piwik no script img

Tirzah mit DebütalbumIch tanze nicht, ich kämpfe

Die Londoner Sängerin Tirzah Mastin kümmert sich trotz vieler Fans lange Zeit mehr um Mode als um Musik. Nun erscheint das Album „Devotion“.

Machten als Freundinnen von Anfang an zusammen Musik: Mica Levi und Tirzah Mastin Foto: Clare Shilland

In eine gelbe Jacke gehüllt steht sie mit dem Rücken zur Kamera, ein Mikrofon in der Hand. Nur die Seite ihres Gesichts ist von Zeit zu Zeit zu sehen. Bei der Party, auf der der Videoclip zu ihrem Song „Devotion“ spielt, ist Tirzah nicht der Star. Die Bilder stellen andere in den Mittelpunkt, die, die zuhören, die Paare, die sich küssen, sich umarmen. Tirzahs großartiges Debütalbum, es ist in Koproduktion mit ihrer Londoner Kollegin Micachu entstanden, stellt Hingabe ins Zentrum. Tirzah schaut in ihren Songs auf die Menschen gegenüber, ohne sich selbst aus dem Blick zu verlieren.

Die Geschichte des Projekts Tirzah ist nicht nur die Geschichte von Tirzah Mastin. Seit Anfang an gehört Mica Levi alias Micachu mit dazu. Beide besuchen als Jugendliche die Musikschule Purcell im Nordwesten von London. Dort fangen sie an, Songs zu komponieren. Es dauert allerdings noch einige Zeit, bis Musik der beiden veröffentlicht wird. Nach ihrer Schulzeit wechselt Mastin zu Mode, Levi bleibt bei der Musik.

Seit 2008 hat sie unter dem Namen Micachu eine Reihe von Alben und Singles herausgebracht. Sie ist eine der prägenden Produzentinnen des britischen Pop, die Irritationen nicht scheut und von florierenden Dance-Music-Hybriden Großbritanniens wie Rave, UK Garage oder Dubstep genauso inspiriert wird wie von Avantgarde und Beatproduktion. Für ihren Soundtrack zum Film „Jackie“ 2016 wurde sie für einen Oscar nominiert.

Obwohl Tirzah Musik nicht professionell verfolgte, hörte sie nie auf, zusammen mit Micachu an Stücken zu arbeiten. 2013 erschien die erste gemeinsame EP der Wahllondonerinnen unter dem Namen „Tirzah“ auf dem Dance-Pop-Label Greco-Roman – ironischwerweise mit dem Titel „I’m Not Dancing“. Die Tracks bewegen sich zwischen ruhigem Maschinen-Soul, energetischem R&B mit rauen Beats und Dance Music. Das Instrumental des Titeltracks rumpelt mit zähem Bass-Geschlurfe voran, darüber singt Tirzah „I’m not dancing, I’m fighting / I’m not shining, I’m burning / I’m not touching, I’m feeling“.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Das leidenschaftliche Plädoyer gegen die Oberflächen-Reize des Dancefloor wurde zum Hit, Tirzah zur Hoffnungsträgerin. Die Nachfolge-EPs „No Romance“ (2014) und „Make It Up“ (2015) verstärkten die Erwartungen auf ein Album. Das Duo hatte aber keine Eile. Tirzah betrachtete Musik weiterhin als Hobby, während sie als Modedesignerin arbeitete. Liest man Interviews mit der Sängerin, wirkt es, als ob es ihr bei dem Projekt ohnehin eher darum geht, mit einer guten Freundin Zeit zu verbringen. Wozu Popstar werden?

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Die Stücke auf dem Debütalbum „Devotion“, bei denen Levi die Instrumentals und Tirzah den Gesang verantwortet, sind über den gesamten Zeitraum ihrer Freundschaft entstanden, die vor 17 Jahren begann. „Go Now“ ist beispielsweise eine überholte Version eines Stücks, das sie während ihrer Zeit auf der Musikschule produziert haben. Waren Einflüsse von elektronischer Clubmusik bei den EPs noch deutlich zu erkennen, sind sie auf „Devotion“ eher versteckt.

Stattdessen überwiegt ein langsames Tempo, Micachu spielt mit Dub und HipHop. Einzig „Holding On“ stampft offenherzig mit Four-to-the-floor-Beat auf die Tanzfläche. Der minimalistische Beat wird aufgelockert von hellen Synthesizer-Akkorden, darüber singt Tirzah in eingängigen Melodien leicht genuschelte Worte, deren Intonation sich im Kopf festsetzt: „This feelings controlling me / I can’t shut it down / No point telling me / I can only have some / I want all of you or it’s no fun“.

Einfachheit ist Kern des Projekts

Worte und Musik auf „Devotion“ sind trotz ihrer Kompromisslosigkeit weder überdreht noch kitschig. Die reduzierten Textzeilen, die die Sängerin wiederholt, wirken durch Hall, Dopplung und dubbige Effekte der Instrumentals, durch die ruhig voranstapfenden Beats von Micachu, die vernebelte Melodien hinter sich herziehen, beinahe entrückt. Einfachheit ist und bleibt der Kern von Tirzah als musikalisches Projekt und macht den unprätentiösen Elek­tronikmusik-Pop des Duos so catchy.

Das Album

Tirzah: „Devotion“ (Domino/Goodtogo)

Im Video zu „Devotion“ blickt Tirzah zu ihren Mitmusizierenden Coby Sey (dem einzigen Gast auf dem Album) und Micachu, um sie herum ist die Party in vollem Gang. Sie sind nicht in einem Club, es sieht eher wie eine WG-Party aus. Die MusikerInnen tauchen öfter auf, drängen aber nie in den Vordergrund – Schultern, Köpfe schieben sich vor sie ins Sichtfeld. Nahaufnahmen rücken andere in den Mittelpunkt. Immer wieder tauchen Liebespaare auf, die sich küssen. Die Piano-Melodie des Stücks klingt melancholisch, aber auf befreiende Weise. Dazu singt Tirzah: „I just want your attention / I just want you to listen / I don’t want the solution / I just want to explain things / I’m not looking for reactions / I’m not looking for acceptance / You can come to me with honesty/ You can come to me with tenderness“.

„Devotion“ sei kein politisches Album, hat Tirzah im Interview mit dem Internetmagazin Pitchfork gesagt. Und tatsächlich hört man keine politischen Statements. Es geht in den Texten um Liebe, um Enttäuschung, Konflikte, Bedürfnisse und bedingungslosen Zuspruch. Im milden und klaren Ausdruck von Gefühlen liegt dennoch eine Botschaft von universeller Bedeutung: sei ehrlich, aber sanft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!