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Ein Mittelmeer für Afrika

Utopien und Science-Fiction-Szenarios ziehen sich wie ein roter Faden durch die Arbeiten für den Kunstpreis der Böttcherstraße 2018, die in der Kunsthalle zu besichtigen sind

Die Sonde, die alles ändert: Lawrence Leks Geomancer Foto: Lek/CGI Video, Kunsthalle

Von Florian Maier

Die Landung ist sanft. Nach der Ankunft an einem Flughafen folgt die Einordnung nach Herkunft. „Local“ oder „Foreigner“ steht auf den Schildern. Darunter bilden sich Menschenschlangen, routinierte Polizisten nehmen den tausendsten Ausweis entgegen. Im Jahr 2065 könnte es anders aussehen, wenn man der Vision des Künstlers und Filmemachers Lawrence Lek folgt, die er derzeit in der Kunsthalle Bremen zeigt.

Der Wetterbeobachtungssatellit Geomancer tritt darin als eine künstliche Intelligenz mit dem Vorhaben, Künstler zu werden, auf. Als er auf der Erde ankommt, reiht er sich nicht bei „Foreigner“ ein, sondern bei „AI“ (englische Abkürzung für künstliche Intelligenz). Aus der Egoperspektive sieht man, was der Wettersatellit erlebt. Die Welt, in der er agiert, ist menschenleer. Trotzdem ist es künstlichen Intelligenzen im Jahr 2065 verboten, Künstler zu werden. Kunst gilt als letzte Bastion, die den Menschen vorbehalten ist.

So ergeben sich Krisen sowohl für den Protagonisten der Geschichte, die Lawrence Lek in liebevoller Kleinstarbeit animiert und geschrieben hat, als auch für die Zuschauer in der Frage, ob selbst Kreativität noch auf künstliche Intelligenz ausgelagert werden darf. Man sitzt in sogenannten „Gaming Chairs“, gefesselt vom Wunsch nach Selbstbestimmung der Maschine – und der eigenen Angst, genau diese zu verlieren.

Lawrence Leks Videoinstallation erfüllt den ersten Raum der Böttcherpreis-Ausstellung: Seit 1985 vergeben und mit mittlerweile 30.000 Euro dotiert, zählt der zu den renommiertesten Preisen für zeitgenössische Kunst in Deutschland. Und wie jedes Jahr präsentiert die Kunsthalle Bremen die zehn nominierten Künstler*innen, bevor dann im September die Jury ihre Entscheidung trifft, dem Publikum. Ausgewählt werden die Teilnehmer*innen des Wettbewerbs von einer Gruppe international renommierter Kurator*innen, darunter in diesem Jahr Hans Ulrich Obrist von der Londoner Serpentine Gallery und Susanne Pfeffer, deren Karriere als Leiterin einst am Bremer Künstlerhaus am Deich begonnen hatte und sie mittlerweile nach Frankfurt am Main geführt hat: Dort ist sie Direktorin des Museums für Moderne Kunst.

Im Verlauf der Ausstellung ermittelt eine fünfköpfige Jury, darunter auch der künstlerische Leiter der documenta 14, Adam Szymczyk, einen Gewinner. Zu den bisherigen Gewinnern des Kunstpreises zählen bekannte Künstler*innen wie Ólafur Elíasson, Wolfgang Tillmans und Ulla von Brandenburg.

Die Wahl des Mediums bleibt den Künstler*innen überlassen. Auch bei der Themenwahl gibt es keine Vorschriften. Trotzdem zieht sich die Frage nach der Wahrnehmung von Realität durch alle Werke der Nominierten und „viele der Werke beschäftigen sich mit alternativen Gesellschaftsentwürfen, Science-Fiction und Utopien“, wie Ausstellungskuratorin Manuela Husemann erklärt. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Videoinstallation „Operation Sunken Sea“ der Künstlerin Heba Y. Amin. Dort inszeniert sie sich als Diktatorin, die den Plan hat, das Mittelmeer brachzulegen, indem sie es nach Afrika umlegen lässt. Der Kontinent könnte so selbst durch Tourismus und Fischfang Mittel generieren, um das Leben der Menschen dort zu verbessern.

Kaum hat der Besucher Michael Müllers zweiten Raum betreten, erschlägt ihn eine Bilderflut

Das Ganze wird unterstützt von ausgestellten Zertifikaten und wissenschaftlichen Gutachten für die Durchführbarkeit des Vorhabens. Daneben finden sich Parolen wie „Make the desert bloom“ oder „Drank the swamp“. So strebt sie nach einer neuen Weltordnung und greift dabei zu traditionellen faschistischen Inszenierungen und Symbolen, die zeitgleich erschreckend und amüsant sind.

Leider sind nicht alle Werke so interessant. Ein Negativbeispiel: Michael Müllers Räume. Beim Betreten des ersten soll man sich fühlen wie in einer lieblos eingerichteten ethnografischen Ausstellung zu einem von dem Schweizer Sammler- und Händlerpaar Ulrike und Hans Himmelheber nach sich selbst benannten Volk Westafrikas. Kaum hat der Besucher dann den zweiten Raum betreten, erschlägt ihn auch schon eine Bilderflut. Die Wände enthalten pornografische Bilder und kunsthistorische Zitate in Überfluss und zartem Pink. Zudem sind Bildschirme und Textcollagen wirr an den Wänden angebracht plus skulpturale Elemente wie ein mit Vibratoren bestücktes Bücherbord oder eine mit Sextoys befüllte Dusche. Der Künstler verspricht im Gespräch ferner, die Reizüberflutung noch durch eine Tanzperformance zu ergänzen. Fehlt nur noch eine Blaskapelle die einen 50-köpfigen Kinderchor begleitet, während er in Glitzerkostümen Lieder über Kolonialisierung schmettert.

Auch wenn sich alle Arbeiten mit Wahrnehmung von Realität beschäftigen, könnten die Ergebnisse kaum unterschiedlicher sein. So bilden Anne Speiers Werke einen scharfen Kontrast zu denen von Amin oder Lek: In ihren Malereien und Skulpturen reißt sie Grenzen der Institution Kunst ein, indem sie mit Täuschungen und Zitaten aus Altmeister-Gemälden Räume und Ziel der Einrichtung Museum neu definieren, während sich die Skulptur eines Roboter-Hundes versucht, durch den Boden aus der Kunsthalle herauszugraben – als folge er dem Ruf der Wildnis.

Ausstellung „Kunstpreis Böttcherstraße“, Kunsthalle Bremen, bis 30. September

Bekanntgabe der Juryentscheidung und Preisverleihung erfolgen am 23. September

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