: Unsere allzu ausgeprägteÜberheblichkeit
„Affen wie wir“: Alexandra Tischel findet nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Literatur von Coetzee, Kafka und anderen Schriftstellern überraschend hellsichtige Antworten auf die Frage, was den Menschen zum Menschenund den Affen zum Affen macht
Von Josef Reichholf
„Am Anfang stand die Ähnlichkeit. Man braucht ihnen nur ins Gesicht zu sehen, um sie zu erkennen. Die Ähnlichkeit ist erklärungsbedürftig.“ Das könnte ein zoologischer Themenaufriss sein, aber die Verfasserin Alexandra Tischel ist Literaturwissenschaftlerin. Dennoch benutzt sie in ihrem Buchtitel das fast unverschämt wirkende „wie wir“. In welche Richtung ist es gemeint? Abqualifizierend oder qualifizierend?
Wir Menschen sind Primaten, vulgo Affen. Das ist lange genug bekannt, wenngleich ungern akzeptiert und prinzipiell abgelehnt von jenen, die sich für die Krone der Schöpfung halten. Um unsere biologische Zugehörigkeit zur Familie der Affen geht es der Autorin aber nicht. Sie hat Ambitionierteres vor.
Affen und Äffisches ist in der Literatur immer wieder als Metapher für menschliche Unzulänglichkeiten oder zur Selbstbespiegelung verwendet worden. Lange galten diese Tiere als Bestien. In ihrer Menschenähnlichkeit waren sie höchst rätselhaft. Was ging in Schimpanse, Gorilla und Orang-Utan vor, wenn sie uns ins Gesicht sahen, wenn sich ihre einem Menschenbaby ähnelnden Neugeborenen an die Pfleger wie an die eigene Mutter klammerten?
Menschenaffen lernten Radfahren, mit Besteck zu essen und vieles mehr, was sie verstörend intelligent wirken ließ. Das literarisch bekannteste Beispiel ist Franz Kafkas Erzählung „Ein Bericht für eine Akademie“. Darin schildert der Affe namens Rotpeter seine Umformung zum Menschen. Seit er dem Urwald entrissen und in die Menschenwelt eingeführt worden war, hatte er viel gelernt. Mit vertieften Kenntnissen und von großen Hoffnungen getragen verzichtete er schließlich auf sein Affentum. Er setzte alles daran, wie ein Mensch zu sein – und verzweifelte daran. Zu bizarr und zu widersprüchlich waren diese Herren der Welt.
Dass Kafka mit Rotpeter keinen Affen meinte, sondern sich dahinter selbst verbarg, liegt auf der Hand. Schimpansen würden nicht so werden können. Das haben die Versuche, Schimpansenbabys wie Menschenbabys großzuziehen, hinlänglich bewiesen. All ihre Übereinstimmungen reichen nicht aus, das Trennende zu überwinden. Sie bleiben schimpansisch und werden keine lediglich sprachgehemmten, behaarten Pseudomenschen.
Es fragt sich daher, so die berechtigte, aber geschickt zwischen den Zeilen verborgene Kritik, inwieweit die Experimente, die mit Menschenaffen gemacht worden sind, tatsächlich schlüssig waren. Zumal solche, bei denen es um Einsichtsfähigkeit und Intelligenz ging. Drückten sie kaum mehr aus als das, was sich die Forscher selbst vorstellten, weil sie menschlich und nicht äffisch denken?
Um zu dieser zentralen Frage zu gelangen, baut Alexandra Tischel einen Spannungsbogen auf, der mit den alten, längst überwundenen Vorstellungen von der Bestie Affe beginnt, dem Zerrbild des Menschen, an dem dieser seine Moralität und himmelhohe Überlegenheit zu schärfen hatte, und in den modernen Verhaltensstudien kulminiert, die vielleicht eher zu sehr vermenschlichen, was doch artverschieden bleibt. Der Empathie, die zwangsläufig aufkommt, konnten sich auch Forscherinnen wie Jane Goodall nicht entziehen.
Die Kenntnis der grundlegenden zoologischen Primatenforschungen zeichnet Alexandra Tischel aus. Sie hat sich intensiv genug damit befasst, um die Filetstücke herausgreifen und werten zu können. Diese besagen, dass Affen weder die besseren Menschen sind, weil sie ihrer Natur nach leben, noch dass das Milieu, in dem Primatenkinder aufwachsen, allein bestimmt, was aus ihnen wird. Angeborenes, Anerzogenes und Erlerntes lässt sich auch bei unseren nächsten Verwandten nicht so voneinander trennen, wie man es gern hätte, um Rückschlüsse auf Veranlagung und Milieueinfluss beim Menschen ziehen zu können.
Insofern schränkt der Untertitel „Was die Literatur über uns und unsere nächsten Verwandten erzählt“ zu stark ein. Tatsächlich schärfen die Facetten, die schlaglichtartig aufblitzen, immer wieder den Blick auf uns selbst und unsere meistens allzu ausgeprägte Überheblichkeit. „Du Affe“ geht uns als Beleidigung leicht von der Zunge. Das situationsgemäß oft bezeichnendere „Du Mensch“ würde peinlich positiv klingen. „Affen wie wir“ liest sich sehr gut. Am stärksten beeindruckten mich Ausschnitte aus „Elisabeth Costello“ des Literaturnobelpreisträgers J. M. Coetzee, weil sie viel tiefer gehen als die Menschenverdrossenheit Kafkas in seiner Selbstdarstellung im Affen Rotpeter, der gelehrter geworden war als die gelehrten Herren der Akademie.
„Elisabeth Costello“ versucht die Sicht des Sultan genannten Schimpansen einzunehmen, mit dem der berühmte Primatenforscher Wolfgang Köhler von 1913 bis 1917 Verhaltensstudien auf Teneriffa betrieben hatte. Sultan: „Man begreift allmählich, wie das Gehirn des Mannes arbeitet.“ Alexandra Tischel setzt damit einen fulminanten Schlussakkord, der nachklingt. Wissenschaft kann sehr viel gewinnen, wenn sie literarisch ausgestaltet und interpretiert wird.
Alexandra Tischel: „Affen wie wir. Was die Literatur über uns und unsere nächsten Verwandten erzählt“. J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2018, 218 S., 19,99 Euro
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