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Die WahrheitErbrochenes vom Acker

Burn-out, Verspannungen, Darmbeschwerden: Charlotte Roche sucht das Idyll auf dem Land und schmäht in einem Machwerk die Stadt.

Frau sucht Bauernleben: Charlotte Roche Foto: dpa

„Verlasst die Städte! Denn die Großstadt macht den Menschen auf Dauer bloß krank, größenwahnsinnig und kriminell.“ Auch werde man wohl drogensüchtig durch die Stadt, schreibt Charlotte Roche vorige Woche im Magazin der Süddeutschen Zeitung. Burn-out, Verspannungen, Darm- und Herzbeschwerden könnten ebenfalls durch das Leben im Moloch verursacht werden.

Ihr Text beweist: Das Landleben macht dumm und kleingeistig. Noch gar nicht so lange wohnt die Roche dort, und ihr Text besteht ausschließlich aus unbelegten Behauptungen, Logikfehlern und ein paar persönlichen Erlebnissen. Jeder weiß, allein die Großstadt macht den Menschen gutmütig, tolerant, hilfsbereit und rücksichtsvoll, weil niemand ohne diese Eigenschaften mit Millionen anderen Menschen zusammenleben kann. Nur in der Stadt kann der Mensch sich als Individuum positiv verändern. Auch nehmen gesellschaftliche Entwicklungen ihren Anfang niemals zwischen Hofladen und Feldweg. Stadtluft macht frei.

Auf dem Land gilt es als Kulturproduktion, wenn man Bauernweisheiten auf Handtücher stickt, als fortschrittlich, wenn man den Jungbauernkalender aufhängt, als kreativ, wenn man Holz hackt. Charlotte Roche ist in der Stadt unter die Räder gekommen: Diesen „Krieg“ zwischen Autofahrern und Radfahrern im Stadtverkehr findet sie ganz schlimm.

Den gibt es allerdings auf dem Land nicht, weil dort alle nur mit dem Auto unterwegs sind und selbst zum Brötchenholen mit dem Wagen fahren. Der Bus kommt ja auch nur einmal in der Woche. Konflikte im Straßenverkehr gibt es nur dann, wenn ein Städter sich auf der Landstraße an die Geschwindigkeitsbegrenzung hält.

Bushaltestellen als Jugendtreff

Das Land hat durchaus ein paar wichtige Funktionen. Dort werden die Lebensmittel für die Bevölkerung produziert, es bietet große Verkaufsflächen für Wohnwagenhändler und stellt Naherholungsgebiete zur Verfügung. Aber nach zwei Tagen zwischen wiederkäuenden Methanproduzenten, Bushaltestellen als Treff nutzenden Jugendlichen und alles Fremde misstrauisch beäugenden Ureinwohnern reicht es den meisten vernünftigen Menschen.

Das Land ist nichts anderes als die reaktionäre Idee eines Idylls: sich im Winde wiegende Monokulturen, herausgeputzte Fachwerkdörfer mit Deko-Wagenrädern allerorten, der düstere deutsche Wald. Das Gewese um regionale Produkte und zu Recht vergessene Apfelsorten: Eben das macht die Menschen letztlich verrückt. Deshalb tunen sie ihre Opel Corsas und nehmen schon zum Frühstück Crystal Meth. Wer glaubt, auf dem Lande würden pro Kopf weniger Drogen konsumiert als in der Stadt, war noch nie im Sauerland. Hinter den pittoresken Schieferschindeln verbergen sich menschliche Dramen: Junge Homosexuelle weinen sich in den Schlaf und träumen von Berlin; verlorene Frauen kochen manisch Marmelade; Bauer sucht Frau, aber das Internet ist zu langsam.

Charlotte Roche sieht all das nicht, ist blind für die Realität, stellt lieber krude Theorien auf: „Was ist, wenn ganz viele Straftaten begangen werden von Menschen, die eigentlich die Stadt nicht mehr aushalten und einfach mehr Grün sehen müssten. Sie wenden sich, wie Ratten im Experiment, gegen die eigenen Kollegen, weil alles zu nah und eng ist.“

Der Indianer in ihr

Nur weil sie schlechte Nerven hat, nur weil sie quirlige, lebendige Orte nicht mehr aushält, nur weil mit zunehmendem Alter ihre Misanthropie eskaliert, muss sie Menschen mit Ratten vergleichen und fantasiert vor sich hin, der Wald und die Wiesen würden alle heilen, all die armen kaputten Seelen aus der Stadt: „Im Wald triffst du keine anderen Menschen, die dir voll auf den Sack gehen.“ Es sei denn Frau Roche und ihre schnuckelige Kleinfamilie sammeln da gerade Pilze. Oder stolpern mit ihrem Tierlosungsbuch umeinander und betrachten verzückt Stoffwechselendprodukte – voll glücklich, weil der Indianer in ihr echte Erde unter den Füßen braucht.

