piwik no script img

In der Kunst schlafen

Zwischen Kunst und Prostitution gibt es in der Potsdamer Straße kaum Berührungspunkte. Deshalb haben Michelle Houston, Denis Leo Hegic und Carolina Amaya das begehbare Kunstwerk „Zwitschermaschine“ kreiert

Michelle Houston, Carolina Amaya, Denis Leo Hegic (v. l. n. r.) in der „Zwitschermaschine“Foto: Jasa Osa

Von Eva Müller-Foell

Die Potsdamer Straße steht für Sex und Kunst. Für schmutzige Stundenhotels und schnieke Galerien. Zwei Welten, die nur nebeneinander existieren wie Tag und Nacht. Ebendies ging der kolumbianischen Künstlerin Carolina Amaya und dem Kuratoren-Duo Denis Leo Hegic und Michelle Houston wortwörtlich gegen den Strich. So haben sie mitten auf der Potsdamer Straße, in der Galerie Zwitschermaschine, eine Installation kreiert, die beide Welten zusammenführt. „Zimmerfreiheit“ ist ein knallig bunter Projektraum, der sich am Abend in ein verruchtes, buch­bares Hotel­zimmer verwandelt. „Obwohl alles genauso bleibt, ändert sich das Kunstwerk bei Nacht. Die Funktion, die Farben“, sagt die 37-jährige Carolina Amaya.

Aber auch die Straße wandelt sich nach Sonnenuntergang. „Aus den schwarzen Roben werden kurze Röcke. Wir wollten das mit der Kunst auch“, sagt Kurator Denis Leo Hegic. Er bezeichnet sich als Ge­schichtenerzähler. Hegic war Namens­geber von „Wandelism“, einer zweiwöchigen Street-Art-Ausstellung in einer alten Autowerk­statt in Wilmersdorf, an der auch Amaya beteiligt war. Das war im März dieses Jahres. Jetzt sitzt er auf dem Bett, das den Mittelpunkt der Installation bildet. Neben ihm, auf einer weißen Flokatidecke, sitzen Michelle Houston und Carolina Amaya. Auch die drei kann man buchen, wenn man eine Nacht in der Installation verbringen möchte. „Wir wollen aber nur die Kunst prostituieren, nicht uns selbst“, sagt Houston und lächelt.

Für 100 Euro kann man in der Kunst schlafen – und auch „ein Baby machen“, wie Hegic betont. Für 200 Euro gibt es nach dem Check-in ein Roomservice-Dinner dazu, serviert von der Künstlerin und den beiden Kuratoren. Mit Wein und kolumbianischen Gerichten kann man sich über Kunst austauschen und im Vollrausch einschlafen. Der Catering-Partner, eine türkische Bäckerei von der anderen Straßenseite, bringt dann am nächsten Morgen einen starken Kaffee und Simits vorbei.

Flauschiger Flokati

Ein Paar um die zwanzig hat sich schon für eine Nacht eingemietet. Ohne Dinner, dafür mit Aussicht auf Asphalt. Der Flokati­vorhang verdeckt nur die Hälfte des großen Schau­fensters und bietet den Gästen einen Blick nach draußen, den Passanten einen Blick ins Innere. Die Wände, die Decke und der Fuß­boden sind in schrillem Gelb, Blau, Rot und Pink getaucht, bunte Neonröhren geben Licht – wie im Rotlichtmilieu. Mitten im Raum: ein Bettgestell mit weißen Bezügen. Die Nacht­tischchen und die Lampen sind wie die Überdecke mit dem flauschigen Flokati überzogen. Neben dem Bett liegen zwei gewöhnliche Hotel­schlappen, auch in unschuldigem Weiß.

„Wir haben einen Anti-Space gegründet“, erzählt Houston. „Wir wollen Spaß, den Austausch. Auch ein Ausstellungsraum sollte ein Austauschraum sein.“ Hegic fügt hinzu: „Hier in der Straße gibt es so viele weiß gewaschene Galerien ohne Seele. Die wollen nicht, dass man sie betritt, die wollen einfach abgeschirmt sein von der Straße und den Leuten, die da entlanglaufen.“

Um sich dem „Bitte nicht berühren“-Schild zu widersetzen, sollen sich die Besucher von „Zimmerfreiheit“ frei fühlen und das Kunstwerk berühren, was sonst in Galerien nicht gestattet ist.

Die Arbeit der Gale-risten hat viel mit der der Prosti­tuierten gemein, so Hegic

Selbst die beiden Gemälde, „Synthetic Love 1“ und „Synthetic Love 2“, die Carolina Amaya in die Installation inte­griert hat, darf man anfassen, die Erhebungen, Acryl auf Aerosol, spüren. Für das Sprühen legte Amaya die Leinwände auf zwei Leitern und arbeitete von unten nach oben, dabei tanzend. Diese körperliche Energie und ihre Emotionen übertragen sich auch auf die Kunst­werke.

Sie wirken nicht wie Objekte, sondern wie Lebewesen, die mit dem Betrachter kommunizieren wollen. Manchmal auch auf sehr aufdringliche Art und Weise. „Entweder man liebt sie, oder man hasst sie. Ein Dazwischen gibt es bei meiner Kunst nicht“, sagt Amaya, während sie ein Haar aus der Flokatidecke zupft. Der weiche Stoff berührt die harten Neonfarben des Bettgestells.

Kunst und Prostitution. Die Verkäufer in beiden Branchen arbeiten nach Hegic auf fast identische Art und Weise. „Die Arbeit der Galeristen unterscheidet sich kaum von der Arbeit der Prosti­tuierten“, sagt er. „Beide verkaufen Fantasien, wecken Begehrlichkeiten, streicheln die Egos und wenden ganz ähnliche psychologische Taktiken und Tricks an. Je wohlwollender der Kunde, desto wohlwollender werden sie.“

Dennoch wollten Galeristen nichts mit den Prostituierten zu tun haben: „Tagsüber werden in dieser Straße werbewirksame Debatten über #MeToo und sexuelle Belästigungen geführt. Und abends kümmert sich niemand um die Frauen, die teilweise direkt vor ihren Galerien stehen und nicht selten von ihren Zu­hältern misshandelt werden“, erzählt Houston. So wirkt das begehbare Kunstwerk auch wie ein Mittelfinger gegen den Konformismus der Kunstszene.

Zwitschermaschine, Potsdamer Straße 161. Bis 4. August

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen