Andreas Rüttenauer Russia Today: Blaue Männchen, rote Männchenund viel High Five
Reden wir über die Freiwilligen. Es gibt rote Freiwillige und blaue. Die roten sind für den Fifa-Bereich zuständig. Die roten Männlein und Weiblein postieren sich im und um das Stadion herum so, dass man immer einen von ihnen im Blick hat. Wenn man nicht weiß, wo der Sitzplatz ist, wo es zur Toilette geht oder warum es kein ordentliches Bier im Stadion gibt, kann man sich an sie wenden. Manchmal bekommt man sogar eine Antwort. Und auch wenn man keine bekommt, ein Lächeln gibt es immer. Freundlich schauen, das können sie, die Helferlein.
Die blauen Freiwilligen sind die Helfer der Austragungsorte. Sie werden in den Innenstädten postiert und sollen Orientierung geben. Wer Pech hat, wird an eine Straßenecke gestellt, an der so gut wie niemand vorbeikommt. Der wird nicht viel mehr von seiner Volunteer-Zeit mitnehmen als die von den Schuhen über die Hose und das Polohemd bis zur Mütze blaue Ausstattung.
Oft sind es Sprachstudenten, die sich für das Freiwilligenprogramm gemeldet haben. Sie wollen unbedingt anwenden, was sie in ihren Kursen lernen. Sie sind besorgt um die Fremden, wollen sich kümmern, dass man nicht verlorengeht. Wenn man nicht aufpasst, begleitet einen so ein blaues Männlein oder Weiblein bis vor die Haustür.
Man weiß dann recht schnell, was man vielleicht gar nicht so genau wissen wollte. Dass das Männlein noch zu Hause wohnt auf 45 Quadratmetern mit Vater, Mutter und Oma. Dass er nicht glaubt, dass er je aus Russland rauskommen wird, obwohl er doch deshalb angefangen hat, Deutsch zu studieren. Dass er sich sowieso nicht viel vom Leben erwartet, dass er von einem Audi träumt und dass er glaubt, die WM könnte schon das Schönste sein, was er je erleben wird.
Vor dem Spiel war es seine Aufgabe, den Fans eine riesige Schaumgummihand entgegenzustrecken und „Give me five!“ zu sagen. Seine Deutschkenntnisse hat er so nicht unbedingt aufbessern können. Man hatte ihn an den U-Bahnhof Krestowski Ostrow gestellt.
Bis zum Stadion sind es von der Metrostation aus 3 Kilometer Fußweg entlang eines Vergnügungsparks. Wer vor dem Spiel bei ihm eingeschlagen hat, konnte noch nicht wissen, dass ihm bis zum Stadion noch mindestens 30 weitere Schaumgummihände hingehalten würden.
Nach dem Spiel war seine Hand die letzte, in die man einschlagen konnte, bevor es die Rolltreppe hinunterging zur tiefstgelegenen U-Bahn der Welt. Da hatten selbst die siegestrunkenen Russen schon keine Lust mehr einzuschlagen. Die Ägypter sowieso nicht. Egal. Eineinhalb Stunden nach dem Abpfiff durfte er seinen Posten räumen. Er hat seine Chance ergriffen, sich einen Deutschen geschnappt und drauflos geredet. Freiwillig. Nach Dienstschluss und ohne jedes „Give me five!“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen