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Naturfreundejugend über Vorrundenaus„Die Aktion wird weitergehen“

Schon 2006 forderte die Naturfreundejugend Berlin das deutsche „Vorrundenaus“. Jetzt ist es passiert. Ein Gespräch mit Carsten, der die Aktion mitinitiiert hat.

So gehen die Deutschen Foto: Reuters
Interview von Imre Balzer

taz: Ich vermute, die Fußball-WM ist nicht ihre größte Leidenschaft. Haben Sie das Ausscheiden des deutschen Team denn gesehen?

Carsten: Ich habe das Spiel nebenbei ein wenig geguckt, das muss ich gestehen.

Seit 12 Jahren forden Sie das „Vorrundenaus“. Also: Ziel endlich erreicht?

Uns ging und geht es nicht um den Sport, viele von uns spielen sehr gerne Fußball und fiebern für Zweit- oder Drittliga-Mannschaften mit. Das Ziel der Kampagne ist ein Politisches: Wir wollten mit der Aktion über die Fußball-WM auf andere gesellschaftliche Entwicklungen hinweisen, besonders auf die Verbindung von Nationalismus, Rassismus, Sexismus und Sicherheitspolitik im Sport.

Welche Auswirkungen hat der Sport dabei?

Die gesellschaftliche Wirkung, die so ein Spiel und besonders ein Sieg der Nationalelf hat, ist enorm. Sport und Politik sind sehr eng verknüpft. Immerhin wurden wegen verlorener Fußballspiele schon Wahlen gewonnen und Kriege angezettelt, wie etwa 1969 nach dem WM-Qualifikationsspiel zwischen Honduras und El Salvador.

Was ändert sich daran durch das Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft?

Es wird auf jeden Fall weniger nationale Euphorie während der restlichen WM in Deutschland geben – und das ist eine gute Nachricht. Besonders für die Menschen, die schwul sind, einen Migrationshintergrund haben oder zu einer anderen sogenannten gesellschaftlichen Randgruppe gehören. Die Gefahr für diese Menschen, bei irgendeinem Fan-Fest vorbeizugehen und Opfer von rassistischer Gewalt zu werden, ist damit auf jeden Fall gesunken.

Im Interview: Naturfreundejugend Berlin

Carsten, 38, ist Mitglied der Naturfreundejugend im Landesverband Berlin. Die Jugendorganisation der Naturfreunde versteht sich als parteiunabhängiger, linker Jugendverband, der sich viel mit den Themen Nationalismus, Rassismus, Sexismus, Kapitalismus und Antisemitismus befasst. Carsten ist schon länger Mitglied und war bei der Entwicklung der Kampagne 2006 mit dabei.

Ihre Aktion startete 2006. Seitdem hat sich in Deutschland einiges geändert – zum Beispiel sitzt eine rassistische Partei im Bundestag, der die Nationalmannschaft nicht „deutsch“ genug ist. Ist das Jubeln für diese multikulturelle Mannschaft nicht gelebter Antirassismus?

Das Entscheidende ist doch, dass dieser Patriotismus, der sich damit ein wenig moderner gibt, immer noch dieselbe nationalistische Stimmung befördert. Und bei all dem scheinbar modernen Nationalismus darf man nicht vergessen, welche rassistischen Auswüchse das gemeinsame Fußballgucken hat. Im Kern rechtfertigt dieser scheinbar moderne Nationalismus immer noch die Abschottung der EU-Außengrenzen, die Errichtung von Lagern für Geflüchtete und das Eingehen auf eine angebliche Volksstimmung, die AfD-Positionen fördert. Wunsch und Wirklichkeit sind nicht deckungsgleich.

Für die Nationalelf zu sein, um gegen die AfD zu sein – das funktioniert also für Sie nicht?

Nein. Das ist so, wie CSU zu wählen um die AfD zu verhindern.

Wie waren und sind die Reaktionen, die Sie auf ihre Kampagne bekommen?

Die Aktion polarisiert natürlich. Viele haben sich ermutigt gefühlt, die Themen der Kampagne aufzugreifen und politisch aktiv zu werden. Aber wir haben auch Hassmails bekommen. Wir wurden als „Nestbeschmutzer“ beschimpft und zum Auswandern aufgefordert – so viel zum Thema Akzeptanz im modernen Nationalismus.

Wird die Vorrundenaus-Kampagne zur nächsten EM und WM weitergehen? Oder haben Sie nun alles erreicht?

Die Aktion wird natürlich weitergehen. Die Fußball-WM ist immer ein guter Anlass, um über Nationalismus zu diskutieren.

Da die Deutschen raus sind, können Sie jetzt unbeschwert WM gucken?

Ich habe ein Faible für Außenseiter, daher werde ich an irgendeinem Punkt sicher etwas mitfiebern. Aber letztlich trifft der nationalistische Mechanismus, den wir in Deutschland kritisieren, auch auf die anderen Nationalmannschaften zu. Wenn wir in Frankreich wären, würde wir die Vorrundenaus-Kampagne genauso fahren – nur mit anderen Farben.

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