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Umbenennung der WissmannstraßeNeukölln räumt postkolonial auf

Anwohner*innen der Wissmannstraße diskutieren mit Expert*innen und Politiker*innen über die Umbenennung ihrer Straße.

Die Politik im Neuköllner Rathaus (o.r.) will die Wissmannstraße gerne loswerden. Aber wollen die Anwohner*innen auch? Foto: dpa

Die AfD Neukölln hätte wissen müssen, dass das so nichts wird. Vor gut zwei Wochen hatte der Bezirksverband einen Flyer in den Briefkästen der Anwohner*innen der Neuköllner Wissmannstraße verteilt. Darauf lud die Partei zu einem „Bürgerdialog“ über die „Umbenennung der Wissmannstraße“ am vergangenen Freitag ins Neuköllner Rathaus ein. Sie musste den Termin aber kurzfristig absagen, weil sie keine Genehmigung für den Raum bekam.

Eine Diskussion fand trotzdem statt. Denn als Reaktion auf den AfD-Flyer hatten Mitarbeiter*innen einer Kita aus der Wissmannstraße zu einer Gegenveranstaltung in die – in derselben Straße gelegene – Werkstatt der Kulturen eingeladen. Und in einem waren die rund 25 Anwesenden sich einig. Es ärgert sie, dass die erste offizielle, direkt im Briefkasten gelandete Information zur Straßenumbenennung nun ausgerechnet von der AfD kam.

Benannt ist die Straße nach Herrmann Wissmann, der im Auftrag von Bismarck brandschatzend und mordend durch das damalige Deutsch-Ostafrika zog. Widerstand gegen die deutschen Kolonisatoren schlug er brutal nieder, Dörfer setzte er rücksichtslos in Brand, erklärte Mnyaka Sururu Mboro von Berlin Postkolonial in einem Impulsvortrag. Dieser Kolonialverbrecher solle nicht mehr mit einem Straßenschild geehrt werden, befand er.

Dieser Ansicht ist auch die Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Ende März hatte sie beschlossen, einen Diskussionsprozess zu starten mit dem Ziel, die Wissmannstraße umzubenennen – und zwar ausdrücklich im Dialog mit den Anwohner*innen. Die Chance, hier den ersten Schritt zu tun, hätten sie tatsächlich verschlafen, gab BVV-Mitglied Bernd Szczepanski (Grüne) unumwunden zu. Wie der Bürgerdialog konkret aussehen wird, konnte er noch nicht sagen. „Wir können uns vorstellen, dass das Museum Neukölln und die Volkshochschule dazu Ausstellungen und Veranstaltungen anbieten“, sagte er. Damit sei aber frühestens ab Herbst zu rechnen, auch, weil die zuständige Stadträtin erst seit Februar im Amt ist.

Informationstafel nie ausprobiert

Konkreter äußerte sich Szcze­panski zum Ende des „Dialogprozesses“: „Ziel ist eindeutig die Umbenennung, und zwar bis 2021, denn dann endet die Wahlperiode.“ Eine Anwohnerin, die seit 20 Jahren in der Wissmannstraße lebt, sagte, ihr sei klar, dass es eine politische Entscheidung sei, die weit über den Bezirk und auch über Berlin hinausstrahle. „Ein Name, den man gut aussprechen kann und den wir nicht ständig buchstabieren müssen, wird sicher eher akzeptiert.“ Andererseits frage sie sich, ob es sofort eine Umbenennung sein muss, „wenn die Idee einer Informationstafel nie probiert wurde“.

Ingrid-Elsa Koch, ebenfalls Anwohnerin, widersprach. „Wenn ich einen Brief verschicke, steht im Absender Wissmann, das finde ich unerträglich. Auf den Brief kann ich keinen Gedenkstein mit draufkleben.“ Ärgerlich fand sie auch, dass Wissmann in Internetlexika noch immer als Afrikaforscher beschrieben und seine Verbrechen kaum thematisiert würden.

Der Dialog kam also in Gang und wird nach Hoffnung der Veranstalter fortgesetzt – allerdings anders, als von der AfD beabsichtigt. Die Partei hatte tatsächlich in ihrer Ankündigung Wissmann als großen Afrikaforscher dargestellt.

Kein „Bürgerdialog“ im Rathaus

Dass die AfD-Veranstaltung nicht genehmigt wurde, hatte übrigens nichts mit der Partei an sich zu tun. „Veranstaltungen der politischen Willensbildung sind nach der Raumnutzungsordnung im Rathaus und in Schulen in Neukölln nicht zulässig“, erklärte ein Sprecher des Bezirksamts Neukölln der taz die Absage. „Das ist kein Geheimnis, und es ist etwas, an das sich alle Parteien zu halten haben.“

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