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Der Irak steht offenbar vor dem Machtwechsel

Bei den Wahlen im Irak liegt nach den ersten Auszählungen das Bündnis des schiitischen Predigers Moktada al-Sadr mit den Kommunisten vorn

Aus Bagdad Inga Rogg

Nicht Sicherheit, sondern Jobs, Korruption und neue Gesichter in der Politik, das waren für die Iraker die großen Themen bei der Wahl am Wochenende. Und jetzt haben sie mit ihrem Votum alle überrascht, die irakischen Experten im In- und Ausland, aber auch sich selbst. Nach Auszählung von mehr als der Hälfte der Stimmen liegt das Bündnis des schiitischen Geistlichen Moktada al-Sadr mit den Kommunisten vorn.

Es war bereits weit nach Mitternacht, als die unabhängige irakische Wahlkommission das Ergebnis der Abstimmung in 10 der 18 Provinzen verkündete, unter ihnen Bagdad. In der Hauptstadt errang Sadrs Bündnis Sairun fast doppelt so viele Stimmen wie der Zweitplatzierte. In den bisher ausgezählten mehrheitlich schiitischen Provinzen im Süden des Landes belegt Sairun entweder den ersten oder zweiten Platz. Die Koalition Fatah, eine Listenverbindung von schiitischen Milizen mit engen Beziehungen zu Iran, liegt bisher an zweiter Stelle.

Amtsinhaber Haider al-Abadi, dem irakische Experten einen Sieg voraussagten, rangiert bisher auf Platz drei. Das Gesamtergebnis kann sich freilich immer noch ändern, da die Stimmen in den mehrheitlich sunnitischen Provinzen noch nicht ausgezählt sind. Nach taz-Informationen liegt Abadis Liste in Mossul vorn, der zweitgrößten Stadt des Landes und ehemaligen Hochburg des „Islamischen Staats“ (IS). Das wäre ein weiterer Beleg dafür, dass die meisten Iraker den Konfessionalismus, der ihr Land so lange im Griff hatte, hinter sich lassen wollen.

Den Sieg wird Abadi dem Bündnis von Sadr freilich nicht mehr nehmen können. Im Westen werden die Alarmglocken läuten, gilt der Geistliche doch als Verbündeter des Iran. Das sei Schnee von gestern, sagt Jassem al-Hilfi von der Kommunistischen Partei im Irak. „Die Iraner tun heute alles, um ihn zu schwächen.“

Im Westen damals noch ein Unbekannter, wurde Sadr wegen seines Widerstands gegen die US-Besatzungstruppen bekannt. Aber nicht nur gegen die USA lieferten sich seine Milizionäre blutige Kämpfe, vor allem in Bagdad machten sie auch Jagd auf die Sunniten, Linke, Schwule und Andersdenkende. Nachdem seine Kämpfer geschlagen waren, tauchte er im iranischen Qom unter. Nach seiner Rückkehr in den Irak vor sieben Jahren schlug er plötzlich neue Töne an. Er legte die Waffen nieder und ging auf die Sunniten zu.

Am Ende könnte sogar ein Kommunist als Regierungschef das Rennen machen

Der wirkliche Wandel sei aber mit der Protestbewegung gekommen, sagt Hilfi. Monatelang hatten säkular Gesinnte und Kommunisten friedlich demonstriert. Vor zwei Jahren stürmten Sadr-Anhänger dann das Regierungsviertel in der Grünen Zone. „Wir sagten: ‚Nein zu Gewalt und keine religiösen Symbole, nur die irakische Flagge.‘“ Laut dem Parteistrategen Hilfi war es die Geburtsstunde der ungleichen Allianz.

Obwohl die Kommunisten sich nicht von Hammer und Sichel trennen wollen, sind sie heute eher eine sozialdemokratische Partei. Menschen-, Minderheiten- und Frauenrechte stehen für sie ganz oben. Und sie sind nicht der einzige seltsame Partner in der Allianz. Zu Sairun gehört auch eine kleine liberale, proamerikanische Partei. „Wir sind weder die Gefolgsleute der Amerikaner, noch der Iraner, der Saudis oder der Türken“, sagt Hilfi.

Obwohl Sadr weiterhin den Abzug der US-Amerikaner fordert, spielte das im Wahlkampf keine Rolle. Aber genau aus diesem Grund könne ein eingefleischter Sadrist auch nicht Ministerpräsident werden, sagt Hilfi. „Auch wir fordern den Abzug der Amerikaner. Aber zuerst brauchen wir starke Sicherheitskräfte.“ Trotz des Erfolgs kann Sairun aus eigener Kraft keine Regierung bilden, dazu brauchen sie Koalitionspartner. Dabei könnte am Ende sogar ein Kommunist als Kompromisskandidat das Rennen machen. Es wäre die nächste große Überraschung im Irak.

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