: Mehr Licht!
Das LaborBerlin veranstaltet regelmäßig öffentliche Vorführungen und Workshops wie etwa Einführungen in den Gebrauch von Laborausstattungen und neue Technik. Der Verein zählt mittlerweile über 70 Analogfilm-begeisterte Mitglieder aus aller Welt
Von Helmut Höge
Das ist mal ein Labor, in dem es nicht um die Blutwerte oder ähnliche Bioanalysen geht, sondern um einen für jeden Cinéphilen offenen Arbeitsplatz. Es ist auch keine Co-Working-Angeberei, sondern ein „unkommerzielles, eigenständiges Filmkollektiv“ für speziell an analoger Filmpraxis mit einem experimentellen Ansatz und am Selbermachen Interessierte. Das LaborBerlin hat weitreichende Kooperationen – z. B. mit einer italienischen Filmentwicklungs-Genossenschaft, und veranstaltet regelmäßig öffentliche Vorführungen und Workshops, z. B. Einführungen in den Gebrauch der Laborausstattung und in neue Technik. Der Verein wurde u. a. von den Filmemachern Minze Tummescheit und Arne Hector gegründet, ist in der Weddinger Prinzenallee 58 domiziliert und hat bisher etwa 70 Mitglieder aus aller Welt, so dass die Plenumssprache leider in der Anglosphäre stattfinden muss.
Warum ist z. B. die Hamburger Regisseurin Katrin Eissing Vereinsmitglied? Auf einem Filmförderempfang zu Beginn des neuen Jahrtausends im Frühling in der Landesvertretung Schleswig-Holsteins, gerade im neuen Hauptstadtwahn fertig gebaut und wie der Palast einer ganzen Republik aussehend, fand sie sich in ein Gespräch verwickelt, in dem ein paar Männer vehement die Unmöglichkeit, jemals wieder was auf 16 mm zu drehen, vertraten. „Das war diese Zeit … In meinem Kopf spulte sich das Ende des Films ab, das das Ende der Endlichkeit werden würde. Vielleicht. Ich war noch beim Vielleicht. Ich sagte: Ich hätte noch nichts „Digitales“ gesehen, das mein Gefühl von Licht wiedergeben würde. Darum ginge es nicht, Dokumentarfilm lebe von der Information, der Sprache. Überhaupt dieser romantische Blödsinn: nichts sei an 16 mm gut. Es sei immer eine Krücke gewesen für Leute, die eigentlich Kino machen wollten, aber eben nicht konnten.
Wir standen vor den riesigen Panoramafenstern. Ein Gewitter kam auf. Schattenlöcher wanderten über die Brache voller Kräne. Lila Wolken waren hinten über Kreuzberg zu sehen. Sie zogen auf uns zu. Es wurde dunkler. Die neuen Straßenlaternen gingen zusammen an. Der Sturm wirbelte Staub zwischen ihnen auf, und alte Sonnen beschienen die neuen Räume von allen Seiten. Dichte Tropfen klatschten auf die Angeberfenster der Bundeslandvertretung. Vom Horizont her graue dicke Streifen. Das Glas zerbrach nicht. Die Videotechnik war einfach noch nicht so weit.
Danach holte ich mein Kind in der Musikschule Pankow ab. Ein Haus, das über mehrere Straßen hinwegklingt. Ich war nass und kam zu spät. Das nächste Kind machte mit seiner kleinen Geige Töne, die unmöglich zu beschreiben sind. Sie schrauben direkt in einem an etwas herum. Mein wunderschönes Kind saß in diesem hell erleuchteten Zimmer, hörte zu und lachte.
Sein bester Freund Willi und er spielten damals alle Filme, die sie noch nicht sehen durften nach und dachten sich neue aus. Das hörte sich etwa so an: … und dann ging der Käptn über die Planke in den Tod. Die war lange nicht benutzt und ganz trocken und knarzte. (Geräusch mit irgendwas). Der Käpten war schmierig-dreckig im Gesicht und verfluchte wütend seine Mannschaft … Er war so böse und hässlich wie ein altes Krokodil … Unter ihm sprangen die Haie übermütig und fletschten ihre fiesen Sägezahnzähne … Der Kapitän hatte noch einen letzten Wunsch …“ (sie drehten Fluch der Karibik 27, oder King Arthur 12.)
