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Porträt eines gespaltenen Landes

Mit „Warten auf Schwalben“ zeichnet Karim Moussaoui eine bedrückende Momentaufnahme Algeriens nach dem Bürgerkrieg

Liebe oder Tradition? Djabil (Mehdi Ramdani) und Aïcha (Hania Amar) müssen sich entscheiden Foto: missingFILMs

Von Wilfried Hippen

So viel wie in diesem Film wird selten Auto gefahren. Karim Moussaoui erkundet sein Heimatland Algerien auf den Straßen. Er lässt seine Protagonist*innen durchs Land fahren, dabei die unterschiedlichsten sozialen Milieus besuchen und zeichnet sie so als Reisende, Suchende, Entwurzelte.

Dabei zeigt er, wie die Reichen und die Armen leben – und spektakuläre und selten gesehene Landschaften wie eine Wüste nach einem Regenschauer oder ein hässliches Stadtviertel, in dem luxuriöse Neubauten nur ein paar Schritte neben einer dreckigen Ödnis liegen. Fast scheint es, als seien die Geschichten, die Moussaoui erzählt, nur ein Vorwand für diese langen Fahrten.

In drei Episoden erzählt er von Menschen, die moralische Entscheidungen treffen müssen. Moussaoui vermeidet dabei jeden melodramatischen Effekt – und dies obwohl sich ein wenig Sentimentalität bei einer der Geschichten fast aufzudrängen scheint.

Der junge Chauffeur Djabil muss ausgerechnet Aïcha, die Frau, die er liebt, zu ihrer Hochzeit mit einem älteren Mann fahren. Der Brautvater und eine verschleierte Anstandsdame werden während der Fahrt durch eine Lebensmittelvergiftung außer Gefecht gesetzt, das Paar geht in eine Bar. Ihr Kopftuch fällt und in der einzigen nicht realistischen Sequenz des Films verwandelt sich ein Zwiegespräch der Liebenden plötzlich in eine schmissige Musiknummer mit einem E-Gitarristen, Sängern, Tänzern.

Dieser optimistisch-utopische Ausbruch wirkt auch deshalb so überraschend, weil der Film sonst in einem sachlich-unterkühlten Ton gehalten ist. So wird ein anderes Musikstück gleich wiederholt eingesetzt: die Bachkantate „Ich habe genug“, gesungen von Dietrich Fischer-Dieskau. Dies ist die Musik, die in der Wohnung eines wohlhabenden Projektentwicklers aufgelegt wird.

Als dieser nachts auf einer menschenleeren Stadtautobahn eine Reifenpanne hat, wird er Zeuge davon, wie ein Mann von zwei Schlägern überfallen und schwer verletzt wird. Moussaoui ist hier nicht daran interessiert, mit Thrillerelementen Spannung zu erzeugen. Es geht ihm darum, ob sein Protagonist diese Bewährungsprobe meistert, denn er kann entweder helfen, indem er etwa die Polizei ruft – oder nichts tun.

Der dritte Protagonist ist ein erfolgreicher Neurochirurg, der durch eine Frau, die in völliger Armut lebt, daran erinnert wird, wie er im Bürgerkrieg in den 1990er-Jahren zwischen die Fronten geriet. Auch ihn verlässt der Film an einem Scheidepunkt, denn Moussaoui erzählt hier von einem Algerien im Aufbruch, in dem die Geschichten noch nicht zu Ende geschrieben werden können. „Warten auf Schwalben“ wurde von der Filmförderung Hamburg/Schleswig Holstein und der Nordmedia gefördert.

Do, 23. 8., Mo/Di, 27./28. 8., 21.15 Uhr (OmU), Metropolis, Hamburg

Fr, 24.8., 20.15 Uhr (in Anwesenheit des Regisseurs), Di/Mi, 28./29. 8., 18 Uhr, Kino im Künstlerhaus, Hannover

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