Schloss-Musik mit Kirill Petrenko: Das kann so weitergehen
Mit einem Benefizkonzert unter Kirill Petrenko spielten die Berliner Philharmoniker fast eine halbe Million Euro für das Humboldt Forum ein – direkt vor Ort.
Wilhelm von Boddien ist einer, der kann den Leuten illusionär Großes versprechen, und dann wird er verlacht, aber nur kurz, weil das Versprochene früher oder später ja doch eintritt.
So war es, als er in den Nullerjahren davon träumte, das Stadtschloss wiederaufbauen zu wollen – und jetzt steht es da, fast fertig. Und so war es auch am Samstag, als er im Schlüterhof des Schlosses stand und alle die begrüßte, die gekommen waren, um den Berliner Philharmonikern mit ihrem designierten Chefdirigenten Kirill Petrenko zuzuhören, auf dem Programm die Tondichtungen „Don Juan“ und „Tod und Verklärung“ von Richard Strauss und Beethovens Siebte, wie schon am Abend zuvor in der Philharmonie, dem Saisonauftakt.
1.400 Menschen saßen da im Regen, der so plötzlich und gemein kurz vorher eingesetzt hatte – nach all den trockenen Wochen! Und der Schlossherr sprach, verteidigte dabei behänd sein Redemanuskript gegen den auffrischenden Wind, dankte vor allem dem Orchester, das den Schlossfreunden dieses Konzert und mit ihm bei 1.400 verkauften Karten rund 430.000 Euro an Spenden für den Wiederaufbau geschenkt hatte.
Kirill Petrenko, geboren 1972 in Omsk, wurde im Juni 2015 von den Berliner Philharmonikern zu ihrem künftigen Chefdirigenten gewählt. Er tritt dieses Amt zur Saison 2019/20 an, bis dahin bleibt er noch Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper in München.
In der laufenden Saison wird Petrenko aber bereits mehrfach mit den Philharmonikern auftreten: dieser Tage während einer Konzertreise in Salzburg, Luzern und London, Anfang März in der Philharmonie und zu den Osterfestspielen in Baden-Baden.
Vor seinem Engagement in München war Petrenko unter anderem Generalmusikdirektor am Meininger Theater und in gleicher Funktion von 2002 bis 2007 an der Komischen Oper Berlin. (fez)
Kein kleiner Beitrag für die 20 Millionen Euro, die an den zugesagten 105 Millionen noch fehlen, die Boddiens Schlossfreunde bis Ende 2019 besorgen wollen. Und dann sagte er: „Genießen Sie es, der Regen ist vorbei, die Sonne kommt.“ Da wurde gelacht, weil es ja noch voll platterte auf die Leute, die in ihren kostbaren Gewändern unter einheitlich sackartigen Regenumhängen saßen.
Plötzlich milder Sonnenschein
Aber ungefähr an der Stelle, an der Strauss seinen „Don Juan“ als Sieger strahlen lässt, ließ der Regen nach, und als „Tod und Verklärung“ sich voll entfaltete, da beschien den Schlüterhof ein milder Nachmittagssonnenschein.
Dieser Boddien! Mit genau dieser Beschwörungskraft muss er auch die Intendantin der Philharmoniker, Andrea Zietschmann, anlässlich eines Baustellenrundgangs von diesem Konzert überzeugt haben. Und also schob das Orchester diesen Nachmittagsschwung noch ein, bevor es aufbrach zur spätsommerlichen Festivaltour nach Salzburg, Luzern und London.
Es hatte in den vergangenen Jahren schon Saisoneröffnungen der Philharmoniker unter freiem Himmel gegeben, die deutlich volksnäher und bezahlbarer waren. Tausende strömten da zum Kulturforum und sahen oder hörten das Orchester; hier nun waren es die, die es sich leisten wollten und auch konnten.
Die Ticketpreise lagen bei 295 Euro, festgesetzt von den Schlossfreunden. Etwas nonchalant hieß es zunächst auch, das Orchester knüpfe mit dem Konzert an eine Tradition an, denn schon in den 1930er Jahren habe es im Schlüterhof gespielt. Das waren damals die „Schlossmusiken“ im Rahmen der Berliner Kunstwochen, die Philharmoniker sollten als „Reichsorchester“ dazu beitragen, Berlin als Musikstadt zu profilieren. 1936, während der Olympischen Spiele Hitlers, waren die Konzerte etwa Teil des olympischen Kulturprogramms. Fotos zeigen die Musiker auf dem Podium, umkränzt von uniformierten Laternenträgern.
Die Entscheidung, an diesen Ort zurückzugehen, fiel, so sagt es Intendantin Zietschmann, um das künftige Humboldt Forum als Ort des Austauschs und der Weltoffenheit mit zu definieren, die Vorzeichen heute also ganz andere als damals. Und elitär abschotten wolle sich das Orchester keinesfalls – weshalb es auf einer kostenfreien Leinwandvorführung des Konzerts gegenüber im Berliner Dom bestanden hatte. Es sollte halt Geld in die Kassen Boddiens gespielt werden, dazu wollten die Musiker beitragen, um diesen Ort gleich mal mit Geist zu füllen.
Wenn Schirme stören
Nun sind Open-Air-Konzerte mit solch komplexen Werken des gehobenen Klassikgenres immer ein zweifelhaftes Vergnügen. Da rascheln Regenumhänge in die Pianopassagen, es stören Schirme, Zivilisationsgeräusche dringen hinein, Winde verwehen Klänge und Notenblätter, womit im vierten Beethoven-Satz vor allem Konzertmeister Daishin Kashimoto zu kämpfen hatte.
So rustikal wie im Schlüterhof geht es sonst nur alljährlich zum Ausklang der Saison in der Waldbühne zu, aber da herrscht Picknickatmosphäre, hier staksten kunstaffine Senioren über Kabeltunnel, rätselten, wie aus einer blauen Plastikkugel ein Regencape werden soll, jemand rutschte, andere schnieften, weil sie dann doch zu sommerlich gekleidet waren. Einige ließen sich von dienstfertigen Ordnern die Sitzflächen trockenwischen, andere wischten selbst, Dritte nahmen einfach Gesäßnässe in Kauf: „Ach komm, macht jetz ooch nüscht mehr.“ Unklar, ob sie das wegen des Wetters sagten oder angesichts der vom Neo-Schloss-Architekten Franco Stella designten Westfassade des Schlüterhofs, die in ihrer kühlen Langeweile an die Rückseite einer x-beliebigen Shoppingmall erinnert und viele geradezu erschütterte („Dafür habe ich nicht gespendet!“).
Glücklich, wer am Abend zuvor in der Philharmonie, die ja genau zu diesem Zwecke einst errichtet wurde, genau das gleiche Programm erleben durfte. „Don Juan“ ein wenig schüchtern, „Tod und Verklärung“ nuancenreich, der Beethoven entfesselt, präzise, kompakt, ein Frisch-aus-der-Sommerpause-Beethoven.
Staunende Gesichter im Orchester wie nach einem Ereignis, das niemand vergessen wird, Petrenko still lächelnd, dankbar. Tosender Applaus zum Abschluss, der ein Neubeginn war. Kann so weitergehen.
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