: Beim Erwachsenwerden zuhören
Seine Musik ist wie ein Coming-of-Age-Roman, für den er eine Generationen übergreifende Sprache gefunden hat. Am Donnerstag ist der aus Virginia stammende Musiker Will Toledo mit seinem Bandprojekt Car Seat Headrest im Festsaal zu Gast
Von Stephanie Grimm
„Give me Frank Ocean’s voice and James Brown’s stage presence“, krächzt Will Toledo aka Car Seat Headrest in „Cute Thing“, dem flirrenden Song seines aktuellen Albums „Twin Fantasy“. Wünscht er also die cremige Stimme des Soulisten Franc Ocean, der nebenbei noch viel Singer-Songwriter-Herzblut in das R&B-Genre brachte! Und obendrauf will Toledo auch noch die Rampensaupräsenz von „sex machine“ James Brown. Na denn.
In dieser Aussage steckt wohl viel Koketterie. Toledo kann weder darüber klagen, dass es ihm an Präsenz fehlt noch er zu wenig Aufmerksamkeit findet. Schon lange bevor er 2015 seine erste „offizielle“ Platte veröffentlichte, erspielte er sich durch Veröffentlichungen auf der Plattform Bandcamp eine bemerkenswert zugewandte Fan-Basis.
Und erfreulicherweise steckt in seinen Songs, abgesehen von dem eingangs zitierten Statement, eher selten das, was man Koketterie nennen kann. Ganz im Gegenteil. Schließlich schwingt beim Koketten stets auch Eitelkeit der Sorte „Nimm mich wahr – und zwar positiv“ mit. Toledo dagegen versteht es, im entscheidenden Momenten ganz uneitel die Hose runter oder sich selbst die Luft heraus zu lassen. So schafft er Nähe zur altersmäßig gut durchmischten Zuhörerschaft.
Insofern besitzt er zumindest in dem Punkt die Qualitäten des ebenfalls bekenntnishaft kommunizierenden Frank Ocean. Er erzählt von den seelischen Wirren des jungen Manns, der er ist, obwohl er sich ganz offenbar oft ganz schön alt fühlt – ohne dass das zu einer Nabelschau wird. Statt dessen macht er das mit lyrischem Talent, Humor und einer Dosis Zynismus. Letztere wirkt bei der weitergefassten Weltbetrachtung zwar oft unsympathisch, bei der Selbstbetrachtung dagegen kann sie durchaus für Luftigkeit sorgen.
Jedenfalls hört man bei Toledos Songs dank dieser Qualitäten spätestens beim dritten Hören genauer hin. Allein schon, weil man beim zweiten Mal so unvermittelt vor sich hin grinsen musste. Beim ersten Mal war seine Beobachtung noch eine solche Punktlandung gewesen, dass man vor lauter Knackigkeit gar nicht verstanden hat, worum es überhaupt geht. Etwa, wenn er der drogeninduzierten Ekstase, ja auch so einem Mythos der sorglos verschwendeten Jugend, in „(Joe Gets Kicked Out of School for Using) Drugs With Friends (But Says This Isn’t a Problem)“ ganz nonchalant die Luft rauslässt: „Last Friday, I took acid and mushrooms/I did not transcend, I felt like a walking piece of shit/in a stupid-looking jacket.“
Den Namen Car Seat Headrest gab er seinem mittlerweile auf Bandformat angewachsenen Projekt übrigens, weil er sich früher zum Aufnehmen seiner Songs, in Mutters Minivan zurückgezogen und die Kopflehne des Vordersitzs angesungen hatte.
Angesichts Toledos überbordenden Outputs liegt es nahe, dass längst nicht alles, was er veröffentlicht hat, toll ist. Allein im Sommer 2010, als der damals 18-Jährige anfing seine ersten Songs veröffentlichte, kamen nahezu im Monatstakt vier Alben heraus, die er der Übersichtlichkeit halber einfach durchnummerierte: eher Lo-Fi-Skizzen als ausgearbeitete Songs. Interessant trotzdem, Toledos Gedankengängen und seinen Noise-Experimenten zu folgen
Ein weiterer Aspekt, der seine Musik charmant macht: Man konnte Toledo, der aus Virginia stammt und mittlerweile in Seattle lebt, beim Erwachsenwerden zugucken. Seine Musik ist wie ein Coming-of-Age-Roman, für den er eine Sprache gefunden hat, die man außerhalb seiner Alterskohorte nicht peinlich oder nichtssagend findet.
Und offenbar hat er zudem entdeckt, wie viel Freude es macht, am eigenen Referenzsystem zu basteln – nicht nur, was die künstlerischen Einflüsse angeht, sondern auch die Binnenbezüge. Ein Refrain kann bei ihm als anders gedrehter Songbaustein in einem anderen Stück auftauchen. Oder ein Gedanke wird in einem anderen Text weitergeführt. Obwohl er gerade mal 25 ist, zitiert Toledo munter aus dem eigenen Werk. Seine jüngste Veröffentlichung „Twin Fantasy“ etwa, die dritte, seit er seit 2015 beim Label Matador unterschrieb, ist eine Überarbeitung eines Albums, das er 2011 via Bandcamp veröffentlichte – was wohl nicht bedeutet, dass ihm die Ideen ausgehen, sondern, dass er an etwas feilt, bis es passt. Und das nicht im stillen Kämmerlein, sondern sich dabei in die Karten gucken lässt.
Bei seinem Label und in der Presse bemüht man sich – schließlich ist man immer auf der Suche nach neuen Indierockhelden (das Genre wird ja seit Jahren tot gesagt, obwohl es dort aktuell mit vielen frischen Protagonistinnen eigentlich ganz munter zugeht) – ihn als legitimen Erben von Stephen Malkmus und dessen ehemaligen Band Pavement aufzubauen. Und tatsächlich gibt es, was Sound und die ungewöhnliche Melodieführung angeht, durchaus Parallelen. Doch die eigentliche Verbindung zwischen Car Seat Headrest und Malkmus ist ihre Verspieltheit, die bei allem Wiedererkennungswert in ihrer Musik steckt. Und mit der im Gepäck kann es auch auf die längere Strecke funktionieren, wie Malkmus gerade mit „Sparkle Hard“, seinem wohl tollsten Album seit den Neunzigern bewiesen hat.
Es ist ja nicht so, dass nur die Jugend Gründe liefert, seine Lebenswelt zu beobachten und sich darüber lustig zu machen. Man darf also gespannt sein, was von Toledo noch alles kommt.
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