: Kunst als Freiheitskampf
In der Kunst von Hiwa K dreht sich viel um die Themen Erinnerung, Anpassung und Entwurzelung. Der Kunstverein Hannover stellt den kurdischen Künstler, der mittlerweile in Berlin lebt, mit einer Werkschau vor
Von Bettina Maria Brosowsky
Wer im letzten Sommer auf der Documenta in Kassel war, ist Hiwa K schon einmal begegnet. Im Zentrum der Stadt, auf dem Friedrichsplatz, hatte der kurdische Künstler zusammen mit 13 Studierenden der Kunsthochschule Kassel zwanzig braune Kanalbauröhren vierlagig übereinandergestapelt.
Diese Installation erinnerte vielleicht an „Nano-Apartments“, jene winzigen präfabrizierten Wohnungen von maximal 20 Quadratmetern Fläche, wie sie derzeit in Hong Kong als ebenso ultimative wie hippe Lösung gegen die Wohnungsnot propagiert werden. Doch die Kasseler Röhren, minimal möbliert mit Radio, Lampe, Büchern, einem Waschbecken und abendlich leicht beleuchtet, waren das etwas bittere Statement des kurdischen Künstlers, um auf das Schicksal weltweiter Flüchtlinge aufmerksam zu machen.
Denn diese sind häufig auf solch provisorische, überhaupt nicht wohnliche Unterschlüpfe angewiesen – mitunter für lange Zeit, etwa wenn in Balkangegenden nichts mehr weitergeht. Hiwa K, 1975 im Irak geboren, reiste in den 1990er-Jahren selbst illegal in Europa ein, zu Fuß. Er hat also während seiner langen Wanderung persönliche Erfahrungen mit derartigen Schlaf- und Aufenthaltsplätzen gesammelt. Seit zehn Jahren lebt Hiwa K nun in Deutschland, vor rund acht zog er nach Berlin.
„Man sollte Hiwa K aber nicht auf seine Flüchtlingsbiografie reduzieren“, rät Kathleen Rahn, Direktorin des Hannoverschen Kunstvereins, der in Kooperation mit dem Museum für aktuelle Kunst in Gent gerade eine umfangreiche Einzelausstellung des multimedial arbeitenden Künstlers zeigt. Dafür sei das Werk zu vielfältig, so Rahn, verquicke Orient und Okzident, Geschichte und Gegenwart, Wahrheit und vor allem die permanente erzählerische Fiktion. Immer verweben sich neue Arbeiten mit bereits existierenden, werden fortgeschrieben und neu interpretiert.
Lebenslauf und Person Hiwa K halten zudem eigene Geheimnisse vor, so das vielleicht Bertolt Brechts „Geschichten vom Herrn K“ entnommene Kürzel als Nachnamen. Oder die (autodidaktischen) Studien der Kunst, Musik und Philosophie, in der Heimat als auch in Europa. Oder die Ausbildung als Flamenco-Gitarrist, eher ungewöhnlich für einen gebürtigen Kurden, die bereits in frühen Arbeiten eine wichtige Rolle spielt.
Überraschend ist aber auch Hiwa K’s langjährige Beschäftigung mit einem gleichfalls geheimnisvollen Werk der europäischen Baugeschichte, dem Pantheon in Rom. Dieses gigantische, unter Kaiser Hadrian bis 128 nach Christi fertiggestellte Kuppelgebäude diente als Kult- und Gerichtsstätte, vielleicht auch als Bibliothek, wurde später eine christliche Kirche und soll massenweise Gebeine römischer Märtyrer aus den Katakomben aufgenommen haben. Immer wieder wurden aber auch Teile der wertvollen Ausstattung geplündert, etwa die originale Bedachung der Kuppel aus vergoldeter Bronze.
Hiwa K widmet seine große Installation, die den zentralen Oberlichtsaal des Kunstvereins besetzt, einer weiteren Raubaktion: Papst Urban VIII. aus der Familie der Barberini ließ im 17. Jahrhundert Bronzeplatten aus der Vorhalle demontieren, um aus ihnen Kanonen für die Eroberung der Engelsburg zu fertigen. Da der Name des alten Adelsgeschlechts dem verächtlichen Begriff „Barbari“ ähnlich klang, prägte sich das Sprichwort, dass die Barberini in ihrem schändlichen Treiben das der Barbaren offensichtlich zu vollenden gedachten.
Hiwa K hat dazu nun eine historisch etwas verzerrte Melange inszeniert: Auf dem Boden erheben sich fünf realgroße vermeintliche Gussformen aus Sand, sie sind Abbild der Kassetten der steinernen Pantheon-Kuppel. Diese aber hätte der Barberinischen Plünderung ja gar nichts Brauchbares bieten können. Einen somit hypothetischen Bronzeraub begleitet rohes Videomaterial, das die aktuelle Umschmelzung erbeuteter Waffen zu Gegenständen des irakischen Alltags zeigt, etwa Kanalgitter. Aber: Ein grenz- und religionsübergreifender Friedensappell wird wohl auch verklausuliert verstanden.
Kathleen Rahn, Direktorin des Hannoverschen Kunstvereins
Wenn auch nicht mit wesentlich bescheidenerem Materialeinsatz, so doch um einiges subtiler war da schon das „One Room Apartment“, das Hiwa K zum Athener Teil der letztjährigen Documenta im Innenhof des Benaki-Museums aufbaute. Eine graue Betonwand, davor eine Treppe hinauf, und dort, auf einem Podest, ein Bett und eine Antenne. In Hannover ist davon immerhin ein Foto zu sehen, das man abseits eindeutiger Migrationsmetaphern auch als existenzialistische Grunddisposition lesen kann.
Ein weiteres Foto zeigt ein bereits in bedenkliche Diagonallage gekipptes Baufragment des Amna Suraka-Gefängnisses in der Heimatstadt Hiwa Ks. Der Künstler im Inneren versucht nun, es vollends umzuwerfen. Die Erstürmung dieser Folterkammer Sadam Husseins im kurdischen Befreiungskampf von 1991 wurde durch die Weltöffentlichkeit kaum wahrgenommen.
Um den immerwährenden Freiheitsdrang kreisen viele Arbeiten, auch um den Tod eines Freundes aus Kindertagen, der in den Kämpfen fiel. Einst ermahnte dieser Hiwa K, nicht in den Himmel zu schauen, da man sonst erblinde. Über einen erinnernden Text, kalligrafisch auf den Boden zweier Räume geworfen, wandern nun himmelblaue Lichtflächen, erzeugt durch farbige Folien vor den großen Fenstern der Ausstellungsräume.
Die Farbfolien erinnern aber auch an den Vater Hiwa Ks: Als die irakische Zentralregierung der kurdischen Region das Farbfernsehen untersagte, griff er zu solchen Folien, verwandelte demonstrativ das Schwarz-Weiß-Bild in schlichte Monochromie. Unendliche Geschichten, assoziative Bilder, was bleibt davon? Auf jeden Fall die kurdische Sprache – so prophezeite es zumindest 2002 der Schweizer Wissenschaftsjournalist Urs Willmann.
Ausstellung „Moon Calendar, Hiwa K“, bis zum 29. Juli im Kunstverein Hannover
Gespräch zum Werk von Hiwa K mit Martin Germann (Kurator, Gent), 6. Juni, 19 Uhr
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