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Das Schaulaufen von Niklaus

Der Berliner Hoffnungsträger der deutschen Leichtathletik, André Niklaus, startet beim Istaf in einem Wettbewerb, der nur für ihn ausgetragen wird: im Dreikampf. Großer Jubel im Olympiastadion

Der ehemalige Zivildienstleistende Niklaus ist Sportsoldat geworden. Die Entscheidung sei einzig sportlich motiviert, sagt er

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Es war das große Schaulaufen zum Abschluss der Saison. André Niklaus, der vor kurzem bei der Leichtathletik-WM in Helsinki überraschend Vierter im Zehnkampf geworden war, durfte sich in seiner Heimatstadt so richtig feiern lassen. Die Veranstalter des Internationalen Stadionfests (Istaf) haben extra für den Berliner am Sonntag einen Dreikampf ins Programm aufgenommen. Einziger Teilnehmer: André Niklaus.

Der blonde Recke trat im Stabhochsprung, im Speerwerfen und im Kugelstoßen an und musste sich von den Spezialisten weit distanzieren lassen. „Es hängt viel vom Stadionsprecher ab“, meinte er vor dem ersten Sprung: „Der muss den Leuten erklären, warum ich schon ausscheide, wenn die anderen noch gar nicht angefangen haben.“

Niklaus nahm den Wettkampf dennoch ernst – nicht nur wegen der von einem Sponsor für ihn ausgelobten Freiflüge in ein Trainingslager. Er wollte sich als Topathlet präsentieren. Seit seinen 8.316 Punkten von Helsinki ist er einer der großen Hoffnungsträger der deutschen Leichtathletik. Dementsprechend groß ist das Medieninteresse, und dementsprechend laut war der Applaus im Olympiastadion, immer wenn Niklaus zum Sprung oder zum Wurf ansetzte.

Er fühlte sich wohl in der Rolle des Stars, auch wenn es ihm ein bisschen peinlich ist, im Mittelpunkt des Medienrummels zu stehen. Es gebe schließlich noch andere Deutsche, die bei der Weltmeisterschaft Vierte geworden seien.

Auch sieht sich Niklaus nicht als alleiniger Heilsbringer der Leichtathletik: „Da gibt es ein, zwei, drei, vier, fünf Athleten, die für eine Medaille gut sind.“ Er weiß, dass die gebeutelte Leichtathletiknation sich nichts sehnlicher wünscht als eine Wiederbelebung der großen Zehnkampftradition. Doch die Leistungen der abgetretenen Könige der Leichtathletik können schnell zur Hypothek werden: „Dann wird wieder die Frage gestellt, warum die damals 400 Punkte mehr geholt haben als ich heute“, sagt er.

Dabei sieht sich der 24-Jährige erst am Anfang seiner Karriere. „Ich bin in einem Alter, in dem man noch nach vorne schauen kann“, sagt Niklaus. Zu Beginn der nächsten Übungssaison im Oktober will er mit seinem Trainer Rainer Pottel die Ziele für die nächste Saison festlegen. Schon jetzt arbeitet er an der Steigerung seiner Kraftwerte. Dazu hat Niklaus einen Gewichthebertrainer angeheuert und erst einmal festgestellt, dass er sich schwer tut mit dem Kraftbolzen. „Ich muss schon zwei-, dreimal an die Geräte, bevor sich da etwas tut“, meint er. Doch er will sich unbedingt in den Wurfdisziplinen steigern. Dafür braucht er mehr Kraft.

Auch mit der Schnelligkeit hapert es noch. Und in der Tat ist eine 100-Meter-Zeit von über 11 Sekunden alles andere als berauschend. Die Trainingsergebnisse seien, betont der angehende Student der Medieninformatik, eigentlich besser, es gebe nur ein „Umsetzungsproblem“.

Umsetzungsprobleme, die hatte Niklaus früher des Öfteren. Da war er noch als Lebemann verschrien und hat sich nicht selten schwer damit getan, im Wettkampf die nötige Spannung aufzubauen. Er sagt immer noch von sich: „Ich bin ein lockerer Typ.“

Doch sein Leben hat sich gewaltig verändert. Hätte er früher bei der Geburtstagsfeier eines Freundes noch mit einem Glas Bier angestoßen, winkt er heute gleich ab. Abends geht er nur noch selten aus. Der ehemalige Zivildienstleistende Niklaus ist Sportsoldat geworden. Auch diese Entscheidung, „die Widerrufung einer Widerrufung“, wie Niklaus sagt, sei einzig sportlich motiviert gewesen. Das Leben für den Sport soll sich schließlich auszahlen.

Er will den ganz Großen wie Weltmeister Brian Clay oder Weltrekordler Roman Sebrle näher kommen. In Helsinki konnte man beobachten, wie sich Niklaus in den Wettkampfpausen locker mit den beiden unterhalten hat. Er hat mit ihnen gemeinsam über das spätherbstliche Wetter in Finnland geklagt, hat sich mit Clay zum Wellenreiten verabredet. „Das macht man, um sich ein wenig abzulenken“, erklärt Niklaus, und er wirkt beinahe so, als sei stolz darauf, dass sich die Superstars der Szene mit ihm abgegeben haben.

International, das weiß auch er selbst, steht André Niklaus noch in der zweiten Reihe, während er in der Heimat schon als Star gefeiert wird. So wie am Sonntag, bei seinem Schaudreikampf im gut gefüllten Olympiastadion.

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