: Der Weg zu Trump
Freiheit in Gefahr: Die US-amerikanischen Politikwissenschaftler Steven Levitsky und Daniel Ziblatt analysieren aus aktuellem Anlass, „Wie Demokratien sterben“
Von Tim Caspar Boehme
Der Präsident der USA, Donald Trump, twitterte am 29. Juli: „Had a very good and interesting meeting at the White House with A.G. Sulzberger, Publisher of the New York Times. Spent much time talking about the vast amounts of Fake News being put out by the media & how that Fake News has morphed into phrase, ‚Enemy of the People.‘ Sad!“ Mit diesen Worten fasste er sein Gespräch mit dem New York Times-Herausgeber A. G. Sulzberger zusammen. Und brach so die Vereinbarung, das Gespräch vom 20. Juli vertraulich zu behandeln.
Ein Beispiel für Trumps zahllose Twitter-Aktivitäten, mit denen er die Medien verunglimpft. Für die Politikwissenschaftler Steven Levitsky und Daniel Ziblatt erfüllt Trumps Verhalten gegenüber der Presse dabei eines von vier Kriterien, mit denen sie in ihrem Buch „Wie Demokratien sterben“ einen „Autokraten-Lackmustest“ entworfen haben: Neben der „schwachen Zustimmung zu demokratischen Spielregeln“, der „Leugnung der Legitimität der politischen Gegner“ und der Tolerierung von oder „Ermutigung zu Gewalt“ ist es nämlich die „Bereitschaft, die bürgerlichen Freiheiten von Opponenten, einschließlich der Medien, zu beschneiden“, die einen angehenden Autokraten auszeichnen. Der Test ergibt für Trump sogar „in allen vier Punkten ein positives Ergebnis“. Vor Trump erfüllte im 20. Jahrhundert lediglich Richard Nixon gerade mal eines dieser Kriterien.
Steven Levitsky und Daniel Ziblatt lehren beide an der Harvard University und forschen vor allem zu politischen Parteien, Demokratien und Autokratien. Ihr Hauptaugenmerk richten sie auf den südamerikanischen Kontinent und Europa. Die Kenntnisse über die Entwicklungen, die etwa eine Demokratie wie Chile in eine Diktatur umschlagen lassen konnten, helfen ihnen in ihrem aktuellen Buch, genauer zu analysieren, was gegenwärtig in den USA mit der Demokratie passiert und mit welchen Mitteln Trump beständig versucht, diese zu attackieren.
Steven Levitsky, Daniel Ziblatt: „Wie Demokratien sterben“. Aus dem Amerikanischen von Klaus-Dieter Schmidt. DVA, München 2018, 320 Seiten, 22 Euro
Ein weiterer Strang ihrer Untersuchung rekonstruiert dazu einzelne Stationen der Demokratie in den USA, die es am Ende ermöglichten, dass Trump überhaupt zur Wahl aufgestellt werden konnte. So gehen sie den verschiedenen Kontrollinstanzen bei der Bestimmung von Präsidentschaftskandidaten nach, von Wahlmännerkollegien über das Konventsystem bis hin zu den heutigen Vorwahlen. Diese verschiedenen Institutionen hatten stets verhindern sollen, dass ungeeignete oder extremistische Kandidaten nominiert werden – von denen gab es einige, wie Levitsky und Ziblatt ausführen. Doch haben die Parteiwächter 2015 in allen entscheidenden Augenblicken versagt: Nach Trumps Vorwahlsieg hatte die Führung der Republikanischen Partei „nicht mehr in der Hand, wen ihre Partei als Präsidentschaftskandidaten nominierte“.
Die USA sehen die Autoren keinesfalls als aktuellen Einzelfall – „die Demokratie scheint weltweit in Gefahr zu sein“, so ihre vorsichtig bekundete Beunruhigung. Ihr Buch ist mithin genauso geeignet, das Regierungsverhalten eines Wladimir Putin, eines Recep Tayyip Erdoğan oder die Strategien der AfD kritisch zu prüfen.
Dass Levitsky und Ziblatt dieses Buch jetzt veröffentlichen, ist ein klares Signal: Seht her, was passieren kann, wenn wir nicht aufpassen! „In den letzten beiden Jahren haben wir Politiker Dinge sagen hören und tun sehen, die in den Vereinigten Staaten ohne Beispiel waren, von denen wir aber wissen, dass sie andernorts Vorboten demokratischer Krisen waren“, heißt es in ihrer Einleitung.
Zugleich gehen sie in ihrem Versuch, Trump und seine Präsidentschaft zu verstehen, im besten Sinn wissenschaftlich vor. Sie bemühen sich weniger um eine möglichst scharfsinnige Deutung der Figur Trump, von einem Psychoprofil ganz zu schweigen, sondern halten sich an historische Fakten, die sich in diesem Zusammenhang als warnende Vorzeichen erwiesen haben. In ihrer Herangehensweise macht es übrigens keinen prinzipiellen Unterschied, ob sie sich mit Hugo Chavez oder Adolf Hitler befassen, wenn es um die schrittweise Aushebelung demokratischer Institutionen auf dem Weg zur Macht geht.
Für die Zukunft der Demokratie des Landes unter Trump sehen Levitsky und Ziblatt hauptsächlich die Führung der Republikaner in der Pflicht, sich Trump im Ernstfall entgegenzustellen – will sagen, die Parteiführung, die seine Nominierung seinerzeit nicht verhindert hat. Was schließlich die Rolle der öffentlichen Meinung angeht, sehen die Autoren das Risiko eines internationalen Konflikts oder einer Krise unter Trump, die dieser zur Einschränkung von Freiheiten nützen könnte, als größte Gefahr. Und: „Unter Präsident Trump scheinen die Vereinigten Staaten zum ersten Mal seit dem Kalten Krieg die Rolle des Demokratieförderers aufzugeben“, zudem sei Trump kein glaubwürdiger Verteidiger der Demokratie. Das klingt lapidar und damit umso bedrohlicher.
Am Ende steht für beide Autoren die Forderung, die USA mögen Demokratie und ethnische Vielfalt vereinigen. Das kann gelingen. Ohne Trump.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen