: Als wär nichts geschehen
Am Tag nach der Asyl-Einigung geben sich CDU und CSU harmonisch. Dabei sind noch gar nicht alle Probleme vom Tisch. Grüne und Linke melden rechtliche Bedenken an
Aus Berlin Anja Maier
Bayerns Ministerpräsident ist erleichtert. „Ich bin froh, dass jetzt sowohl in der Sache als auch in den Personalfragen absolute Klarheit besteht“, sagt Markus Söder am Dienstag nach der Einigung der Unionsspitzen auf ein asylpolitisches Dreipunktepapier samt Rettung des ramponierten CSU-Vorsitzenden. Einen klitzekleinen Verbesserungsvorschlag hat Söder aber dann doch noch. „Form und Stil zwischen CDU und CSU sollten künftig wieder besser werden.“
Der das sagt, hat sich in den zurückliegenden Wochen als gnadenloser Treiber jener bayerischen Jagdgesellschaft hervorgetan, die die Kanzlerin zur Strecke bringen wollte, um sie im Landtagswahlkampf als Beute präsentieren zu können. Von jemandem, der noch Mitte Juni das Ende des Multilateralismus in Europa postuliert, also das politische Grundprinzip der Kanzlerin angegriffen hat, klingt so eine Stilkritik schlicht verlogen. Aber zwischen den Unionsschwestern wurde in der letzten Zeit dermaßen viel getrickst und getäuscht, dass ein finales Nachtreten auch nicht mehr ins Gewicht fällt.
Am Ende zählt der Machterhalt. Merkel bleibt. Seehofer muss sie ertragen (und umgekehrt). Geflüchtete werden von Menschen zu Verwaltungseinheiten, von denen man dank der juristischen Sprachfinte „Fiktion der Nichteinreise“ sagen darf, dass sie eigentlich gar nicht existieren (siehe Text rechts unten).
Bei der Unionsfraktionssitzung am Dienstagmorgen hatten sich trotzdem alle wieder lieb. Fraktionschef Volker Kauder soll in der Sitzung gesagt haben, die Union habe „geliefert“. Wie das die SPD sieht, wird sich am Abend weisen. Dann tritt erneut der Koalitionsausschuss im Kanzleramt zusammen. Schon zuvor zeigen sich Risse. Da wäre zum einen die Bemerkung von Merkels Kanzleramtschef Helge Braun, das Kanzleramt werde den Innenminister bei dessen Beratungen mit EU-Staaten für Rückführungsabkommen unterstützen. Das klingt, als gingen Merkel Seehofers Transitzentren eher nichts an. Er möge rufen, wenn’s hakt.
Und es hakt auch schon. Österreichs Regierung kündigt an, sollte der deutsche Plan umgesetzt werden, könnten Grenzkontrollen zu Italien eingeführt werden. Seehofer will am Donnerstag nach Wien reisen, um mit der dortigen Regierung zu verhandeln. Sollten auch andere europäische Staaten diesem Beispiel folgen, wäre der Wegfall der innereuropäischen Grenzkontrollen gefährdet, eine der zentralen Errungenschaften der EU.
Markus Söder
Österreichs Kanzler Kurz pocht schon mal vorsorglich auf eine gemeinsame Linie der gesamten Bundesregierung. Aber es gibt gerade kaum etwas Schwierigeres als die. Grünen-Fraktionschefin legt ihren Finger in diese Wunde. „Die CSU hat sich jetzt noch mal Zeit gekauft bis zur bayerischen Landtagswahl“, sagt Katrin Göring-Eckardt. Das gehe zu Lasten von Geflüchteten, die häufig eine schwierige Flucht hinter sich hätten. „Das hat auch nichts mehr mit Humanität zu tun.“
Für FDP-Chef Christian Lindner ist der Unionskompromiss „mit Sicherheit“ nicht die erhoffte Lösung. „Sein größter Gewinn ist, dass in Deutschland jetzt nicht mehr über Machtfragen gestritten wird, sondern wir wieder über Sachfragen sprechen müssen“, sagt er dem ZDF. Ob tatsächlich etwas erreicht werde, sei völlig offen.
Während die AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Alexander Gauland die Asyleinigung der Union als Erfolg ihres politischen Unterbietungswettbewerbs verbuchen, meldet Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch rechtliche Bedenken an, was Transitzentren angeht. Damit werde faktisch das Asylrecht außer Kraft gesetzt. Viel wichtiger sei die Bekämpfung der Fluchtursachen in den Herkunftsländern der Geflüchteten.
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