Eine Erklärung für den angeblichen Größenwahn, den das urbane Leben verursacht, bleiben die geborene Engländerin und ihr innerer Indianer den Lesern schuldig. Das Zitat stammt aus dem Vorspann, den wahrscheinlich der Redakteur geschrieben hat, dem sie offenbar ein paar selbst gesammelte halluzinogene Pilze in den Tee geschummelt hat, damit er den Unsinn abdruckt. Dafür ist sie dann selbst in die Großstadt gefahren, aber lange hält sie es dort nicht mehr aus, überall Hundehaufen und Erbrochenes und diese Reklame allerorten: „Jedes einzelne Haus, jede Front, jede Litfasssäule, jedes Plakat will was verkaufen. Jeder Zentimeter will deine Aufmerksamkeit, um an dein Geld ranzukommen.“

Das klingt, noch mehr als der ganze Rest des pamphletartigen Machwerks, nach einer klassischen Wahnvorstellung. Es ist erschreckend, was ein paar Monate auf dem Land aus einem Menschen machen können.

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19 Kommentare

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  • Mit diesem stilsicheren Geschwurbel, Herr Gottschalk, bestätigen sie letztlich jedes einzelne Wort von Frau Roche. Insofern kann ich nur gratulieren. Von schöngeistiger Kulturproduktion allerdings, so viel steht fest, sind wir noch sehr weit entfernt. Ich geh' 'mal eben mit 'ner Kuh schmusen und philanthrope Gefühle entwickeln, um ihren Misthaufen hier zu verdauen.

  • "Junge Homosexuelle weinen sich in den Schlaf und träumen von Berlin"

    ...um in Berlin angekommen, dann von Ali und Mustafa auf die Fresse zu bekommen, weil Händchen haltend durch das ach so freie Neukölln/Wedding/wherever gelaufen

  • Ach Gott. Da fühlt sich jemand auf den Schlips getreten. Wie kleinkariert das Städter-Denken macht, sieht man an diesem Artikel. Geringe Toleranzgrenze, ganz ähnlich, dem täglichen Kleinkrieg von Rad- und Autofahrern in Städten. Ein Autor, der sich hinter geforderten Erklärungen und Beweisen versteckt, wirkt selbst ein wenig flegelhaft. Beide Artikel bestätigen die Sichtweise des jeweils anderen. Nur Charlotte hat ihre Lektion schon gelernt. Dem Autor fehlt die Distanz noch.

  • Leute, auf dem Land gibts noch mehr als Bauernkalender.

    Gesunde Luft, Arbeitsplätze bei national bekannten Mittelständlern, superschöne Mountainbiketouren, Wald, sauberes Wasser aus dem Hahn, um nur ein paar zu nennen.

    Also lasst Eure provokante Kritik stecken, die verreckt bei uns hinter dem nächsten Misthaufen.

  • Ja, die Roche, die hat's halt auch nicht leicht, gell. Isses wenigstens mit den Hämorrhoiden besser geworden - schreibt sie da auch wieder was? Sowas kann einen ja auch wirklich nerven, gell. Wo's doch auf'm Land eh so zugig ist...

  • Die Beschimpfungen wirken nicht überzeugend als Kritik.

  • 2G
    2830 (Profil gelöscht)

    Mensch, ich mochte sie mal richtig gern. Leider fing sie, wahrscheinlich aus Größenwahn und mangels Selbsterkenntnis, an nachzudenken und nicht bloß freche und niedliche Interviews zu führen. Ab da gings in den Sumpf. Woher kommt nur dieses Sendungsbewußtsein und die Gier nach Applaus. Die Strategien dazu strickt ihr Agent: mach doch mal wieder was Verrücktes. Be unique and outstanding. Promis müssen sich ja ins Gedächnis rufen, damit die Industrie chillig abschöpfen kann. Ob Landlust genau so zieht wie die Kombi aus feucht und Konformationskleidchen?

  • Satire hin oder her: Hier schreibt einer, der sich selbst nicht kennt. Der in einer unhinterfragt übernommenen Nische der Realität selig vor sich hin konsumiert, unbeleckt von seinem Erbe als Mitglied der Spezies Mensch, bis auch bei ihm, wie bei so vielen inzwischen, der Crash kommt. Kultureller Wandel braucht sehr lange, bis er sich genetisch niederschlägt - zigtausende von Jahren. Das heißt: Jeder von uns rutscht als kleiner Jäger und Sammler in diese Welt und findet stattdessen eine Wirklichkeit vor, die ihm hauptsächlich Ersatzbefriedigungen bietet. Irgendwann gibt man dann klein bei und vergisst, was man ursprünglich hier wollte. Im Zuge einer Art von kulturellem Stockholm-Syndrom wird man schließlich zum Verteidiger der scheinbar alternativlos gelebten Notlösung - und gelegentlich versteigt sich einer gar zu einer arroganten Polemik wie der obigen, unfähig, sich als das zu begreifen, was er ist: ein ahnungsloser Mitläufer. An den Fakten ändert so ein Blabla freilich nichts. Die Auswirkungen eines naturfernen Lebens auf die Psyche sind wissenschaftlich gut dokumentiert, und wer es zugänglich aufgearbeitet mag, dem seien die Bücher von Richard Louv ans Herz gelegt. Vor allem aber sei solchen Menschseinsverweigerern empfohlen, der urbanen Komfortzone mal ein wenig länger den Rücken zu kehren und sich investigativ zu betätigen, anstatt im Schutz des diskursiven Raumes Reden zu schwingen und die zu bashen, die größere Eier in der Hose haben. Hey, ich schwör's, da wartet so manche Überraschung.

    • @jmkaendler:

      Kann der Grundaussage nur zustimmen!

      • @Primitivismuskeule:

        Im Kern - & da ich gerade in der Biographie von Frank Schäfer über Henry Thoreau rumschmöker -

        Würd ich ja auch versucht sein - zuzustimmen. Woll.

         

        Aber - Was war noch mal die Grundaussage?!;)

         

        unterm---------->

        Imre Kertész "Ich – ein anderer ist eine Reise durch verschiedene Städte,... " Ich mein - wer kennt sich schon?;)

        &

        Seine Eier in der Hose - oder gar die anderer.

        & auch -

        Klar - alles ganz genderneutral in den Feuchtgebieten der bekannten Welt - so als Jäger & Stammler.

        • @Lowandorder:

          Grundaussage: Natur notwendig, Autor ahnungslos. Diskurs alleine genügt nicht, Frau Sommer. Thoreau lesen (oder was über ihn) übrigens auch nicht. Walden Pond ruft! (oder ein beliebiges anderes naturnahes Feucht- oder Trockengebiet) Hauptsache: Nicht labern, machen. Und andere machen lassen. :-)

  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    "Das Landleben macht dumm und kleingeistig"

    Ist das nicht eines der platten Vor/Pauschalurteile, gegen die das Stadtleben immun machen sollte?

  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Putzig. So einbeleidigter Städter.

  • Na, da möchte ich doch mal eine Lanze für Frau Roche brechen.

     

    Ich bin selber vor ein paar Jahren aus der Stadt aufs Land emigriert.

     

    Ich bin regelmäßig mehrmals im Jahr für einige Tage zurück in der Stadt - nach ein paar Tagen reicht es mir dann aber auch - zu voll, zu dreckig und vor allem zu laut. Vielleicht ändert sich das, wenn es endlich mal gelingt, den Autoverkehr aus den Städten zu verbannen.

     

    Stimmt, ohne Auto ist man auf dem Land auch ziemlich verloren. Sicherlich eine weitere Herausforderung für die Verkehrspolitik.

     

    Als junger Mensch und/oder auf Partnersuche würde ich sicherlich nicht gerne auf dem Land leben wollen. Aber in etwas gesetzterem Alter mit einem festen Partner finde ich es sehr reizvoll.

     

    Und ja, das ist Internet ist katastrophal langsam, reicht aber zum Arbeiten.

     

    Und nein, ernsthaft krank werden sollte man auch lieber nicht...

     

    Für einen Misanthropen halte ich mich übrigens nicht.

    • @1Mj3tI39F:

      Von welcher brechenden Lanze im milden Abendlicht des Alterns - war jetzt grad die Rede?

       

      unterm-------->

      Charlotte Elisabeth Grace Roche * 18. März 1978 in High Wycombe, England (40 Jahre) - & ok ok ~>

      Ehepartner vorhanden Martin Keß (verh. 2007)

      Kinder Polly & Pfeil

      kurz - Hoffnungsvolle Ansätze vorhanden. Woll. ~>

      "Vom Viva-Girlie durch die Feuchtgebiete zur Idiotie des Landlebens." Sorry - Zitier ja nur!;)

  • Das Geschwätz im Man.

    (Heidegger)

  • The End - is at hand.

     

    "....und da ist der Haken für ihre Hose!"

    La Roche Charlotte - im Kuhstall zum Kreisveterinär.*

     

    unterm---------->

    * vulgo wellknown as Rucksackbulle!;)

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      So ist es.

       

      Wer hätte das gedacht. Vom Viva-Girlie durch die Feuchtgebiete zur Idiotie des Landlebens.

      • @88181 (Profil gelöscht):

        ;) Jau. Das mit den Feuchtgebieten hatte ich mich nicht getraut - dachte - das geht bestimmt in die Hüse - Hüse? - Hose!;)(R.G.;)

        Danke.