Entführter Vietnamese Trinh Xuan Thanh: Noch kein Freihandel mit Hanoi
Deutschland und Vietnam verhandeln, ob der entführte Trinh Xuan Thanh ausreisen kann. Ein Handelsabkommen steht auf dem Spiel.
Die Ausreise des prominentesten vietnamesischen Dissidenten Nguyen Van Dai aus vietnamesischer Haft nach Deutschland am Freitag ist ohne Zweifel ein Zeichen des guten Willens der Regierung in Hanoi. Die hatten Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, deutsche Politiker, Juristen und Menschenrechtler seit Längerem gefordert. Offensichtlich sind Vietnam solche Forderungen aus Deutschland nicht gleichgültig. Doch der Fall des 52-jährigen Trinh Xuan Thanh ist komplizierter.
Derzeit wird vor dem Berliner Kammergericht gegen einen mutmaßlichen Entführungshelfer verhandelt. Solange dieser bis mindestens Ende August terminierte Prozess andauert, dürfte Vietnam Trinh Xuan Thanh nicht nach Deutschland schicken. Denn das Entführungsopfer würde sofort in den Zeugenstand gerufen und seine Aussagen wären für Hanoi, das die Entführung bis heute bestreitet, sehr unangenehm.
Diplomatischer Flächenbrand
Viele vietnamesische Diplomaten wollen das Problem Trinh Xuan Thanh am liebsten vom Tisch haben. Letzten August hatte ein Politikberater vorgeschlagen, deutsche Proteste zu ignorieren, weil nach den Bundestagswahlen kein Hahn mehr nach Trinh Xuan Thanh krähen würde. Das Gegenteil ist eingetreten. Vietnam hat deshalb inzwischen längst nicht mehr nur mit Deutschland ein diplomatisches Problem. Auch von Tschechien, von wo aus die Entführung vorbereitet wurde, muss sich Vietnam unangenehmen Fragen stellen. Und seit April auch noch von der Slowakei, weil für die Entführung womöglich ein slowakisches Regierungsflugzeug missbraucht wurde.
Ein möglicher Strippenzieher, der slowakische Exinnenminister Robert Kalinak, soll Medienberichten zufolge Polen bei der Antwort auf die Frage belogen haben, wer da in dem Flugzeug saß, das polnisches Hoheitsgebiet überflog. Somit ist auch Polen im Spiel der Länder, die einen Konflikt mit Vietnam haben. Frankreich könnte noch hinzukommen. Hier soll Vietnams Geheimdienst vor der Entführung eine Frau ausgespäht haben.
So ein diplomatischer Flächenbrand ist nicht im Interesse Vietnams und es gibt nur eine Möglichkeit, ihn zu beenden: Trinh Xuan Thanh wieder nach Deutschland, wo er Asyl beantragt hatte, zurückzuschicken.
EU zögert mit Freihandelsabkommen
Das wird in Vietnams sozialen Netzwerken auch längst gefordert, aber aus einem anderen Grund: Vietnam will ein Freihandelsabkommen mit Europa abschließen. Es ist längst ausgehandelt, aber die EU hat es nicht ratifiziert. „Schicken wir Trinh Xuan Thanh nach Deutschland. Dann bekommen wir das Freihandelsabkommen“, lautet das Motto.
Tatsächlich ist für EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström die Entführung ein Hindernis für die Ratifizierung. Aber nicht das einzige. Die EU unterzeichnet das Abkommen auch nicht, bis Vietnam zentrale Konventionen der internationalen Arbeitsorganisation ILO ratifiziert und umgesetzt, etwa diejenigen über die Zulassung freier Gewerkschaften oder über die Ächtung der Zwangsarbeit.
In Vietnam gibt es auch noch eine andere Denkweise. Hardliner, denen ihr Machterhalt und die Ausschaltung parteiinterner Gegner wichtiger ist als diplomatische Entspannung, könnten derzeit sogar eine weitere Entführung eines innerparteilichen Gegners aus Europa planen. Vu Dinh Duy lebt in Polen, hält sich aber auch in Deutschland auf. Vietnam fordert seine Auslieferung und begleitet das mit demselben medialen Trommelwirbel, mit dem einst die Entführung von Trinh Xuan Thanh vorbereitet wurde. Als Duy vor dem Berliner Kammergericht als Zeuge aussagte, waren die Sicherheitsmaßnahmen aus Sorge vor einer Entführung besonders streng.
Dazu kommt, dass Vietnam in diesen Tagen eine ungewöhnliche Protestwelle erlebt. Demonstranten wenden sich gegen Gesetze, die einen Ausverkauf des Landes an chinesische Investoren ermöglichen würden. Welche Dynamik diese Proteste annehmen und ob sie Vietnams Politik beeinflussen, ist noch völlig offen.
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