Seenotrettungsschiff vor Malta: „Lifeline“ darf anlegen

Das Schiff kann jetzt einen Hafen in Malta ansteuern. Mehrere Bundesländer wollen Flüchtlinge aufnehmen, doch Seehofer blockierte.

Flüchtlinge auf dem Rettungsschiff "Lifeline" der Hilfsorganisation Mission Lifeline

Erschöpft und seekrank: Die Geflüchteten sind bereits seit sechs Tagen an Bord der Lifeline Foto: dpa

BERLIN taz | Das Seenotrettungsschiff „Lifeline“ darf in einen maltesischen Hafen einlaufen. Das gab Maltas Ministerpräsident Joseph Muscat am Mittwochmittag bekannt: Ich denke, dass das Schiff heute Abend unsere Küsten erreichen wird.“ Die Flüchtlinge und Migranten an Bord werden auf EU-Staaten verteilt, sagte Muscat.

Bereits am Dienstag hatte sich Malta prinzipiell bereit erklärt, das Schiff anlegen zu lassen. Weil eine europäische Einigung über die Verteilung der Flüchtlinge aber noch ausstand, ließ der Inselstaat die „Lifeline“ weiter warten. Am Mittwochvormittag erhielt das Schiff zunächst die Berechtigung, in maltesisches Gewässer einzulaufen, „um Windschutz zu suchen“, wie die Crew in einer Twitter-Mitteilung schrieb. Viele der mehr als 230 Flüchtlinge an Bord sind seekrank.

Einem schnelleren Ende der seit vergangenen Donnerstag andauernden Odyssee stand anscheinend Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) im Weg, der sich gegen eine Aufnahme der Geflüchteten stellte. Dabei hatten sowohl Italien, Frankreich, Portugal sowie mehrere deutsche Kommunen und Bundesländer – unter anderem Berlin und Schleswig-Holstein – ihre Bereitschaft signalisiert, Flüchtlinge der „Lifeline“ aufzunehmen.

„Es gibt seit mindestens zwei Tagen einen europäisch ausgehandelten Verteilungsdeal“, sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Manuel Sarrazin am Mittwoch der taz. Sarrazin war am Wochenende selbst auf der „Lifeline“. Ihm zufolge hatte zwar das Auswärtige Amt seine Zustimmungsbereitschaft signalisiert, doch dass federführende Innenministerium Seehofers habe die Umsetzung blockiert.

Einer Aufnahme der Menschen durch die Kommunen muss die Bundesregierung nach dem Aufenthaltsgesetz ihre Zustimmung erteilen. Demnach kann Ausländern aus „völkerrechtlichen oder humanitären Gründen“ eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Eine Anfrage der taz an das Bundesinnenministerium ist seit Dienstag unbeantwortet. Laut dpa weist das Ministerium Vorwürfe einer Blockadehaltung von Seehofer zurück. „Dazu ist mir nichts bekannt“, sagte Sprecherin Eleonore Petermann.

Einigung im Innenausschuss

Am Mittwoch verständigte sich die Bundesregierung auf ihr Vorgehen. In einer nicht-öffentlichen Sitzung des Innenausschusses des Bundestages nannte Seehofer Bedingungen für eine mögliche Aufnahme der Flüchtlinge. Eine Voraussetzung sei, dass das Schiff festgesetzt werde, sagte er. Zwischen Libyen und Südeuropa dürfe es keinen „Shuttle“ geben. Außerdem müsse die deutsche Crew zur Rechenschaft gezogen werden. „Wir müssen verhindern, dass es zu einem Präzedenzfall wird.“ Das Auswärtige Amt solle sich um die Details kümmern. Muscat kündigte an, Seehofers Wunsch zu entsprechen: „Dieses Schiff war staatenlos, es wird festgesetzt.“ Auch werde gegen die Besatzung ermittelt.

Die Hilfsorganisation wies die Vorwürfe zurück. Die „Lifeline“ habe sich lediglich der Anweisung widersetzt, die geretteten Flüchtlinge in Tripolis der „sogenannten libyschen Küstenwache“ zu übergeben, erklärte Mission Lifeline in einer Stellungnahme. Die Organisation verweist auf den Grundsatz der Nichtzurückweisung in der Genfer Flüchtlingskonvention.

Der Linke-Bundestagsabgeordnete Michel Brandt, der ebenfalls zu Besuch auf der „Lifeline“ war, sagte der taz: „„Hier wird Symbolpolitik auf dem Rücken der Menschen ausgetragen“. Laut Brandt ist „jede weitere Stunde auf dem Schiff eine absolute Zumutung“ für die Geflüchteten.

Seehofer zunehmend isoliert

Mit seiner Verweigerungshaltung stand Seehofer immer mehr alleine. Schon am Dienstag hatten Berlin und Schleswig-Holstein den Anfang gemacht, der europäischen Abschottungspolitik zu widersprechen. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) forderte die Bundesregierung auf, die „humanitäre Katastrophe“ zu beenden.

Aus dem Kieler Innenministerium hieß es auf taz-Anfrage, Schleswig-Holstein sei bereit, könne aufgrund der aktuellen Rechtslage aber nicht alleine entscheiden: „Das geht nur, wenn das Bundesinnenministerium sein Einvernehmen erklärt.“ Komme es zu einer Einigung der beteiligten Staaten, werde Schleswig-Holstein „selbstverständlich seinen Beitrag leisten“. Landesinnenminister Hans-Joachim Grote (CDU) betont: „Die in Aussicht stehende Lösung zeigt einmal mehr, wie wichtig die europäische Zusammenarbeit gerade in Flüchtlingsangelegenheiten ist.“

Am Mittwoch äußerte zudem die niedersächsische Große Koalition, sich an einer Verteilung der auf dem Meer wartenden Flüchtlinge zu beteiligen. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) schrieb auf Twitter: „Das Land Niedersachsen erklärt sich bereit, eine begrenzte Zahl der Passagiere des Rettungsschiffs Lifeline aufzunehmen.“ Eine konkrete Zahl nannte der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) nicht. Er wolle anderen EU-Staaten und Bundesländern keinen Grund geben, „sich einen schlanken Fuß zu machen“. „Wenn alle ein klein wenig tun, ist allen geholfen“, sagte Pistorius.

Ein klassisches Aufnahmeprogramm sei das Angebot nicht. Die Menschen würden in eine niedersächsische Erstaufnahmeeinrichtung kommen und ein normales Asylverfahren durchlaufen – „mit allen Varianten des Ausgangs eines solchen“, sagte Pistorius. Am Nachmittag sich CDU-Chef Bernd Althusmann. Er teilte mit, er rate davon ab, Flüchtlinge von dem Schiff vorschnell von den Ländern aufnehmen zu lassen.

Auch der Brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), der einer rot-roten Koalition vorsteht, kündigte die Bereitschaft seines Bundeslandes an. „Brandenburg hat dazu die Kapazitäten und die Möglichkeiten. Allerdings muss der Bundesinnenminister die rechtlichen Voraussetzungen schaffen“, so Woidke gegenüber dem RBB.

Mit Esther Geißlinger, Andrea Schapen und dpa

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