: Mehr als nur Styling
DESIGN VON NEBENAN (VI) Seit mehr als 20 Jahren entwirft Detlef Rahe alles vom Klassenzimmer über das Kaffeeservice bis zur Atemschutzmaske für Feuerwehrleute. Design ist für den 46-jährigen Bremer vor allem ein Versprechen, das es halten muss
VON NANTKE GARRELTS
Wolken spiegeln sich auf dem runden Bauch der Zuckerdose. Sie strahlt weiß im Licht, das durch die bodentiefen Fenster des Ateliers fällt. Von seinem Kaffeetisch aus blickt Detlef Rahe auf den Europahafen. „Ich war immer einer der Ersten“, sagt er. Vor sechs Jahren richtete er sich sein Atelier im Speicher I in der Bremer Überseestadt ein.
Wo sich heute hochpreisige Apartments, Büros und schicke Bars aneinanderreihen, gab es damals – abgesehen von einigen Containern mit Hehlerware – nur Brache, sagt der 46-Jährige, der seit Jahren dazu beiträgt, das ehemalige Industrie- und Hafenviertel als Designstandort zu etablieren. Als Innenarchitekt hat er hier einen der reizvollsten Orte in Bremen geschaffen: die SkyBar im obersten Geschoss des Landmark Towers, die mit gedimmtem Licht und Sesseln den Bewohner des Suiten-Hauses als „verlängertes Wohnzimmer“ dienen soll, wie Rahe sagt.
Vom Klassenzimmer bis zum Vorstandsbüro, vom Mikroskop bis zur Atemschutzmaske oder dem stilisierten Pferd, das Autofahrer von den niedersächsischen Autobahnen kennen, gibt es kaum etwas, was Rahe und seine Frau Ulrike noch nicht gestaltet hätten. Ihr Büro Rahe + Rahe Design gründeten sie vor 23 Jahren in Göteborg, wo ihre Familie immer noch in einem von den Rahes entworfenen Haus wohnt.
„Design hat die Aufgabe, zwischen den Bedürfnissen des Senders, also des Auftraggebers, und den Bedürfnissen des Empfängers, also des Kunden, zu vermitteln“, fasst Detlef Rahe den Grundsatz seiner Arbeit zusammen. Eines der ersten Produkte dieser Philosophie ist das 20 Jahre alte Kaffeeservice, das nun auf Rahes Tisch steht. Die Rahes entwarfen es für den Porzellanhersteller Friesland, der sich an eine jüngere Zielgruppe wenden wollte. Also kreierten sie das zeitlose und schlichte Service „Ecco“, es kostet knapp 180 Euro und sollte so auch für junge Erwachsene erschwinglich sein.
Bei der Recherche für ihre Produkte stand das Designer-Ehepaar immer wieder vor ungewöhnlichen Herausforderungen. Für einen Hersteller von Glasfaserkunststoff etwa musste erst einmal ein Produkt her. Also betrieben Rahes Marktforschung und stellten selbst Berechnungen an, was sich denn rentieren könnte.Und so fanden sie eine Nische im Segment für Rollstühle, die normalerweise aus schweren Materialien und wenig ergonomisch gebaut sind. Im Gegensatz zu Kaffeetassen konnten die Entwickler bei diesem Produkt nicht auf eigene Erfahrungen zurückgreifen. Sie sprachen also mit Rollstuhlfahrern, Orthopäden und Basketballmannschaften mit behinderten Spielern, um Wünsche und Ansprüche zu sammeln. Leicht, bequem und wandelbar sollte das Modell sein. „Vielleicht will der Rollstuhlfahrer beim Sport gelbe Räder, weil er für Borussia Dortmund spielt“, sagt Rahe. „Und fürs Theater will der Fahrer dann lieber einen dezenten grauen oder schwarzen Rollstuhl.“ Also entwickelten Detlef und Ulrike Rahe zusammen mit Ingenieuren einen ergonomisch geformten Stuhl mit schnell auswechselbaren Farbscheiben an den Rädern.
„Wir recherchieren so viel zu den Bedürfnissen von Kunden und Nutzern, da kommt die Formfindung dann ganz von selbst“, sagt Detlef Rahe. Kaum ein Entwurf kommt bei ihnen aufs Papier, der anschließend nicht auch umgesetzt wird. Dabei setzt er vor allem auf Gespräche. Streng genommen kämen also nur zehn Prozent der Produktidee letztendlich von ihm. „Design ist Teamarbeit“, sagt er.
Für die Kaminofenserie „Contura“ etwa arbeiteten Rahe und seine Frau eng mit den Ingenieuren des Auftraggebers zusammen, um sich über effektive Verbrennung und hitzebeständige Materialien auszutauschen. Es gehe ihm schlicht um Ehrlichkeit, sagt er. Das Design eines Produkts verspreche etwas und müsse es auch halten. „Design hat nichts mit Styling zu tun“, sagt Detlef Rahe. Es müsse einfach nur den Zweck, dem es diene, visualisieren. Seine Atemschutzmasken für die Feuerwehr müssen also stabil wirken, um Vertrauen zu wecken.
Und was ist das Versprechen der Kaffeetassen, Schüsseln, Milchkännchen und Zuckerdosen der „Ecco“-Serie? Behäbig stehen sie auf dem Glastisch und wirken dabei schon seit 20 Jahren harmonisch. Sie machen den Eindruck, dass sie auch die nächsten 20 Jahre noch genau so da stehen werden und dabei immer noch gut aussehen. Denn sie versprechen Beständigkeit.
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