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Auf dem Pflaster kein Strand

In der interaktiven Theater-Performance „Müll & the Gang“ vagabundieren SchauspielerInnen durch Berlins Partykieze und sammeln Abfall. Das machen sie mit viel Humor, Provokation und einem pädagogischem Touch, aber ohne Belehrungsauftrag

Von Tom Mustroph

Die Ratten tragen jetzt blau. 2012 erregte Andrea Bittermanns Rattencrew Aufsehen auf dem Tempelhofer Feld. Zehn Performer in üppig-pelzigen Nagetierkostümen sprangen von Grillplatz zu Grillplatz, schmissen mitgebrachten Müll zu dem schon vorhandenen und zeigten dann, wie das eigentlich geht: Müll aufsammeln, trennen und auch noch in die richtigen Tonnen stecken. Das erzielte Wirkung. „Die Leute waren anfangs richtig erschrocken. Sie wurden dann auch nachdenklich. Ihnen wurde bewusst, wie viel Müll sie hinterlassen“, erzählt Bittermann.

Das Spiel entwickelte sich weiter. Die Ratten zogen in urbanere Gefilde, zum Urbanhafen und an die Admiralsbrücke zum Beispiel. Die Brücke war damals wegen der Partyszene, dem hinterlassenen Müll und den Beschwerden der Anwohner in aller Munde. Die Ratten stießen hier auf gemischte Resonanz. „Einzelne Anwohner beschwerten sich. Andere wollten die Show sehen. So wie das Partyvolk auf der Brücke“, sagt Bittermann. Auch die Polizei erteilte ihren Segen. Die Regisseurin hatte die entsprechende Genehmigung vom Bezirksamt.

Im letzten Jahr fielen dann die Rattenkostüme. Die Truppe nannte sich „Müll & the Gang“ und trat in blauen Kostümen auf. „Angesiedelt irgendwo zwischen Ordnungsamt, Polizei und Hostessen“, meint Bittermann. Da war die Bühne bereits die Oranienstraße. „Ein hartes Pflaster“, urteilt Bittermann. Die Performer wurden von Jugendlichen provoziert und mussten verbale Schlagfertigkeit beweisen. Es gab aber auch skurrile Begegnungen. „Parallel zu uns war die BSR (Anm. d. Red.: Berliner Stadtreinigungsbetriebe) unterwegs. Sie in ihren orangen Anzügen, wir in den blauen. Wir haben uns begrüßt, und jeder seinen Job gemacht“, erzählt Bittermann.

Ab 20. Juli wird nun die Friedelstraße/Ecke Maybachufer in Neukölln zur Bühne. Bittermann will aber auch auf andere Straßen ausweichen, etwa die Wiener Straße in Kreuzberg – alles malträtierte Gegenden. Und auch einen Überraschungsort hat sie im Sinn.

Ins Leben gerufen hat Bittermann das Projekt, weil sie irgendwann immer zorniger wurde wegen das Mülls auf den Straßen. „Ich wohnte damals in Kreuzberg. Beim Joggen stieß ich auf die ganzen Müllberge und dachte: das kann doch nicht sein. Ich hatte überlegt, 100 bis 200 Laien in Rattenkostümen auf die Straßen zu schicken, damit die Leute ins Nachdenken kommen. Ich habe die Idee dann der Stiftung Naturschutz vorgestellt. Sie fanden das super, meinten aber, dass das mit 200 Leuten nicht ginge. So wurde es kleinteiliger, mit 10 professionellen Schauspielern.“

Selbsteinsicht statt Belehrung

Für die aktuelle Show konnte sich die Regisseurin vor Nachfrage kaum retten. „Zum Casting kamen mehr als 60 Schauspieler“, erzählt sie. Sie wählte dann nach Kriterien wie Stimme und Präsenz aus. „Auf der Straße musst du stärker agieren, immer noch einen drauf setzen können.“

Eine Art Kiez-Polizei sieht sie in ihrer Truppe nicht. „Wir wollen die Menschen nicht belehren, sondern setzen Humor ein.“ Dazu gehören auch kleine Provokationen. Die Spieler lassen schon einmal selbst Müll fallen und beschuldigen dann Passanten. „Die streiten das ab.“ So käme man ins Gespräch.

An einem Kiez-typischen Problem will sie für die aktuelle Show noch arbeiten. „Wir sind bei manchen Jugendlichen auf die Haltung gestoßen, dass sie alles auf die Straße fallen lassen könnten: Kaugummis, Zigaretten, was auch immer, weil in der Nacht ja stets die Müllabfuhr kommt und alles wegräumt. Wir versuchen, ihnen dann zu erklären, was Zigarettenkippen alles anrichten können“, berichtet Bittermann. Aktuell arbeitet sie daran, noch bessere Argumente gegen die rücksichtslose Konsummentalität zu sammeln, um dem Motto, die städtische Straßenreinigung würde ja alles richten, etwas entgegensetzen zu können.

Die am Theaterhaus Mitte entwickelte Performance hat ein dramaturgisches Gerüst, aber die Spieler frei genug, auf unvorhergesehene Situationen spontan zu reagieren. Der Cast ist international, und damit auch multilingual, neben deutsch und englisch sind unter anderem spanisch und arabisch vertreten.

Mit ihrem Ratten-Projekt war Bittermann auch schon im Ausland, bei einem Festival im kubanischen Havanna 2015. „Wir haben auf Spanisch und Englisch performt. Die Leute liebten das und einige wollten ständig die Kostüme anfassen.“ In die aktuelle Show baute sie auch dort gemachte Erfahrungen ein, etwa darüber, wie am Stadtrand von Havanna der Müll direkt ins Meer gekippt wird. „Ich wollte das erst nicht glauben. Ich kannte es zwar von Fotos, aber es mit eigenen Augen zu sehen, war eine sehr ekelhafte Erfahrung.“

Jetzt widmet sie sich wieder dem Berliner Müll, mit einer größeren Straßenerfahrung und einer Crew, die inzwischen eng zusammengewachsen ist.

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