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american pieAbseits der Moralreden

Zu Beginn der College-Football-Saison erregt ein Skandal bei den Ohio State Buckeyes die Gemüter

Im Death Valley wird am Sonnabend eine Novität zu bestaunen sein. Die Rede ist nicht von jenem Tal in Kalifornien. Death Valley ist der Spitzname des Memoral Stadium in Clemson, South Carolina. Vom örtlichen Friedhof konnte man einst aufs Spielfeld blicken – daher der Name. Und natürlich, weil die Clemson Tigers, die Footballmannschaft der ortsansässigen Universität, ihre Gegner regelmäßig sportlich beerdigen.

Im Tal des Todes jedenfalls wird am Sonnabend Seltsames stattfinden: Der Gegner, die Furman Paladins, werden aller Voraussicht nach keine Siegchance haben. Daran wird auch ihr Quarterback, ein gewisser Harris Roberts, höchstwahrscheinlich nichts ändern können. Obwohl er im vergangenen Jahr wertvolle Informationen sammeln konnte: Denn Roberts studiert an der Clemson University, macht dort seinen Abschluss. Ist aber offiziell in der gut 50 Kilometer entfernten Furman University eingeschrieben und spielt für deren Auswahlteam.

So etwas gab es in der anderthalb Jahrhunderte langen Geschichte des College Football noch nie, versichern die Historiker, das einer gegen seine eigenen Klassenkameraden antreten darf. Roberts freut sich vor allem, dass er den Weg ins Death Valley problemlos finden wird: „Ich hab das ganze Jahr lang immer hinter dem Stadion geparkt.“

Mit solchen Wohlfühlgeschichten wird sie begrüßt, die neue Saison im College Football, die am vergangenen Wochenende mit vier Partien begonnen hat. Doch erst am Samstag greifen die Schwergewichte der Branche wie Clemson ins Geschehen ein.

Neu ist auch, dass einer der großen Titelfavoriten von einer Affäre erschüttert wird, die Ohio State Buckeyes. Die müssen in den ersten drei Spielen auf ihren Chefcoach Urban Meyer verzichten, mit dem die Buckeyes vor vier Jahren zuletzt die nationale Meisterschaft gewonnen haben. Meyer, einer der großen Trainerstars im College Football, wurde von der eigenen Universität gesperrt, weil er das Fehlverhalten seines Assistenztrainers Zach Smith ignoriert oder sogar vertuscht hat. Der hatte seiner Ehefrau bis zur Scheidung 2016 über Jahre hinweg Gewalt angetan.

Doch erst als Courtney Smith, die misshandelte Ehefrau an die Öffentlichkeit ging, kam der Skandal ans Licht. Zach Smith wurde gefeuert, anschließend wurden noch mehr unappetitliche Details über den Assistenzcoach bekannt: Unter anderem hat Smith während des traditionellen Besuchs beim Präsidenten nach dem letzten Titelgewinn ein Foto seines eigenen Penis aus der Toilette des Weißen Haus geschickt.

Sein langjähriger Chef machte, als der Skandal ins Rollen kam, keine glückliche Figur. Zuerst leugnete Meyer noch, dass er von den Verfehlungen seines Assistenten gewusst habe – obwohl seine eigene Ehefrau SMS-Nachrichten von Courtney bekommen hatte. Als das nicht mehr abzustreiten war, entschuldigte sich Meyer bei den Fans seiner Mannschaft, vergaß aber das Opfer zu würdigen. Erst nach einem weiteren medialen Entrüstungssturm rang sich der Star-Coach zu einer dürren, über Twitter verbreiteten Erklärung durch, in der er sich bei „Courtney Smith und ihren Kindern entschuldigte, für was sie durchgemacht haben“.

Assistentrainer Zach Smith hatte seine Frau über Jahre misshandelt

Der Fall ist exemplarisch für die im Gewerbe herrschende Bigotterie. An die Spieler, allesamt Amateure, werden hohe moralische Standards angelegt von Trainern, die Millionen Dollars verdienen. Am Samstag setzen junge Männer ihre Gesundheit aufs Spiel in der Hoffnung, einmal als NFL-Profi gut zu verdienen, aber erst einmal streichen ihre Unis astronomische TV-Gelder ein – und tags darauf schwafeln die Universitätspräsidenten in Sonntagsreden von Bildungsidealen.

Hinter den Schlagzeilen in Vergessenheit gerät, dass die allermeisten Studentensportler nicht in Skandale verwickelt sind und die Grundlage des Leistungssportsystems der USA bilden. Studentensportler in Sportarten wie Lacrosse und Leichtathletik, Volleyball oder Schwimmen. Aber auch Footballspieler wie Harris Roberts, die genau wissen, dass sie niemals einen Profivertrag bekommen werden. Die aber dank eines Sportstipendiums studieren können. Roberts will nach seinem Abschluss als Ingenieur am liebsten Autos konstruieren. Aber vorher muss er noch einmal ins Death Valley. Thomas Winkler

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