Ich wollte das Kind und Willi beim Erzählen filmen. Nein, Nein, das ginge nicht, sie würden das Meer sehen, Gischt sehen, das Licht, das durch kaputte Fahnen fällt, Pferdehufe im Staub, Seeungeheuer und ich und die Zuschauer sähen dann in meinem Film nur zwei Kinder, die mit Stöckern Geräusche machten. Das würde alles verderben. Sie würden dann niemals mehr so erzählen können. Vielleicht könnte er jetzt, wo er drüber nachdächte, schon nicht mehr all die Filme sich ansehen, die er mit Willi nachdrehe …
Ich ließ das also und filmte die Kinder nicht. Das war genau genommen auch das Ende meiner Dokumentarfilmzeit. Ich drehte zwar noch welche, aber konnte das Licht nicht mehr richtig fühlen. Digital. Das Funkeln war woanders und das unendliche Drehen gefällt mir auch nicht, es ist wie die Speisung der 5.000 irgendwie unwahr und -scheinlich.
Okay, es ging dann eben um etwas anderes. Das Kind hörte auf Geige zu spielen, weil es boxen lernen wollte. Es war immer sehr gut im Geigespielen gewesen aber konnte nicht wirklich Noten lesen, niemand hatte das gemerkt. Dafür trainierte es Boxen, war auch sehr gut, wurde aber von kleinen, starken Jungs, deren Väter Nationaltrainer in Usbekistan gewesen waren, verdroschen. Aber das merkten wir nicht so richtig. Das Leben wurde unterdessen lang und unfairer. Clubs voller Spanierinnen, alter Säcke und Drogen, in denen mein Kind plötzlich verschwand. Digital und neoliberal. Ich bin Veganerin geworden, seit meine Katze in meinen Armen starb und deshalb nun auch dafür, Filmemulsion nicht aus Tierknochen herzustellen. Muss ich deshalb digital drehen?
Ich möchte gerne Stürme filmen. Deshalb bin ich Mitglied im LaborBerlin. Und das heißt auch z. B. endlos quatschen über jeden Nagel und Einkauf. So for example: Why and how people attend/like or not, forms of organization anyway … What do you think is a social invention? What places/spaces in our group here takes: talking and learning? What is actually called ‚a result‘ (personal and for society as a living being).“
Es gibt daneben aber noch mehr praktische Diskussionen: z. B. während und nach einem Vortrag einer kalifornischen Filmemacherin über eine neue Kamera und was man damit alles machen kann; oder über die anstehende Vorführung, „Diffraktion#8“ genannt, von 27 im Jahr zuvor im LaborBerlin entstandenen Kurzfilmen im Neuköllner „Circular Economy House“ (CRCLR). Diese öffentliche Veranstaltung im Februar 2018 dauerte die halbe Nacht.
Jetzt, am 17. August, findet im LaborBerlin das alljährliche „Summer Screening“ statt. Im Internet steht dazu folgender Hinweis – hier ins Deutsche übersetzt: „Es erwartet uns ein Abend mit Filmen und Performances der Mitglieder. Darüber hinaus wird Bernd Brehmer vom ‚Werkstattkino‘ im Garten sogenannte ‚Scopitones‘ zeigen, das sind 16-mm-Musikbox-Filme aus den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Ab 18 Uhr beginnen wir draußen mit Grillen und Drinks.“
Aber schon am nächsten Tag, den 18. August, startet im LaborBerlin, aber auch im „Kino Arsenal“ sowie im „silent green“ und in der „Kornmanufaktur“ ein sechstägiger Workshop „Analogfilm“. Die ersten zwei Tage finden im LaborBerlin statt – mit „Filmen und Entwickeln“. Juan David Gonzalez Monroy und Anja Dornieden zeigen einer (leider begrenzten Zahl) von Teilnehmern den Umgang mit einer Bolex-Kamera, danach sollen diese einen dreiminütigen 16-mm-Film damit drehen, dessen Schwarzweiß-Negativmaterial sie dann nach entsprechender Schulung selbst im Labor entwickeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen