: Der Pate von New Hollywood
Der Regisseur John Cassavetes drehte Filme, wie DIY-Bands Musik machen: Mit Minibudgets, anarchischen Strukturen und großer Improvisationslust
Von Hartmann Andreas
In Anbetracht seiner Bedeutung für das heutige Kino ist es sehr verwunderlich, dass der Name John Cassavetes weit weniger geläufig ist, als viele annehmen dürften. Zumindest als ewiger Säulenheiliger für Independent-Filmemacher hat er sich einen Namen gemacht – und wer heute einen mit wenig Geld, dafür mit um so mehr Leidenschaft produzierten Film dreht, kann sich eine gewisse Chance ausrechnen, den offiziellen Independent Spirit John Cassavetes Award verliehen zu bekommen.
Auch die Popkultur hat der amerikanische Filmemacher und Schauspieler geprägt, wenngleich auch hier eher die Nischen. Unabhängig von der Industrie zu agieren, eigene Strukturen und Netzwerke zu nutzen als sogenannter Independentmusiker, bedeutet, es ähnlich zu machen wie einst Cassavetes. Nicht ohne Grund haben Bands wie die Electropunk-Combo Le Tigre oder die US Hardcore-Pioniere Fugazi ihm ganze Songs gewidmet und trägt eine Doku über die US-Indierock-Szene Anfang der Nullerjahre den Titel „Songs for Cassavetes“.
Als Cassavetes Ende der Fünfzigerjahre begonnen hat als Regisseur, wollte er nichts weniger als eine völlig neue Art des Filmemachens. „Hollywood ist nicht dabei zu scheitern“, schrieb er damals in einer Filmzeitschrift, „es ist bereits gescheitert.“ Er sah ein erstarrtes Hollywood-System, das auf marktkonforme Filme und ein Starkino setzte und für persönliche Visionen von Filmemachern nicht viel übrig hatte. Als er dann selbst seinen Erstling „Shadows“ drehte, sagte er, dass er dabei gar nicht daran dachte, den Film überhaupt kommerziell auswerten zu lassen. Er wollte ihn machen als Experiment und um selbst etwas über das Filmemachen zu erfahren.
Das Geld für den Film bekam Cassavetes durch seine Arbeit als Schauspieler zusammen. Auch später ermöglichte er mit dieser Art der Querfinanzierung eigene Filme. „Shadows“ drehte er mit Laiendarstellern und einem Budget von 40.000 US-Dollar, also mit fast gar keinem Geld. Der Film, den er schuf, veränderte jedoch alles. New Hollywood und die zunehmende Bereitschaft der amerikanischen Filmindustrie in den Sechzigern für unkonventionelle Filme hat hier ihren Ursprung. Martin Scorsese, eine Ikone des New Hollywood, nannte Cassavetes seinen Mentor.
Die Dringlichkeit von „Shadows“ springt einen auch heute noch mit seinen körnigen und ruckeligen Schwarz-Weiß-Bildern direkt an. Ende der Fünfziger ist die Zeit von Bebop und Beatnik, ein geistiger Wandel ist bereits im Gange, auch wenn der große gesellschaftliche Umbruch erst ein paar Jahre später die USA erfassen wird. „Shadows“ taucht mitten hinein in das Milieu der New Yorker Hipster und Jazzmusiker und er thematisiert Rassismus in einer für damalige Verhältnisse ungeahnten Schärfe. Die Szenen in Bars und Jazzclubs wirken ungemein echt, ja dokumentarisch. Cassavetes nennt das Ganze selbst eine Improvisation, das Gezeigte entwickelte sich im Moment, nichts sollte künstlich und gestellt wirken, das echte, ungeschminkte Leben eingefangen werden.
„Shadows“ galt damals als weitgehend unverstandenes Werk, heute hat er zumindest den Status eines Kultfilms. Cassavetes selbst nannte seinen Erstling bis zu seinem Tod 1989 im Alter von 59 Jahren seinen wichtigsten Film. Auch deswegen, weil er ihm selbst zeigte, dass es für ihn durchaus machbar sein würde, langsam von der Schauspielerei zur Regie wechseln zu können.
In beinahe 40 Jahren hat es Cassavetes auf vergleichsweise wenige Filme gebracht. Gerade mal zwölf. Sie alle werden in der großen Retrospektive mit dem Titel „To risk everything to express it all“ im Kino Arsenal zu sehen sein. Dazu gibt es eine kleine Auswahl mit Filmen, bei denen Cassavetes als Schauspieler zu sehen ist, darunter Klassiker wie Don Siegels „The Killers“ und Roman Polanskis „Rosemary’s Baby“.
John Cassavetes wollte Filme im Team machen, mit flachen Hierarchien arbeiten, wie man heute wohl sagen würde. Das änderte sich auch nicht, als Teile seiner Filmfamilie, SchauspielerInnen wie Gena Rowlands, Ben Gazzara oder Peter Falk zu großen Stars wurden. Er gab seinen Darstellern als Anweisungen nicht viel mehr mit, als etwas aus der Situation zu machen, in die er sie gerade manövriert hatte. Es gab zwar Drehbücher für seine Filme, doch an diese hatte sich niemand sklavisch zu halten, auch er selbst nicht. Es kursiert da etwa die schöne Geschichte, dass in seinem umwerfenden Gangsterthriller „The Killing of a Chinese Bookie“ irgendwann die Ermordung des chinesischen Buchmachers gedreht werden sollte. Doch Cassavetes bekam Bedenken, er mochte die Figur des Buchmachers und wollte ihn einfach nicht sterben lassen. Es musste ihm erst jemand seiner Schauspieler sagen: John, der Titel deines Films lautet „Die Ermordung eines chinesischen Buchmachers“, denk daran.
„To risk everything to express it all – Retrospektive von John Cassavetes“: Kino Arsenal, 27. 7.–25. 8. Mehr Infos unter: www.arsenal-berlin.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen