellen?
Das ist zum Beispiel so eine Idee, die wir auf unseren internationalen Erkundungsreisen nach neuen Wohnformen entdeckt haben. Wir haben in Italien unter dem Namen „aparto“ studentische Wohnprojekte realisiert, die wir auch betreiben. Da gibt es auch sogenannte Mehrwert-Amenities. Damit sind Angebote gemeint, die so exklusiv sind, dass sie sich ein Einzelner nicht leisten würden. Aber in der Gemeinschaft ist das machbar.
Und der Kiezhund ist so ein Beispiel?
Und eine Kiezkatze auch. Die wohnen im Gemeinschaftsbereich. Man meldet sich als Mieter zur Betreuung wie zum Spazierengehen an. Das ist in Italien vier Wochen im Voraus ausgebucht. Die Bewohner wollen mit denen ständig raus. Das ist ein regelrechtes Highlight, das dann in Form lustiger Fotos auch regelmäßig in den sozialen Netzwerken geteilt wird.
Der Kiezhund kann also berühmt werden?
Vielleicht. In jedem Fall stärkt er die Gemeinschaft. Das ist auch ein Stück Identifikation.
Wer betreut Hund und Katze, wenn sie nicht gerade Gassi geführt werden?
Das Team der Hausmeister und Quartiersbetreuer.
Die sind dann das Herrchen.
Oder das Frauchen, ja.
Die Zielgruppe für den Kiezhund im Quartier Südkreuz ist also nicht die Wilmersdorfer Witwe, die todtraurig ist, wenn ihr Pudel gestorben ist, sondern eine eher jüngere Klientel.
Am Südkreuz entwickeln wir mit den 665 Wohnungen ein Angebot für ganz unterschiedliche Ansprüche. Mit unserem Gedanken des Sharing muss man etwas anfangen können – und das können vielleicht gar nicht mal nur junge Leute. Wer seinen Gartenzaun haben will, für den ist das eher nichts.
Ist es das erste Wohnprojekt dieser Art, das Hines angeht?
Es ist für uns ein Pilotprojekt, ja.
Sie bieten, so steht es auf der Website, Zugang zu Dienstleistungen wie Bücherei, Fitnesscenter, Co-Working Spaces, Bike und Carsharing an. Wie ist denn die Nachfrage?
Das sind einige unserer Ideen, aber noch ist nichts final entschieden. Europaweit haben wir unsere Mitarbeiter gebeten: Zeigt uns mal das innovativste Projekt, das ihr in euren Städten und Ländern habt.
Welche waren das?
The Collective in London ist ein spannendes Projekt. In Berlin ist es The Quarters. Es gibt auch tolle Projekte in Spanien und Brasilien. Entscheidend ist ja, dass auch Berlin immer internationaler wird, dass immer mehr Leute kommen, auch wegen der Tech-Szene. Und die große Frage dabei ist doch: Wie wollen die wohnen?
Wissen Sie es?
Wir sind inmitten eines großen Planspiels – mit einem Gefühl dafür, was die künftigen Bewohner wollen. Und wenn es dann anders kommt, wird es anders gemacht. Wir werden da weder starr noch stur sein und nicht an den Bedürfnissen unserer Mieter vorbeiplanen. Wir wollen neue Lebensräume gestalten, keine schönen Kulissen ohne Nutzwert. Unser Ziel ist es, positive Erfahrungen mit attraktiven Sharing-Angeboten zu bündeln und dabei ein besonderes Berlin-Feeling zu ermöglichen.
Wie verbreitet ist denn der Wunsch zu teilen?
Ihr Auto zu teilen wäre den Deutschen früher im Leben nicht eingefallen. Heute boomen car2go, DriveNow und vieles mehr. Wir lernen gerade Sachen zu teilen und gemeinsam zu nutzen, von denen wir geglaubt haben: Das muss mir gehören. Wir stellen fest, dass Teilen Spaß macht und sinnvoll ist.
Zum Beispiel?
Ein Surfboard oder ein Segelboot. Das zu kaufen, um es dann vielleicht zwei Wochen im Jahr zu nutzen, ist für viele zu teuer. Wenn ich es mir aber mit anderen Leuten teile, die Auslastung steigt, kann es funktionieren. Am Südkreuz haben wir eine Gemeinschaft, die ist groß genug, um etwas teilen zu können und klein genug, um zu wissen, mit wem man teilt.
Die Firma Hines ist ein amerikanisches Immobilienunternehmen, das in Berlin zuerst am Alexanderplatz tätig wurde. Das geplante Wohnhochhaus "Residential" nach dem Entwurf von Frank O. Gehry droht allerdings zu scheitern. Weil unter dem Turm die U-Bahn-Linie 2 verläuft, befürchtet die BVG mögliche Havarien, etwa das Eindringen von Grundwasser in den Tunnel. Nun arbeiten BVG und Hines an einem gemeinsamen Gutachten.
Das Quartier am Südkreuz ist das erste Wohnprojekt, das Hines in Berlin realisiert. Baubeginn des Quartiers mit 665 Wohnungen soll im kommenden Jahr sein, die Fertigstellung ab 2020. Im Rahmen des "Modells der kooperativen Baulandentwicklung" werden auch 116 geförderte Wohnungen für 8,50 Euro pro Quadratmeter entstehen. Auch Jugendwohnen ist geplant. Alle Wohnungen sind Mietwohnungen.
Den Gedanken des Teilens will Hines am Südkreuz umsetzen. Daneben plant der Investor 1.100 Fahrradstellplätze. Autofrei wird das Quartier nicht. Aber es ist geplant, dass der Großteil der unterirdischen Stellplätze an Car-Sharing-Unternehmen vermietet werden. Derzeit laufen dazu noch Gespräche. (wera)
Wenn ich mich im Quartier Südkreuz einquartiere, was genau steht mir dann zum Teilen zur Verfügung?
Das kann alles Mögliche sein. Zum Beispiel das, was viele zu Hause in diesem kaum genutzten „Restezimmer“ stehen haben: Drucker, Schreibtisch, Heimtrainer, Schlafsofa für Gäste. Wenn wir einen Arbeitsbereich zur Verfügung stellen, wo man einen angenehmen Platz mit seinem Laptop findet und keinen eingetrockneten Tintenstrahldrucker, sondern einen A3-Laserdrucker hat, dürfte das Nutzer finden. Gästewohnungen kann ich über eine App buchen, wenn meine Eltern oder Freunde übers Wochenende zu Besuch kommen. Im Proberaum kann ich Klavier spielen, am Schlagzeug in einer schallgedämmten Garage üben. Statt alleine Serien zu gucken, können die Leute zusammen Sport machen, Public Viewing, Grillfeste, Flohmärkte, Tauschbörsen organisieren. Ob das angenommen wird, wissen wir nicht. Es ist ein Experiment, und wir sind gespannt, wie die Angebote angenommen werden.
Gemeinschaftsräume hat es schon in besetzten Häusern gegeben, dann haben die Baugruppen damit begonnen, jetzt werden sie von der Immobilienwirtschaft entdeckt. Was ist denn die Rechnung dahinter? Mehr Gemeinschaftsfläche heißt: weniger Wohnungen, die sie vermieten können.
Die Gemeinschaftsflächen werden nicht riesig sein, sondern sich am tatsächlichen Bedarf orientieren. Ein hallenartiges Fitnesscenter, in dem veraltete Geräte verwahrlosen, braucht kein Mensch. Wir wollen die Angebote an einem Punkt lokalisieren. Je höher die Frequenz, desto besser ist die soziale Kontrolle. Die Idee ist auch, dass die monatliche Mietbelastung für den Einzelnen geringer ist, weil er beispielsweise durch Co-Working-Spaces ein Zimmer weniger braucht. Dafür können wir dann einige Wohnungen mehr anbieten und über alle zusammen auch den Gemeinschaftsbereich finanzieren.
Bei Baugruppen sind die Gemeinschaftsflächen das Ergebnis langwieriger, oft auch anstrengender Aushandlungsprozesse. Das haben Sie nicht. Sie machen ein Angebot und müssen hoffen, dass es angenommen wird. Ist das nicht auch ein unternehmerisches Risiko?
Das ist es, aber in Grenzen. Es ist ein neuer Weg für uns, konzeptionell und unternehmerisch. Wir wollen das aber unbedingt ausprobieren, sind da gern Pioniere und auch bereit, unsere Angebote zu ändern, wenn etwas nicht funktioniert.
In einem Immobilienmagazin hieß es, dass das Sharing auch das Wohnen und die Immobilienwirtschaft verändern wird. Ist das die Zukunft des Wohnens?
Auch ich weiß nicht, wie dramatisch der Wandel verlaufen wird. Die meisten werden ihre vier Wände für die Privatsphäre behalten wollen. Ändern dürften sich aber ihre Ansprüche zu Größe, Ausstattung und dem gemeinschaftlichen Angebot. Gucken Sie sich mal die Außenbereiche, die Gärten bei Neubauprojekten an: Auf deren Gestaltung wird oft kaum Wert gelegt. Wir haben uns ein Baugruppenprojekt am Columbiadamm angeschaut, um herauszufinden, wie es anders geht. Wir waren total begeistert: Der Innenhof setzt sich aus verschiedenen Architekturen zusammen. Deshalb haben wir am Südkreuz auch einzelne Häuser entworfen, keinen klassischen Riegel. In der Mitte gibt es einen Park ohne Maschendrahtzaun. Stattdessen gibt es von Büschen abgegrenzte Bereiche, die für Kinder sind, für ältere Leute, Leseecken. Das wird eine Parklandschaft.
Das heißt, Sie gehen zu lokalen Baugruppen und Selbstnutzerprojekten, um von denen zu lernen?
Selbstverständlich. Wir wollen wissen, wie die Leute wohnen wollen. Und fragen uns das auch immer wieder selbst. Wir waren auch in den Prinzessinnengärten am Moritzplatz und überlegen nun, ob es nicht auch am Südkreuz Urban Gardening geben kann. Dazu planen wir einen Pavillon mit Küche, wo man Feste feiern kann.
Nun ist gerade die Immobilienbranche nicht bekannt dafür, besonders geduldig zu sein. Lieber wird ein Projekt weiterverkauft, als auf den Erfolg zu warten. Wird das Quartier Südkreuz im Portfolio von Hines bleiben?
Ja, wir bauen dort für unseren Bestand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen